| # taz.de -- Rebellen erobern Goma: „Wir bringen euch endlich Frieden“ | |
| > Die siegreichen Rebellen der M23 versprechen Sicherheit. Die Bewohner der | |
| > eroberten Stadt Goma im Ostkongo aber haben zunehmend Angst vor neuen | |
| > Kämpfen. | |
| Bild: Während die M23-Rebellen ihren Einmarsch in Goma feiern, versucht diese… | |
| GOMA taz | Zu Dutzenden marschieren sie die Straße entlang, ihre Gewehre | |
| gen Himmel gestreckt. Mit einem Lachen auf den erschöpften Gesichtern | |
| singen sie Lieder. | |
| In kleinen Trupps sichern die Rebellen die wichtigsten Straßenkreuzungen, | |
| postieren Kämpfer mit schweren Kalaschnikows und Munitionsgürteln über den | |
| Schultern. Langsam kehrt Ruhe in Goma ein. Die ersten Menschen trauen sich | |
| wieder auf die Straßen. Leere Patronenhülsen liegen im Staub. Leichter | |
| Nieselregen setzt ein. | |
| Die Rebellenarmee M23 (Bewegung 23. März) hat innerhalb weniger Stunden | |
| Goma unter ihre Kontrolle gebracht. Immer neue Lastwagen voller Kämpfer | |
| rollen von Norden her ins Stadtzentrum. Ein Militär-Pick-up-Truck hält an, | |
| eine Handvoll M23-Kommandeure steigen aus. Plötzlich fangen die Menschen, | |
| die sich nach und nach am Straßenrand versammelt haben, an zu jubeln und zu | |
| klatschen. | |
| Oberst Baudouin, Operationskommandeur des M23-Generalstabs, grinst über | |
| beide Backen. Die Camouflage-Mütze tief ins Gesicht gezogen und Pistole am | |
| Halfter marschiert er in einer frisch gebügelten Uniform die Straße | |
| entlang. Hunderte seiner Kämpfer folgen ihm zu Fuß, Lastwagen voller | |
| weiterer Soldaten dahinter. „Wir bringen euch jetzt endlich Frieden“, | |
| verkündet er der jubelnden Bevölkerung im Vorbeigehen. Er winkt und lacht. | |
| Hinter ihm singen seine Kämpfer einen Siegessong. | |
| ## Die Grenzer sind geflohen | |
| Immer mehr Menschen versammeln sich auf den Straßen, als die M23-Parade in | |
| Richtung Grenze marschiert. Goma liegt direkt an der Grenze zwischen Kongo | |
| und Ruanda. Die Grenze ist verwaist, die Grenzbeamten sind längst geflohen. | |
| Auf der ruandischen Seite des Schlagbaums stehen hunderte Kongolesen, die | |
| vor den Gefechten ins Nachbarland geflüchtet waren. Die M23-Kommandeure | |
| winken ihnen zu. Auch der M23-Militärführer, General Sultani Makenga, ist | |
| plötzlich dabei. Sie stimmen erneut einen Siegessong ein. „Ihr seid jetzt | |
| alle sicher“, brüllt Oberst Baudouin in die Menge und braust wieder davon. | |
| Es war ein schneller, aber kein leichter Sieg. Die M23-Rebellen hatten sich | |
| am Wochenende an Goma herangekämpft. Wenige Kilometer vor der Stadt machten | |
| sie halt und forderten Gespräche mit der Regierung. Als diese am Montag | |
| ablehnte, begann der Vormarsch von Neuem. | |
| ## Leichen auf der Straße | |
| Schon bei der Anreise nach Goma aus dem Norden am Dienstagmorgen sind die | |
| Einschläge von Mörsergranaten von Weitem zu hören. Leichen toter | |
| Armeesoldaten liegen auf der staubigen Straße, die aus Munigi hinab nach | |
| Goma führt. Einem toten Oberstleutnant der Regierungsarmee wurde die | |
| Uniform gestohlen, er liegt in Unterhose in seiner Blutlache. | |
| Männer, Frauen, Kinder, vollbeladen mit Habseligkeiten, bleiben vor dem | |
| Leichnam stehen. Eine Frau bekreuzigt sich. Die Kinder starren entsetzt auf | |
| den verwesenden nackten Körper, um den Fliegen schwirren. „Wer wird diese | |
| Leichen wegräumen, damit wir uns keine Krankheiten einfangen?“, fragt ein | |
| Mann in die Runde. Dann marschieren sie schweigend weiter. | |
