# taz.de -- Rassistische Klischees im Karneval: Rassismus Helau | |
> „Zigeunertänze“ oder das Klischee der „leidenschaftlichen Zigeunerin“ | |
> gehören zur Fastnacht. KritikerInnen wollen rassistische Auswüchse | |
> unterbinden. | |
Bild: Im Karneval werden munter rassistische Klischees reproduziert | |
MAINZ taz | Thüringen ist eine Karnevalshochburg – über dreihundert | |
Mitgliedsvereine zählt der dortige Landesverband der Karnevalsvereine. Es | |
ist eine bunte Landschaft, jeder Verein hat seinen eigenen Narrenruf. Der | |
Suhler Carneval Club ruft „Sulli Sulli Helau“, weiter im Norden erschallt | |
ein „Zeinbocksrode Meck Meck“. | |
Und beim Karnevalsverein in Niederschmalkalden, einem 700-Seelen-Ort im | |
südlichen Thüringen, heißt es „Zigeuner Helau!“. Der Ruf sorgte in diesen | |
Tagen für Kritik in den sozialen Netzwerken. Er sei ein Beispiel für | |
Alltagsrassismus. Sonst hat sich bisher allerdings wohl noch niemand an dem | |
eigentümlichen Narrenruf der Thüringer groß gestört. | |
Für Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald | |
und Mittelbau-Dora, ist das erschreckend. Wie diskriminierend diese | |
Fremdbezeichnung von Sinti und Roma empfunden werde, sei nun schon oft | |
genug Gegenstand der öffentlichen Diskussion gewesen. „Jeder hat schon | |
einmal gehört, dass man diesen Begriff besser vermeidet.“ Und dass man | |
hundert Kilometer von der Gedenkstätte in Buchenwald entfernt unbeschwert | |
einen solch befremdlichen Narrenruf intoniert, macht ihn fassungslos: „Wir | |
reden uns in der Gedenkstättenarbeit zur Verfolgung der Sinti und Roma den | |
Mund fusselig, und die finden es lustig, ‚Zigeuner Helau‘ zu rufen.“ | |
Der „Zigeuner“ gehört zum Karneval dazu, das ist keine Thüringer | |
Spezialität: Im baden-württembergischen Schwarzach existiert seit mehr als | |
60 Jahren der Carneval-Club „Zigeunerio“. Im Programm: Der | |
„Zigeunerschorsch“, „Zigeunerlieder“, „Zigeunertänze“. So geht das… | |
Traditionsverein seit Jahren. Auch im neuen Jahrtausend hat sich da nichts | |
geändert: Da gibt es den „Zigeunerball“, die „Zigeunernacht“, die | |
„Zigeunergarde“ und die „Zigeiner Buwe“ – das vereinseigene Männerba… | |
## Kekse vom örtlichen Bäcker | |
Auch in Allmendingen im Alb-Donau-Kreis nennt sich eine Narrenzunft | |
„Zigeunergruppe“. Sie wurde 1976 gegründet. Das dortige „Zigeunervolk“… | |
nicht nur von einer „Zigeunerkapelle“ unterstützt, sondern auch vom | |
örtlichen Bäcker. Der hat in diesem Jahr närrische Kekse gebacken. Die | |
Aufschrift in Zuckerguss: „I be a Zigeiner“. Die Kekse kann man | |
vorbestellen. | |
Im hessischen Hofheim hat sich die „Zigeunergruppe“, eine Tanzformation der | |
Karnevalsgesellschaft 1900, zwar aufgelöst, wird aber weiterhin mit einem | |
„Zigeunerwagen“ bei den Fastnachtsumzügen dabei sein und durfte sich auch | |
ins Goldene Buch der Stadt eintragen: „Sie waren sechzig Jahre sympathische | |
Botschafter für Hofheim“, heißt es in einer Pressemitteilung der Stadt. | |
Fast nirgends gibt es Diskussionen über das doch eigentlich | |
unaussprechliche Wort. In Stuttgart sorgte der Name des Karnevalsvereins | |
„Zigeunerinsel“ einmal für kritische Anmerkungen. Ein Politiker der | |
Linkspartei bezeichnete den Namen als diskriminierend, eine Sprecherin des | |
Landesverbands der Sinti und Roma hoffte auf eine Sensibilisierung der | |
Vereinsmitglieder. | |
