# taz.de -- UN-Bericht über Gefangenenlager: Wohin mit deutschen IS-Kindern? | |
> Im kurdisch verwalteten Teil Syriens werden 11.000 Angehörige | |
> ausländischer IS-Kämpfer festgehalten, auch Kinder. Hunderte sind | |
> gestorben. | |
Bild: Im Lager al-Hol leben rund 70.000 Menschen, darunter auch Kinder ohne Beg… | |
Berlin taz | Seit Monaten sitzt die Bundesregierung das Problem aus. Nun | |
lenkt ein UN-Bericht die Aufmerksamkeit auf das Thema: Dutzende deutsche | |
Staatsangehörige sind in Gefangenschaft in Syrien – mutmaßliche ehemalige | |
Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) oder deren Angehörige. | |
Die Syrien-Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats kritisiert in | |
ihrem am Mittwoch veröffentlichten Bericht zur Lage in Syrien unter anderem | |
den Umgang mit rund 11.000 Angehörigen ausländischer IS-Kämpfer, die in dem | |
großen, von [1][kurdischen Milizen kontrollierten Lager al-Hol] mit rund | |
70.000 Bewohnern leben und „von Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung | |
ferngehalten“ würden. Es seien auch Kleinkinder darunter. | |
Laut Bericht sind seit Januar 390 Kinder in al-Hol an Unterernährung oder | |
Infektionen gestorben. 3.500 Kinder, darunter 502 ohne Begleitung, lebten | |
in dem Lager, viele davon Kinder ausländischer Kämpfer, zum Teil bei | |
Vergewaltigungen gezeugt und zumeist ohne Papiere. | |
Das Bundesinnenministerium teilte der taz am Donnerstag mit, aktuell würden | |
110 deutsche Staatsangehörige oder Personen aus Deutschland in Syrien | |
festgehalten, darunter 73 Frauen. Der Großteil befindet sich demnach in | |
al-Hol. Die Hilfsorganisation medico international hatte jüngst von 120 | |
Kindern in syrischen Lagern gesprochen, die mindestens einen deutschen | |
Elternteil haben. Im August holte die Bundesregierung [2][erstmals vier | |
Kinder aus al-Hol nach Deutschland]. | |
Das Problem: Keine der festgehaltenen Personen ist rechtskräftig | |
verurteilt. Überhaupt zu beweisen, dass sie sich dem IS angeschlossen | |
haben, ist in vielen Fällen schwierig – auch, wie die Bundesregierung | |
betont, weil die Kurden, die Nordostsyrien kontrollieren, als | |
nichtstaatlicher Akteur gelten, was eine offizielle Rechtszusammenarbeit | |
nicht möglich macht. Der eigentliche Ansprechpartner für deutsche Behörden | |
wäre der syrische Staat, aber der übt in der Region kaum Kontrolle aus und | |
ist darüber hinaus selbst für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich, | |
weswegen in Deutschland Verfahren gegen syrische Regimeangehörige laufen. | |
## Prozesse könnten in Deutschland geführt werden | |
Die Kurden fordern seit Monaten, dass Deutschland und andere Staaten ihre | |
Staatsangehörigen zurücknehmen. Spricht man Vertreter der Selbstverwaltung | |
Nordostsyriens auf das Problem der Beweislage an, erntet man nur | |
Schulterzucken. Für sie ist offensichtlich, welches Ziel die AusländerInnen | |
in Syrien verfolgten. | |
Tatsächlich ist denkbar, dass einige der gefangenen Deutschen nicht aktiv | |
an Kriegshandlungen beteiligt waren. Deshalb fordern auch Menschenrechtler, | |
dass Deutschland und andere Staaten ihrer Pflicht nachkommen und ihre | |
Staatsbürger zurücknehmen. „Hier geht es um die eigenen Staatsangehörigen, | |
gegenüber denen der Staat eine Fürsorgepflicht hat“, sagt Patrick Kroker | |
vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin. | |
„Sie müssen zurückgeholt und hier vor Gericht gestellt werden, wenn es | |
genug Beweise gibt.“ | |
Das Argument, man könne aufgrund der schwierigen Beweislage keine Verfahren | |
führen, lässt Kroker nicht gelten: „Man könnte diese Verfahren hier | |
führen“, ist er überzeugt. Der deutsche Generalbundesanwalt sei tätig | |
geworden, um Kriegsverbrechen in Syrien zu ermitteln, auch Europol habe | |
eine Zentralstelle eingerichtet. „Es gibt Informationen, die geteilt werden | |
können“, sagt Kroker. | |
Die Befürchtung, Deutschland könnte sich bei einer Rücknahme seiner Bürger | |
IS-Terroristen ins Land holen, betrachtet Kroker als nicht so | |
schwerwiegend, dass sie die derzeitige Haltung der Bundesregierung | |
rechtfertigt: „Das darf nicht das entscheidende Kriterium dafür sein, dass | |
es keine Einzellfallprüfung gibt, dass möglicherweise Unschuldige | |
willkürlich inhaftiert bleiben und miserablen humanitären Bedingungen | |
ausgesetzt sind.“ | |
12 Sep 2019 | |
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[1] /IS-Gefangene-in-Nordsyrien/!5618499 | |
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## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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