# taz.de -- Rassistischer OEZ-Anschlag in München: Eine Stadt beginnt sich zu … | |
> Die Angehörigen warten seit 2016. Nun eröffnet am Münchener Marienplatz | |
> der erste Erinnerungsraum für die neun Getöteten des OEZ-Attentats. | |
Bild: Noch kein dauerhafter Ort gegen das Vergessen: der Erinnerungsraum am Mü… | |
MÜNCHEN taz | Gegen halb drei hallt ein lautes „München erinnern!“ über … | |
Marienplatz, dem Herz der bayerischen Hauptstadt. An diesem Sonntag haben | |
sich vor dem östlichen Teil des neuen Rathauses rund 120 Menschen | |
versammelt. Die Gruppe wirkt ein wenig fremd zwischen den Luxusläden der | |
Münchner Innenstadt: Breitling, Rimowa, Windsor. | |
Die Familien der neun Getöteten des [1][rechtsterroristischen Anschlags vom | |
22. Juli 2016] und ihre Unterstützer*innen sind hier, um den ersten | |
Erinnerungsraum für die Opfer der Tat zu eröffnen. „München erinnern!“ | |
steht in Großbuchstaben im prächtigen Torbogen des Raums. An den Wänden | |
hängen schwarz-weiß gezeichnete [2][Porträts der neun Opfer] des Attentats: | |
Armela Segashi, Can Leyla, Dijamant Zabërgja, Guiliano Kollmann, Hüseyin | |
Dayıcık, Roberto Rafael, Sabina S., Selçuk Kılıç und Sevda Dağ. | |
Unter den Porträts liegen Fußballpokale, Teddybären und Fotos der | |
Verstorbenen. Die Mutter von Can Leyla, Sibel Leyla, sagt: „Uns ist es | |
wichtig hier, mitten in der Stadt, die Gesichter unserer Kinder zu zeigen. | |
Denn es waren Münchner Kinder.“ | |
Als Namen für die Initiative haben Angehörige und Unterstützer*innen | |
bewusst „München erinnern!“ gewählt. „Wir wollen, dass München in der | |
[3][langen Reihe rechtsterroristischer Anschläge] in Deutschland – | |
Oktoberfest, Solingen, Mölln, NSU, Kassel, Halle, Hanau – endlich nicht | |
mehr vergessen wird“, sagt Patrycja Kowalska, eine Mitorganisatorin der | |
Initiative. | |
## Zu lange nicht als Rechtsterrorismus benannt | |
Dass der Anschlag vom 22. Juli 2016 in München lange Zeit nicht den | |
richtigen Platz im kollektiven Gedächtnis fand, dafür tragen Behörden und | |
Medien eine Mitverantwortung. Über drei Jahre hielten die bayerischen | |
Ermittler an „Rache wegen Mobbing“ als Hauptmotiv des Täters fest – trotz | |
dessen Mitgliedschaft in rechtsextremen Chatgruppen, einem rassistischen | |
Manifest und [4][offen zur Schau gestellter Bewunderung] für den | |
norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik. In den Medien wurde der Fall | |
vorrangig als unpolitischer Amoklauf eines psychisch kranken Täters | |
diskutiert. | |
Es ist eine Mischung aus Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen, | |
die sich bei türkischem Tee, Nudelsalat und Kuchen am Münchner Rathaus | |
versammelt hat. Auch Überlebende und Angehörige des rechten Terrors in | |
Halle und Hanau sind gekommen. | |
Die 28-jährige Şahika Tetik kennt die Angehörigen nicht persönlich. | |
Trotzdem ist sie heute mit zwei Freundinnen hier, um zu zeigen, dass die | |
Familien nicht allein in ihrer Trauer seien, sagt sie. Nach dem Anschlag in | |
Hanau begann sie sich vermehrt mit der Geschichte von rechtsterroristischen | |
Anschlägen in Deutschland zu beschäftigen. Dass es in München immer noch | |
nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sei, der sich zum Beispiel an den | |
Jahrestagen mit den Familien erinnere, mache sie traurig. | |
Der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt, Dieter Reiter, ist an | |
diesem Sonntag nicht anwesend. Ihn vertritt die grüne Stadträtin Nimet | |
Gökmenoğlu. Sie weiß, dass es aus den Reihen der Angehörigen Kritik am | |
Bürgermeister gibt. Seit langem fühlen sie sich vom Bürgermeister nicht | |
ausreichend gehört, nicht genug unterstützt. Aber Gökmenoglu sieht auch, | |
wie viel die Stadt bereits getan hat, in Form von neuen Gutachten, | |
Gedenkveranstaltungen, des Erinnerungsraums und weiteren | |
Unterstützungsangeboten. „Dass es nicht genug ist, kann ich aber trotzdem | |
verstehen“, sagt Gökmenoğlu. | |
In den nächsten Monaten will die Stadt sich intensiv bemühen, einen | |
dauerhaften Raum für Familien und die Initiative zu finden. Denn so viel | |
Aufmerksamkeit die Lage am Marienplatz auch bietet, der Wunsch der Familien | |
ist ein Raum in Moosach, ihrem Heimatviertel. | |
## Anschlag führt Doppelexistenz in der Erinnerung | |
Aus Gökmenoğlus Sicht führt der Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum in der | |
Erinnerung vieler Münchner*innen eine Doppelexistenz. Einerseits könne | |
sich fast jede Person daran erinnern, wo sie an dem Tag war, wie sie die | |
Stunden der Angst erlebte, in denen es sich anfühlte, als würden überall in | |
der Stadt gleichzeitig Anschläge verübt. Andererseits sei das rassistische | |
Motiv der Tat immer noch nur den wenigsten bewusst. „Diese Erfahrung und | |
dieses Wissen müssen wir in unserer Erinnerung verknüpfen“, sagt | |
Gökmenoğlu. | |
Als Gisela Kollmann ans Mikro tritt und ihre Rede beginnt, zittert ihre | |
Stimme kurz. Sie ist die Großmutter von Giuliano Kollmann. Jahrelang habe | |
sie dafür gekämpft, dass der Anschlag als rechtsterroristische Tat | |
anerkannt wird und ihr Enkelsohn Giuliano in Erinnerung bleibt. Die | |
Schaffung dieses Ortes bedeute für ihre Seele ein wenig Ruhe. „Jedes Mal | |
freue ich mich, wenn Menschen hier am Fenster stehen bleiben und sich | |
informieren“, sagt Kollmann. „Wir laden alle ein, mit uns in diesem Raum zu | |
erinnern.“ Die Angehörigen wollen weiter dafür kämpfen, dass ihre getötet… | |
Kinder, Enkelkinder, Schwestern und Brüder nicht in Vergessenheit gerieten. | |
Straßenumbenennungen, Ehrengräber und eine Schließung des Tatort-McDonalds | |
– das sind die nächsten Ziele der Initiative. | |
Noch bis zum 31. Juli steht der Raum in der Dienerstraße für “München | |
erinnern!“ zur Verfügung. Die Familien und Unterstützer*innen wollen | |
Schulklassen in den Raum holen, als Angehörige von ihren Erfahrungen | |
erzählen und gemeinsam erinnern. Noch sind es nur einige wenige Menschen, | |
die die Initiative dabei unterstützt, den Raum möglichst oft zu öffnen. | |
Aber sie hoffe, dass es noch mehr werden, sagt Sibel Leyla. | |
23 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Mitsuo Iwamoto | |
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