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# taz.de -- Debatte Özils Hochzeit und rechte Lieder: Ach, Mutter!
> Der Fußballer Mesut Özil feierte seine Hochzeit in der Türkei mit einem
> Lied, dessen Text auf Unterdrückung und Auslöschung gründet.
Bild: Kein Märchen: Mesut Özils Hochzeit
Dieser Türke [1][heiratet] wie ein richtiger Türke: Es ist der Henna-Abend
des Paars Amine Gülşe und Mesüt Özil („Deutscher“, „Türke“, „Deu…
„Deutscher mit Migrationshintergrund“, „Sohn von türkischen Eltern“), …
Abend vor der Hochzeit. Özil und Gülşe lachen, sind festlich gekleidet. Sie
trägt eine Krone. Er einen Anzug. Eine Bilderbuchliebe, eine Szene wie aus
einem türkischen Film.
Weil die Türkei ein türkischer Staat ist, werden türkische Lieder beim
Henna-Abend oder bei der Hochzeit gespielt. Aus den Boxen dröhnt ein Lied.
Mustafa Yıldızdoğan (türkischer Sänger, na klar) singt: „Ölürüm Türk…
(Ich sterbe für dich, meine Türkei). Die Hochzeit hat so ziemlich jeder
mitbekommen, [2][Videos der Szene] finden sich im Netz.
Wofür sich aber keiner interessiert: Mustafa Yıldızdoğan war ein glühender
Anhänger von Alparslan Türkeş, dem rechtsextremen Gründer der Partei der
Nationalistischen Bewegung (MHP) in der Türkei. Das Lied „Ölürüm Türkiye…
ist ein völkisches Lied, es ist die Hymne der Rechtsextremen in der Türkei.
Abgesehen von der Frage, ob das ein guter Henna-Abend-Party-Hit ist, muss
man sich einfach mal vorstellen, auf dem Polterabend von Bastian
Schweinsteiger würde das Horst-Wessel-Lied gespielt.
Was in Deutschland zu wenige verstehen: Es gibt auch Rechte in der Türkei.
Und auch da sind es nicht nur glatzköpfige, saufende Pöbler und Pöbelinen
mit dicken Bäuchen und schlechter Haut, sondern genauso Angehörige der High
Society eines Landes in Abendgarderobe.
## Kein iPod-Shuffle-Zufall
Ja, die Debatte über Özil [3][wurde zum Teil rassistisch geführt], aber das
heißt nicht, dass er selbst nicht auch rassistisch sein kann. Und das muss
ebenfalls benannt werden. Die Hymne der Rechtsradikalen auf seinem
Polterabend zu spielen ist kein iPod-Shuffle-Zufall. Genauso wenig ist es
ein Zufall, den Autokraten Erdoğan als Trauzeugen zu wählen. Hat Özil keine
Freunde?
Dieses Lied, das türkische Herzen noch schneller und türkischer für ihr
Land schlagen lässt, war einmal ein kurdisches Lied der Gruppe Koma Dengê
Qamişlo. Es heißt „Daye – Mutter“ und ist von 1986. „Ölürüm Türki…
die Umschreibung eines kurdischen Liedes in ein türkisches – mit einem
türkischnationalistischen Text. Wie perfide.
Nazis gibt es nicht nur in Deutschland. Es gibt auch türkische Nazis. Und
sie sind organisiert. Paramilitärisch (Graue Wölfe) und Parlamentarisch
(Partei MHP). Beide, Graue Wölfe und MHP, gehen auf den von ihren Anhängern
heute immer noch glühend verehrten Hitler-Sympathisanten Alparslan Türkeş
zurück, der Sätze gesagt hat wie diese: „Der Islam ist unsere Seele, das
Türkentum unser Körper“ und „Wenn ihr Kurden weiterhin eure primitive
Sprache sprecht, werdet ihr von den Türken auf die gleiche Weise
ausgerottet wie schon Georgier, die Armenier und die Griechen.“
MHP und Graue Wölfe propagieren die Überlegenheit der „türkischen Rasse“.
