# taz.de -- Psychedelische Substanzen in der Medizin: „Würde Behandlung nich… | |
> Können LSD und Psilocybin psychische Erkrankungen heilen? Der Professor | |
> für klinische Psychologie Eiko Fried hält die Euphorie für verfrüht. | |
Bild: Therapie mit Magic Mushrooms gegen Traumata | |
taz: Herr Fried, lassen sich [1][depressive Störungen] mit Psychedelika | |
sicher und wirksam behandeln? | |
Eiko Fried: Dieser Eindruck wird immer wieder fälschlicherweise vermittelt. | |
Sowohl durch euphorische Medienberichte zum Beispiel über Studien mit dem | |
Pilzwirkstoff Psilocybin, aber auch durch Aussagen von einzelnen | |
Forschenden. Die Wahrheit aber ist: De facto wissen wir das noch nicht, | |
weil es dazu noch lange nicht genug Forschung gibt. Und die vorhandene | |
Forschung hat eine ganze Reihe großer methodologischer Probleme. | |
Welche sind das? | |
Wissenschaftliche Studien mit Psychedelika sind oft „offene“ oder „open | |
label“-Studien. Es fehlt eine Kontrollgruppe, die eine etablierte | |
Behandlung wie Psychotherapie oder ein Placebo bekommt. | |
Warum ist das problematisch? | |
Weil es die Frage offen lässt, ob Psychedelika besser wirken als ein | |
Placebo oder eine Behandlung, die es schon gibt. Forschende an der | |
Johns-Hopkins-Universität haben im Februar zum Beispiel ein Paper zur | |
Psilocybin-unterstützten therapeutischen Behandlung von Depressionen | |
herausgebracht. 12 Monate Follow-up. 80 Prozent der Teilnehmenden sagen, | |
dass es ihnen ein Jahr nach der [2][Psilocybin-Behandlung] besser geht. | |
Klingt doch super. | |
Ja, das sagen dann immer alle zu mir: Eiko! 12 Monate Follow-up! 80 Prozent | |
der Leute, die zu Beginn der Behandlung eine depressive Episode hatten, | |
geht es ein Jahr später viel besser! Und dann sage ich: Aber es gab keine | |
Kontrollgruppe. Denn möglicherweise haben die Leute ja in diesem Jahr eine | |
Psychotherapie gemacht oder andere Medikamente bekommen. Das wurde in der | |
Studie nicht erfasst. Zudem sind Depressionen episodisch. Selbst wenn man | |
diesen Menschen Karotten – oder eben ein Placebo – gegeben hätte, wäre es | |
möglich, dass es ihnen nach einem Jahr besser geht. Das liegt in der Natur | |
der Depression. Die kommt und geht. | |
Es ist aber nicht so, dass es gar keine Studien zu Psychedelika mit | |
Kontrollgruppen gibt. | |
Das stimmt. Aber wenn es eine Kontrollgruppe gibt, dann wissen die | |
Teilnehmenden meistens, in welcher Gruppe sie sind. Aus dem einfachen | |
Grund, dass man Psychedelika wie Psilocybin, oder auch MDMA nicht wirklich | |
verblinden kann. | |
Warum ist es problematisch, wenn klar ist, wer die aktive Substanz bekommt | |
und wer ein Placebo? | |
Wenn Patient*innen wissen, dass sie in der Kontrollgruppe sind, ist das | |
natürlich demotivierend, was dann die Wirksamkeit der Kontrollgruppe | |
verringern kann. Möglicherweise funktioniert die Experimentalgruppe also | |
nicht besser als das Placebo, sondern die Placebogruppe ist bloß | |
demotiviert und schneidet deswegen schlechter ab. | |
Das Problem gibt es allerdings nicht nur auf der Seite von Patient*innen, | |
sondern auch bei den Forschenden: Die bewerten, zum Beispiel durch | |
klinische Interviews, ob die Behandlung in der Experimentalgruppe besser | |
funktioniert hat als in der Kontrollgruppe. Und wenn die Forschenden | |
wissen, in welcher Gruppe eine Patient*in ist, die sie gerade befragen, | |
dann beeinflusst das möglicherweise das Urteil. | |
Wie bewerten Sie denn die Teilnehmendenzahlen von Psychedelika-Studien? In | |
der Johns-Hopkins-Studie, die Sie vorhin erwähnt haben, wurden die | |
Ergebnisse von 24 Proband*innen ausgewertet. | |
Zweistellige Proband*innenzahlen können Sie vergessen. | |
Wissenschaftliche Studien funktionieren im Grunde genauso wie Umfragen. Wir | |
untersuchen eine Stichprobe, aber wir wollen eigentlich wissen, was in der | |
gesamten Bevölkerung passiert. Und wir wissen alle: Wenn ich herausfinden | |
will, ob Joe Biden oder Donald Trump die nächste Präsidentschaftswahl | |
gewinnt, muss ich mehr als 24 Leute fragen. | |
Eine Studie muss, genauso wie eine Umfrage, repräsentativ sein. Das | |
bedeutet auch, dass ich nicht nur Männer, oder nur Frauen, oder nur | |
Zugewanderte fragen kann. In vielen psychedelischen Studien liegen die | |
Teilnehmendenzahlen aber sehr oft im niedrigen zweistelligen Bereich. Und | |
das ist ein Problem. Denn ich will ja nicht wissen, ob [3][die | |
psychedelische Therapie] für Peter, Susanne oder Markus funktioniert. Ich | |
will wissen, ob MDMA Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung | |
hilft, oder ob Psilocybin oder Ketamin und Esketamin bei Depressionen | |
wirken. Und das finde ich mit derart kleinen Stichproben nicht heraus. | |
Forschende begründen die geringen Teilnehmendenzahlen oft damit, dass die | |
