# taz.de -- Radikalität von Klimaprotesten: Schocktherapie for future | |
> Nur mit gemäßigten Aktionen könne man Mehrheiten gewinnen, wird den | |
> Klimaschützern gern vorgehalten. Aber so einfach ist das nicht. | |
Bild: Aktivist:innen von „Just Stop Oil“ kleben vor Van Goghs „Sonnenblum… | |
Wann die „Gegenwartskunst“ begann, ist umstritten. Gerne wird der abstrakte | |
Expressionismus als Endpunkt der klassischen Moderne markiert und der | |
Beginn der „Gegenwartskunst“ mit dem Jahr 1954, als Jasper Johns mit „Fla… | |
einen Alltagsgegenstand umformte – die US-Flagge eben. Es war ein erstes | |
Wetterleuchten dessen, was später „Pop Art“ genannt wurde. Manche würden | |
wiederum als erste Ikonen der „Gegenwartskunst“ die Suppendosen-Bilder von | |
Andy Warhol nennen, die einen Konsumgegenstand reproduzierten, den jeder | |
kannte. Jüngst haben Klimaschützer ein [1][Van-Gogh-Bild mit Suppe | |
überschüttet], und der Liebhaber subversiver Selbstreferenzialität in mir | |
hätte natürlich ersehnt, dass Campbell-Suppe über Warhols | |
Campbell-Siebdrucke geschüttet worden wäre. Nun, man kann nicht alles | |
haben. | |
Dass die radikalen [2][Protestaktionen der Klimaaktivisten] nicht nur auf | |
Kunst abzielen, sondern auch Stilmittel avantgardistischer Provokation | |
zitieren (vielleicht nicht mal bewusst), ist ja vielfach bemerkt worden, | |
von der Anti-Kunst des Dadaismus bis über die Schüttbilder von Nitsch, die | |
Übermalungen von Arnulf Rainer oder die Schockstrategien der Aktionskunst. | |
„All art is propaganda“, bemerkte schon George Orwell, und so ist auch jede | |
Zerstörung von Kunst zugleich Kunst und Propaganda. Oder so. | |
Natürlich kann man gegen die Attacken auf Kunstwerke einiges einwenden, | |
obwohl bisher keine Kunstwerke zerstört werden, sondern vor allem | |
Glasscheiben beschmutzt oder beschädigt wurden, hinter denen sich die | |
Kunstwerke befanden. Ein Einwand wäre: Die Aktionen zwingen Museen, ihre | |
Sicherheitsmaßnahmen zu verschärfen, was nicht nur Geld kostet, sondern | |
Museen zu Hochsicherheitsinstitutionen machen kann, und das macht die Welt | |
bestimmt nicht besser. Auch ist bei Protestaktionen zweifellos | |
empfehlenswert, dass die konkrete Aktion des zivilen Ungehorsams in einem | |
nachvollziehbaren Verhältnis zur Botschaft steht. Man besetzt, wenn man | |
gegen Panzerlieferungen protestiert, ja auch eher Panzerfabriken und nicht | |
die Wohnung von Herrn und Frau Maier. „Was kann ein Klimt-Bild für den | |
Klimakollaps?“, die Frage drängt sich nicht nur Spießern auf, die sowieso | |
keine Protestaktionen gut finden würden, also auch nicht, wenn man sich im | |
Morgenverkehr an seinen SUV anklebt. Wenigstens die Spur einer kausalen | |
Assoziationskette kann aber sicher nicht schaden. | |
Revolution ja, aber schmutzig soll nichts werden. „Extremisten“ und gar | |
[3][„Klimaterroristen“], werden die Aktivisten gescholten, was natürlich | |
Unfug ist. Die Aktionen sind nicht extremistisch, aber sie sind, wie das | |
ein Aktivist nannte, „drastisch“. Das Problem an drastischen Aktionen | |
dieser Art ist, dass sie Mehrheiten abschrecken und womöglich sogar jene | |
gegen die Anliegen der Engagierten aufbringen, die diesen eigentlich mit | |
Sympathie gegenüberstehen. | |