Sie sind antisemitisch, homophob und rassistisch. In den 60er bis 90er
Jahren haben die Graue Wölfe in der Türkei zahlreiche Mordanschläge auf
Kommunist*innen, Journalist*innen und kurdische Politiker*innen sowie
Pogrome gegen Alevit*innen (Sivas, Kahramanmaraş) verübt. In Deutschland
haben die Grauen Wölfe schätzungsweise 18.000 Mitglieder. Wer türkische
Nazis verharmlost oder in Schutz nimmt, verharmlost auch deutsche Nazis.
Rechte Lieder bleiben rechte Lieder – egal in welcher Sprache sie gesungen
werden.
## In Kurdistan brennt der Weizen
Während Özil, Gülşe und ihre Hochzeitsgäste im Patriotismus ertrinken,
brennen in Kurdistan die Felder. In Qamischli, in Tirbespî, Kobanê, in ganz
Rojava, dem kurdischen Gebiet in Syrien, wird das Getreide angezündet, seit
der IS in seiner Zeitschrift al-Naba dazu aufgefordert hat.
Nicht nur der IS, sondern auch die türkische Armee soll Felder in Brand
gesteckt haben. In Kurdistan brennt der Weizen. Asche kann man nicht essen,
man erntet Hunger. Auch im Irak, in Shingal, wo ohnehin längst alles
zerstört ist, seit der IS 2014 eingefallen ist und einen Genozid an den
Jesiden verübt hat, und wo gerade die Massengräber exhumiert werden, brennt
es. In Shingal folgt nun auf die Auslöschung die Auslöschung der
Auslöschung. Das Feuer droht auch die Beweise für den Genozid zu zerstören.
Die Kriegstaktik der „verbrannten Erde“ ist so alt wie der Krieg selbst. In
den Gallischen Kriegen wurde Feuer als Kriegswaffe eingesetzt, bei den
Kreuzzügen, im Hundertjährigen Krieg; die Wehrmacht setzte bei ihrem
Rückzug aus Norwegen ganze Landstriche in Brand, das türkische Militär in
Dersim, die Taliban in Afghanistan. Despoten wie Assad und Erdoğan
versuchen, sich mit Gewalt eine triumphale Geschichte zu schreiben.
Die Geschichte ist im Nahen Osten entweder eine panarabische wie in Syrien
(Syrien, die Republik der Araber), eine türkische (Republik Türkei), oder
eine sunnitisch-islamistische, wie die des IS. Alle anderen Erzählungen
(die der Minderheiten) werden gelöscht. Die Erinnerung an die Auslöschung
wird gelöscht. Die Sprache der Unterdrücker überschreibt die Sprache der
Unterdrückten. Tunceli überschreibt Dersim. Die Türkei überschreibt die
Mutter in einem Lied.
Im kurdischen Afrîn wird seit dem Einmarsch des türkischen Militärs an den
Schulen kein Kurdisch, sondern Türkisch unterrichtet. 150.000 Kurden wurden
vertrieben, jesidische Friedhöfe und Schreine zerstört. Araber und
Turkmenen aus anderen Teilen Syriens werden angesiedelt. Islamistische
Brigaden überziehen die Stadt mit ihrem sunnitischen Islam. Frauen sollen
nur noch verschleiert das Haus verlassen.
Am Bosporus geben sich Özil und Gülşe mit Erdoğan an der Seite das Jawort
(Evet). Sie feiern zu einem Lied, dessen Text auf Auslöschung gründet. Das
ist Teil derselben Ideologie. Diese Ideologie ist Zündstoff. Völkische
Lieder sind Brandbeschleuniger. Ach, Mutter!
30 Jun 2019
## LINKS
[1] /Erdogan-bei-Oezils-Hochzeit/!5601468
[2] https://www.cnnturk.com/video/spor/futbol/mesut-ozil-sosyal-medyayi-salladi
[3] /Ueber-Rassismus-gegen-Turko-Deutsche/!5519633
## AUTOREN
Ronya Othmann
Cemile Sahin
Cemile Sahin und Ronya Othmann
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