Studien teuer sind und nicht mehr Geld da ist, um weitere Proband*innen | |
in die Studie einzuschließen. | |
Keine Frage: Ich weiß, dass große Studien teuer und schwierig zu | |
finanzieren sind. Aber das ändert nichts daran, dass verallgemeinernde | |
Schlussfolgerungen bei derart kleinen Stichproben unseriös sind. Und ich | |
finde, auch das müssten Forschende in ihren Papers sehr viel transparenter | |
benennen – was leider auch zu selten passiert. Hinzu kommt: Wenn die Zahl | |
der Studienteilnehmenden so gering ist, dann können sich die Forschenden | |
oft aussuchen, wen sie mit in die Studie einschließen. | |
Elon Musk twitterte Anfang Juli: „Psychedelika und MDMA können einen echten | |
Unterschied für die psychische Gesundheit machen, insbesondere bei extremer | |
Depression und PTBS. Das sollten wir ernst nehmen.“ | |
Kein Wunder, dass die Leute alles tun, um an solchen Studien teilnehmen zu | |
dürfen. Stellen Sie sich vor, Sie leiden seit 10, 15, oder 20 Jahren an | |
einer schweren psychischen Erkrankung wie PTSD … | |
… die posttraumatische Belastungsstörung … | |
Sie wachen jeden Tag mit Albträumen auf und erleben immer wieder | |
Flashbacks. Und dann hören Sie im Radio, MDMA sei das neue Wundermittel, | |
das diese Krankheit heilen kann. Da erzählen Sie dann eben vielleicht auch | |
dem Therapeuten, was er hören will, um ihn nicht zu enttäuschen. | |
Wie viele Studienteilnehmende sollten es denn sein, damit man | |
generalisierbare Aussagen treffen kann? | |
Es gibt statistische Modelle, mit denen wir ausrechnen können, wie groß | |
Stichproben sein müssen. Dreistellig sollte es in jedem Fall sein. | |
In der [4][aktuellen Psilocybin-Studie] bei behandlungsresistenten | |
Depressionen am Zentralinstitut in Mannheim und an der Chartité in Berlin | |
sind 144 Patient*innen vorgesehen. Reicht das? | |
Das ist ein guter Start. | |
Ein im April in Nature Medicine erschienenes Paper wurde von anderen | |
Wissenschaftler*innen besonders heftig kritisiert. Untersucht wurde, | |
was im Gehirn von Menschen passiert, die entweder Citalopram, ein bereits | |
zugelassenes Antidepressiva, oder Psilocybin bekommen haben. Die | |
Ergebnisse, so schreiben die Autoren der Studie, „legen einen | |
antidepressiven Mechanismus für die Psilocybin-Therapie nahe“. Einer der | |
Studienautoren behauptete später auf Twitter sogar, die Studie sei „der | |
Beweis“, dass Psilocybin besser wirke als Antidepressiva. Was war die | |
Kritik? | |
Es gab verschiedene Kritikpunkte. Ich erkläre mal einen besonders | |
markanten. Weil von der Pharmaindustrie gesponserte Studien fünfmal so | |
häufig signifikante Ergebnisse haben wie unabhängige Studien, hat die FDA | |
irgendwann festgelegt, dass alle Studien ein primäres Messinstrument haben | |
müssen. Man muss also vorab unter anderem sagen, wie man zum Beispiel | |
Depression messen möchte. Das ist wichtig, weil es zur Messung von | |
Depressionen unzählige verschiedene Fragebögen gibt. Und die Autoren | |
besagter Studie haben am Ende eben nicht den Fragebogen analysiert, den sie | |
vorher festgelegt hatten, sondern einen anderen. | |
Warum? | |
Einer der Autoren der Studie, Robin Carhart-Harris … | |
… auch er ist ein angesehener Wissenschaftler auf diesem Feld … | |
… hat später in einer Antwort auf die Kritik geschrieben: Weil der andere | |
Fragebogen besser funktioniert hat. Das wäre meiner Meinung nach eigentlich | |
ein Grund, das Paper zurückzuziehen. Bei uns im Feld nennen wir sowas | |
P-Hacking. Man analysiert die Daten so lange auf unterschiedlichen Wegen, | |
bis man ein signifikantes Ergebnis findet. Das ist sehr problematisch. | |
Wie kann sowas passieren? | |
Ich kann hier nur spekulieren, aber für mich gibt es eigentlich nur zwei | |
mögliche Gründe. Möglichkeit eins: Es besteht ein Interessenkonflikt. In | |
Psychedelika wird gerade enorm viel Geld investiert. Entsprechend hoch sind | |
die Erwartungen, dass die Substanzen auch irgendwann von den | |
Regulierungsbehörden zugelassen werden. Möglichkeit zwei: Es gibt sicher | |
Leute, bei denen die Therapie mit Psychedelika hilft. Die Forschenden sehen | |
Erfolge mit einzelnen Patient*innen und sind deshalb nicht mehr | |
neutral. | |
Wissenschaftler*innen sind auch nur Menschen. Deswegen ist es umso | |
wichtiger, dass Studien ordentlich durchgeführt werden. Dabei ist mir | |
wichtig zu sagen: Natürlich gibt es auch viele Forschende in diesem Feld, | |
die das alles sehr ernst nehmen und strenge und wissenschaftlich robuste | |
Arbeit machen. Aber wenn jemand aus meiner Familie eine psychische | |
Erkrankung hätte, ich würde bei der aktuellen Evidenz die Behandlung mit | |
Psychedelika nicht empfehlen. | |
29 Aug 2022 | |
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## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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