## Warmduscher verändern wenig | |
Aber die eigentlich interessante Streitfrage ist: Sollen Bewegungen, die | |
eine Gesellschaft radikal verändern wollen, eher Aktionen setzen, die von | |
Mehrheiten sofort unterstützt werden können? Oder ist es | |
erfolgversprechender, auf drastische Weise vorzugehen, um einerseits | |
Mehrheiten zu schockieren und andererseits entschlossene Minderheiten zu | |
aktivieren? Auf diese Schlüsselfrage gibt es keine ganz leichte Antwort, | |
gerade wenn man die Lehren der Geschichte berücksichtigt. Engagierte | |
Minderheiten können Gesellschaften oft besser verändern als Warmduscher, | |
die immer die Zustimmung von allen Seiten ersehnen. | |
Bringen wir etwas Systematik rein: Zunächst einmal kann man natürlich zu | |
bedenken geben, dass die freundliche Art des Aktivismus, wie sie bisher | |
„Fridays for Future“ setzte und etwa Greta Thunberg zu einer globalen | |
Celebrity machte, viel freundlichen Zuspruch und Solidarität erntete, aber | |
nicht die erwünschten Erfolge hatte, nämlich die entschlossene Öko-Wende. | |
Nur ist mit dem Einwand noch nicht gesagt, dass ein radikaleres Vorgehen | |
erfolgreicher gewesen wäre. Höchstwahrscheinlich wäre es noch „erfolgloser… | |
gewesen, wenn man unter „Erfolg“ klare, messbare Konsequenzen versteht. | |
Die Gefahr bei radikalen Aktionen ist nicht nur die der „Kriminalisierung“ | |
des Protestes, sondern vor allem die gesellschaftliche Isolation der | |
Engagierten. Die Gefahr beim moderaten Engagement ist allerdings, dass man | |
wegen des Wunsches, anschlussfähig an Mehrheiten zu bleiben, die | |
gesellschaftsverändernden Forderungen und Programmatiken so weich spült, | |
dass am Ende kaum etwas davon übrig bleibt. Oder im schlimmsten Falle, dass | |
man sich an eine imaginierte Mehrheit so anschmiegt, dass man unfähig wird, | |
diese Mehrheit in die eigene Richtung zu verschieben. | |
Das ist nicht trivial, wie man andauernd vorgeführt bekommt. Quer über den | |
Globus hat in den vergangenen Jahren eine harte Rechte Politik und Diskurse | |
massiv verändert, und zwar nicht, indem sie „gemäßigt“ oder „vernünft… | |
vorging, sondern durch den Extremismus und das tägliche Gift der Verrohung, | |
mit dem sie ganze Gesellschaften kontaminiert hat. Trump, Meloni & Co haben | |
ja nicht Erfolg, weil sie sich sanft und schmeichelweich geben, sondern | |
indem sie rabiat und aggressiv agieren, während die Gegenseite eher | |
defensiv und „vernünftig“ ist. | |
Diese Tatsache nährt den Verdacht, dass nicht nur „rabiates“ Vorgehen | |
Gefahr läuft, in Isolation zu enden, sondern dass umgekehrt auch zu | |
vernünftiges Vorgehen einer Gefahr ausgesetzt ist, der nämlich, defensiv | |
und wirkungslos zu bleiben. | |
Fakt ist: Es waren in der Geschichte immer radikale Minderheiten, die | |
Veränderungsprozesse in Gang brachten, indem sie ein Thema auf die Agenda | |
setzten und Gruppen entschlossener Engagierter bildeten, die die | |
Veränderungen in Gang brachten. Noch radikalere Teile dieser Engagierten | |
haben immer „übertrieben“, also breite Teile der Gesellschaft geschockt. | |
Und Moderate wiederum haben danach Mehrheiten gewonnen, die akzentuierten | |
Forderungen in Kompromisse übersetzt, die die Welt im besten Falle | |
weiterbrachten. | |
30 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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