| In der UN-Station Munigi am nördlichen Stadtrand von Goma haben knapp 500 | |
| Männer, Frauen, Kinder die Nacht unter freiem Himmel hinter Sandsäcken | |
| verbracht, genau an der Front. Kugeln und Mörser flogen über ihre Köpfe | |
| hinweg, sie schlugen sogar in der UN-Basis ein. | |
| „Wir hatten solche Angst, die Kinder haben geweint, die ganze Nacht | |
| herrschte Panik“, berichtet Antoine Bwenge. Der Mann sitzt mit seinen sechs | |
| Kindern um ein kleines Feuer herum, seine Frau kocht Reis und Bohnen, es | |
| ist ihre allerletzte Ration. | |
| Von Weitem hört man wieder Mörsergranaten. Bwenges jüngster Sohn fängt an | |
| zu weinen und zu kreischen. „Ich hoffe, irgendjemand wird uns einfach | |
| Frieden bringen – egal ob die Rebellen oder die Regierung“, seufzt Bwenge. | |
| ## Seit drei Tagen nichts zu essen | |
| Jenseits der UN-Station ermöglicht die Aussicht einen malerischen Blick | |
| über die Millionenstadt Goma und den Kivu-See. In sicherer Entfernung | |
| drücken sich Dutzende junge Männer an eine Häuserwand. Neugierig gucken sie | |
| um die Ecke einiger Holzhäuser – alles scheint leer zu sein. | |
| Dann lässt einer der jungen Männer einen Sack von der Schulter fallen. Wie | |
| hungrige Geier stürzen sich die Jugendlichen auf den Inhalt: Maiskörner | |
| sind darin. Mit schmutzigen Händen greifen sie hinein und schaufeln sich | |
| den Mais in den Mund. Kauend und schluckend erklärt einer der Jungen: „Ich | |
| habe nichts mehr gegessen, seit die Kämpfe vor drei Tagen begannen. Ich | |
| dachte, ich sterbe!“ | |
| Seit Beginn der Gefechte war das sonst so geschäftige Goma wie | |
| ausgestorben. Die Menschen hatten sich in ihren Häusern verkrochen. | |
| Schulen, Behörden und Geschäfte bleiben geschlossen, Autos und Motorräder | |
| können nicht fahren, weil die Tankstellen geschlossen sind. Frauen und | |
| Kinder flohen zu Tausenden. Nur die jungen Männer sind geblieben: „Wir | |
| harren hier aus, damit die Soldaten nicht unsere Häuser ausrauben“, sagt | |
| einer und seufzt: „Ich bin jetzt 20 Jahre alt und habe erst die 6. | |
| Schulklasse abgeschlossen, weil seit meiner Geburt immer nur Krieg | |
| herrscht.“ Er lässt die Schultern hängen. „Wir brauchen einfach nur | |
| Frieden, egal wer ihn bringt“, murmelt er und verschlingt noch eine | |
| Handvoll Mais. | |
| ## Am Rand ein UNO-Panzer | |
| Auf der Straße zum Flughafen liegen weitere getötete Soldaten im Staub. | |
| Manche Leichen sind mit Decken zugedeckt, andere sind fast nackt | |
| ausgezogen. Seit dem frühen Morgen fanden hier schwere Gefechte statt. Am | |
| Rand der Landebahn steht ein weißer UNO-Panzer. Das Panzerrohr zeigt in die | |
| Luft, immer noch bedeckt von einer Schutzhülle. | |
| Ein indischer Blauhelmsoldat guckt vorsichtig aus der Luke hervor. Auf die | |
| Frage, wie die Gefechte verlaufen seien, zuckt er mit den Schultern: „Wir | |
| sind Friedenshüter, wir schießen nicht.“ | |
| Fast eine Stunde lang kämpft die M23 in der Innenstadt, einige Kilometer | |
| südlich des Flughafens rund um die drei Verkehrskreisel im Stadtzentrum, um | |
| die Kontrolle über Goma. Dann wird es still. | |
| Das Telefon summt. Eine SMS des verantwortlichen Frontkommandeurs der | |
| Regierungsarmee: „Wir haben den Krieg verloren“, steht darin geschrieben | |
| sowie ein trauriger Abschiedsgruß. Wo er ist, schreibt er nicht. Wenige | |
| Minuten später verstummt das Gefechtsfeuer. Die M23 hat den Krieg gewonnen. | |
| 20 Nov 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Simone Schlindwein | |
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