Doch die sehen kein Problem, der Name des Vereins gehe schließlich auf ein | |
historisches Gebiet zurück: „Seit dem Mittelalter wurde dieses Gebiet | |
durchziehenden Zigeunern als Lagerplatz angewiesen, da sie nicht innerhalb | |
der Stadtmauern Stuttgarts nächtigen durften.“ In Erinnerung daran werde | |
dieses Gebiet noch Zigeunerinsel genannt. „Einmal Zigeuner, immer | |
Zigeuner“, heißt es selbst- und traditionsbewusst. Dass Angehörige der | |
Sinti und Roma das diskriminierend finden, kann man offenbar nicht | |
nachvollziehen. | |
## Die Welt des Teufels | |
Auch anderswo nicht: Durch Köln ziehen die „Ihrefelder Zigeuner“, in | |
Massenbachhausen tanzen alljährlich die „Zigeunerinnen“, und im bayerischen | |
Amtzell gibt es den närrischen Ruf: „Loch zua – Zigeuner kommet“. | |
All das hat eine lange Tradition, nicht nur in Deutschland, in ganz | |
Europa. „Die Fastnacht hat im Mittelalter das Reich des Teufels | |
verkörpert“, sagt Karnevalsexperte Günter Schenk aus Mainz. Er erforscht | |
seit Jahrzehnten die Geschichte des Brauchtums. „Alle Außenseiter der | |
Gesellschaft sind dieser Welt des Teufels zugeordnet worden: Bettler und | |
Hausierer, alte Frauen, Juden, behinderte Menschen, die damals noch Narren | |
genannt wurden.“ Auch Sinti und Roma gehörten zu dieser Gruppe, die | |
ausgegrenzt wurde und der man nur Verachtung entgegenbrachte. In diese | |
„böse Welt“ zu fliehen, aus dem Alltag auszubrechen und in eine andere | |
Rolle zu schlüpfen sei faszinierend. | |
Die Faszination, die die Maske des „Zigeuners“ auf brave Bürger ausübt, | |
sieht auch der Kulturwissenschaftler Tobias Neuburger. Er forscht an der | |
Leibniz Universität Hannover über Antiziganismus. Er weist darauf hin, dass | |
es nicht nur die romantische Figur der „schönen Zigeunerin“ oder des | |
melancholischen „Zigeunergeigers“ ist, die bei den Maskeraden eine Rolle | |
spielten. | |
Auch die Gewalt gegen Sinti und Roma wird in den Fastnachtsumzügen seit dem | |
19. Jahrhundert immer wieder inszeniert: „So wurde beispielsweise auch die | |
damals weitverbreitete und brutale Vertreibung von Sinti und Roma in diesen | |
Umzügen nachgestellt. Da sah man dann verkleidete Polizisten, die Figuren | |
‚krimineller Zigeuner‘ durch das Dorf trieben. Und die Zuschauer, die | |
amüsierten sich über dieses makabre Spiel.“ Das Bild des „Zigeuners“ in… | |
Fastnacht sei schon immer geprägt von Stereotypen und dem Hass auf die | |
„unheimlichen Fremden“. | |
## Beliebteste Verkleidungen | |
In den Katalogen der Karnevalskostüme schillert die Figur: „Als | |
leidenschaftliche Zigeunerin sind Sie im Karneval und Fasching genau | |
richtig“, heißt es bei einem Kostümanbieter. Die „verführerische | |
Zigeunerin“, der „freie Zigeuner“ – sie gehören zu den beliebtesten | |
Karnevalsverkleidungen. | |
„Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass wir nicht alles verbieten wollen | |
und können“, sagt Herbert Heuss vom Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma | |
in Heidelberg. Wenn aber die Minderheit verächtlich gemacht werde, sieht er | |
Handlungsbedarf. Den gab es zum Beispiel, als vor ein paar Jahren bei einem | |
Fastnachtsumzug ein Wagen mit dem Schild „Zick zack Zigeunerpack“ | |
auftauchte. So etwas hält Heuss für nicht hinnehmbar. | |
Gegen jede Tanzgruppe, die sich „Zigeuner“ nennt, einzuschreiten, hält er | |
dagegen nicht für sinnvoll. Angezeigt wäre es, dass die Karnevalsvereine | |
