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# taz.de -- Räumung im Hambacher Forst: Baum um Baum, Ast um Ast
> Es geht nur zentimeterweise voran. Die Räumung des Hambacher Forsts wird
> für die Polizei zu einem Geduldsprojekt.
Bild: Ein Umweltaktivist steht am Freitag auf einem Seil im Hambacher Forst
Hambacher Forst/Berlin taz | Als um 12.38 Uhr zunächst ein Knacken und
Rauschen ertönt und dann eine Männerstimme zu hören ist, geht es – wieder …
um die nächsten Zentimeter. „Achtung, Achtung, Achtung“, ruft ein Mann
durchs Megafon. Er befindet sich verschanzt in einer Holzhütte oben, in
einer Baumhaussiedlung namens „Oaktown“ im Hambacher Forst in
Nordrhein-Westfalen. Jetzt spricht er eine Warnung aus.
Um ihn herum, aufseiten der Polizei, auf dem Boden: zwei rote
Hebebühnenlaster und ein blauer, Dutzende behelmte Polizisten,
Höheninterventionsteams in Seuchenschutzanzügen, Waldarbeiter mit
Kettensägen.
Zwischen den Baumwipfeln: fünf Baumhäuser, in denen sich Besetzer befinden,
verbunden mit Kletterseilen und Traversen, behängt mit Plastikplanen und
Transparenten – und der Mann mit dem Megafon.
Drüben, hinter dem Flatterband, stehen die Fernsehkameras, die Journalisten
und die Pressesprecher von Polizei und Baumbesetzern. Beide geben
unermüdlich Interviews. Tag zwei der Räumungsaktion. Die Polizei
konzentriert sich auf „Oaktown“, die wohl größte Baumhaussiedlung im
Hambacher Forst.
„Unter diesen Hütten“, ruft der Mann nun aus dem Baumhaus ins Megafon,
„befinden sich Stollen und Tunnel, in denen sich Menschen angekettet haben.
Der Einsatz von schwerem Gerät auf diesem Boden gefährdet sie.“ Dann ruft
er hinterher: „Hier habt ihr euren Tunnel!“
Das ist er wieder, der Tunnel: Was wurde zuletzt nicht alles diskutiert,
über mutmaßliche Tunnelsysteme im Hambacher Forst. Angeblich gleichen sie
denen der Vietcong. Das jedenfalls schrieb die Lokalpresse. Und die
Autonomen im Hambacher Forst empörten sich über diese lächerliche
Unterstellung.
Jetzt wollen sie doch ein Tunnelsystem haben. „Wichtig“, rufen sie
hinunter. „Wir meinen es ernst, da sind Menschen drin.“ Dann rufen sie noch
mal: „Wichtig, wichtig!“ Unten ertönt wieder das Geräusch einer Kettensä…
Der [1][Hambacher Forst] – ein Wald, der längst zur Chiffre wurde – bewegt
Umweltschützer in ganz Deutschland. Aus Göttingen werden Solidaritätsbilder
gesendet. Dutzende Aktivisten, teils vermummt, blicken darauf aus einem
Fachwerkhaus, aus ihren Fackeln steigt gelber und türkisfarbener Rauch.
„Hambacher Forst verteidigen“ steht auf ihrem Transparent. In Würzburg
gehen Menschen auf die Straße, auch in Gießen und in anderen deutschen
Städten. In Berlin besetzen rund [2][20 Aktivisten in weißen Schutzanzügen]
die nordrhein-westfälische Landesvertretung. In Köln wird noch gerichtlich
um die Polizeiaktion gerungen. Doch das Verwaltungsgericht lehnt die
Beschwerde eines Baumhausbewohners ab.
Es ist ein langsamer, zäher Kampf, Baum um Baum, Ast um Ast, der hier
[3][am Donnerstagmorgen begonnen] hat: Als die Polizei mit schwerem Gerät
anrückte, mit Wasserwerfern, Räumpanzern und Waldmaschinen. Nun, nach
Monaten und Jahren der Auseinandersetzung, werden die Baumhäuser der
Umweltaktivisten im Hambacher Forst geräumt, damit der Energiekonzern RWE
den Wald roden kann. Unter dem Boden liegt Braunkohle. Die ersten
Baumhäuser verschwinden am Donnerstag.
Als am Freitagmorgen der dunkelgrüne Harvester, eine Forstmaschine zum
Entwalden, in das umkämpfte Waldstück vorfährt, braucht er Stunden, um sich
die wenigen hundert Meter bis zu den Baumhäusern vorzuarbeiten. Nach und
nach schneidet die Maschine die großen Äste ab, die ihr im Weg sind, die
kleinen Bäume, teils ganze Baumkronen. Immer wieder senkt sich der
Greifarm, packt die Äste, stapelt sie, packt die Äste, stapelt sie. Dann
legt er sie auf den Anhänger, Abtransport. Fünf Meter nach vorn.
Sicherheitsleute sprayen Markierungen auf Bäume, die noch gefällt werden
sollen. In der Nähe der Baumhäuser huschen sie von Deckung zu Deckung. Nach
etwa fünf Stunden hat die Maschine die Baumhaussiedlung erreicht.
Um 13.37 Uhr ruft jemand durch die Baumkronen „Mona, alles Gute!“ Dann wird
„Mona“ erobert – von der Polizei. Es ist ein Haus mit besonderer
Geschichte. Es gehört „Clumsy“, einem Baumbesetzer mit Sonderstatus, der
seit vier Jahren in dem Waldstück neben dem Tagebau wohnt. „Clumsy“ ist
einer der Aktivisten, denen ein eigenes Baumhaus zustand. Dann ist eine
große Hütte in der Mitte dran, genannt: „Simona“.
Es stinkt beißend nach Urin zwischendurch im Wald, und dann nach Kot. Er
stammt von einem zerstörten Kompostklo.
## Solaranlage abmontiert
Um 14.44 Uhr fällt in „Oaktown“ eine Rauchbombe aus einem Baumhaus. Zehn
Minuten später erklimmen zwei Kletterpolizisten das Dach von „Simona“. Sie
montieren die Solaranlage ab und werfen sie hinab ins Laub.
362 Schritte entfernt von hier, immer am Absperrband der Polizei entlang,
machen sich zu diesem Zeitpunkt vier Einsatzgruppen der Polizei bereit – am
Baumhausdorf „Gallien“. Dies könnte die nächste Waldsiedlung sein, die
weichen muss. Die Beamten haben einen Mundschutz übergezogen. Waldarbeiter
sitzen auf Baumstümpfen und ruhen sich aus. Zwischen den Bäumen sind Seile
gespannt. Darauf bewegen sich Kletteraktivisten, um zu verhindern, dass die
Bäume gefällt werden, so wie in „Oaktown“.
Um 15.12 Uhr, sieben Stunden nach Einsatzbeginn haben die Beamten ein
Baumhaus geräumt: „Simona“. Vier Dutzend weitere haben sie noch vor sich.
14 Sep 2018
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## AUTOREN
Martin Kaul
Anett Selle
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