sich bewusst machten, was sie da eigentlich tun. „Die Figur des ‚Zigeuners�… | |
war schon immer faszinierend, mit ihr träumt man sich beim Karneval in ein | |
anderes Leben.“ In ein lustiges „Zigeunerleben, ein Leben ohne Zwänge und | |
Arbeit, ein Leben, in dem die gewohnte Ordnung und Hierarchie umgekehrt | |
werden, für ein paar Tage. Zugleich bleibe die gesellschaftliche Ächtung | |
und Stigmatisierung von Sinti und Roma bestehen. Das – und ihre Rolle dabei | |
– müsse den Karnevalsvereinen klar sein. | |
Dass sein „Zigeuner Helau“ ein Problem darstellen könnte, war dem | |
Niederschmalkaldener Carnevalsverein bisher nicht klar. Der Schlachtruf | |
gehe auf eine Legende zurück, erklärt Vereinschef Guido Wiedemann. Vor | |
Hunderten von Jahren sollen „Zigeuner“ Niederschmalkalden gegründet haben, | |
weil sie eine Wagenpanne hatten. Von dieser Geschichte, sicher nur einer | |
Legende, komme der Spitzname „Zigeuner“ für die Dorfbewohner. Sie würden | |
sich auch selbst so nennen, das sei nicht bösartig gemeint. | |
Dass Menschen, die das nicht wüssten, der Narrenruf irritieren könnte, | |
versteht Wiedemann. Er verweist auf das Gründungsjahr seines Vereins: 1972. | |
„Da hat das wirklich keinen interessiert, schon gar nicht in der DDR.“ Nun | |
überlegt Wiedemann, den Ursprung des Schlachtrufs wenigstens zu erklären | |
und die Geschichte auf die Vereinshomepage zu bringen. | |
Der Verein feiert demnächst 50-jähriges Jubiläum. Der Historiker | |
Jens-Christian Wagner meint, das wäre doch ein guter Anlass, sich von | |
diesem Schlachtruf zu verabschieden. Und vielleicht passiert das sogar. „So | |
etwas ist ja nicht in Stein gemeißelt“, sagt Narrenchef Wiedemann. | |
15 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Marion Mück-Raab | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Sinti und Roma | |
Zentralrat Deutscher Sinti und Roma | |
Karneval | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Landtagswahl in Rheinland-Pfalz | |
Kolumne Flimmern und Rauschen | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Schwerpunkt Rassismus | |
WDR | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gianni Jovanovic über Rassismus: „Ich bin der Mann, der ich bin“ | |
Er ist Rom, er ist schwul, er ist laut. Und er macht rassistische | |
Strukturen sichtbar. Gianni Jovanovic über sich und eine gerechtere | |
Gesellschaft. | |
Fastnacht in Mainz: Helau again! | |
Wir Mainzer sind hochbegabt, aber nicht tiefgründig. Weltoffen, aber erst | |
nach dem Essen. Und die Fastnacht ist heute viel sozialdemokratischer. | |
Medien und Political Correctness: Büttenrede aus dem Homeoffice | |
Dogmatismus ist genauso schlimm wie das, was er zu bekämpfen vorgibt. Denn | |
er teilt die Welt in zwei Lager, ohne Chance auf faire Debatte. | |
Begriff „Rasse“ im Grundgesetz muss weg: Rassismus verbieten, aber wie? | |
Der falsche Begriff „Rasse“ soll aus dem Grundgesetz verschwinden. Die | |
Suche nach einer sinnvollen Alternative dauert jedoch an. | |
Minderheitenwitze im TV: Deutscher Humor | |
Das Unterhaltungsfernsehen macht gern Witze auf Kosten von Minderheiten. | |
Denn Deutsche können nicht über sich selbst lachen. | |
WDR-Talkshow „Die Letzte Instanz“: Das war kein Unfall | |
Nach einer misslungenen Talkrunde über Rassismus versprechen alle | |
Beteiligten Besserung. Aber bei den Öffentlich-Rechtlichen besteht wenig | |
Hoffnung. |