# taz.de -- Psychedelische Substanzen in der Medizin: Trip gegen die Depression | |
> Magic Mushrooms zur Behandlung psychischer Erkrankungen? Erste | |
> Studienergebnisse sind vielversprechend, Forschende skeptisch. | |
Bild: In Magic Mushrooms steckt der Wirkstoff Psilocybin | |
BERLIN taz Nach fünfzig Jahren Pause ist die Psychedelikaforschung nach | |
Deutschland zurückgekehrt. In einer gemeinsamen Studie untersuchen | |
Wissenschaftler*innen derzeit am Zentralinstitut für Seelische | |
Gesundheit in Mannheim und an der Charité in Berlin, ob der Pilzwirkstoff | |
Psilocybin bei sogenannten behandlungsresistenten Depressionen hilft. | |
Untersucht werden Patient*innen, die zuvor bereits andere | |
Behandlungsmethoden ausprobiert haben, denen es aber nicht besser geht. | |
Etwa ein Viertel der insgesamt 144 der geplanten Proband*innen wurden | |
laut einer an der Studie beteiligten Ärztin bereits untersucht. Bis zum | |
Herbst 2023 wollen die Forschenden alle Daten erhoben haben. | |
Seit knapp zehn Jahren steigt die Zahl der Publikationen in diesem | |
Forschungsbereich weltweit rapide an – so schnell, dass es selbst | |
Fachleuten bisweilen schwerfällt, den Überblick zu bewahren. Erforscht wird | |
mittlerweile vor allem Psilocybin, der psychoaktive Wirkstoff von [1][Magic | |
Mushrooms]. In ausreichender Menge konsumiert, löst die Substanz einen | |
halluzinogenen Rauschzustand aus – in der Wirkung vergleichbar mit LSD. | |
Wegen der kürzeren Wirkungsdauer hat sich die Substanz im Klinikalltag als | |
praktischer erwiesen. | |
Abgesehen von Studienzwecken ist Psilocybin in Deutschland verboten – egal | |
in welcher Darreichungsform. In Ländern wie Holland dagegen ist nur der | |
Pilz illegal – das ebenfalls psilocybinhaltige Wurzelgeflecht nicht. Die | |
Folge: Es gibt einen Markt für psychedelische Selbsterfahrungsretreats, der | |
nicht der wissenschaftlichen Forschung dient. An so einem hat Sibren de | |
Preter teilgenommen, ein 26-jähriger Belgier. Weil das Retreat legal war, | |
ist er auch bereit, davon öffentlich zu erzählen. | |
## Mit Pilzen zur Selbstfindung | |
De Preter ist kein Depressionspatient, sondern das, was man unter | |
Forschenden einen „healthy normal“ nennt. Aber auch er hatte mit | |
psychischen Belastungen zu kämpfen, derer er sich mithilfe von Psilocybin | |
habe widmen wollen. „Seit ich klein war, hatte ich Probleme mit meinem | |
Selbstwertgefühl“, sagt de Preter. „Ich musste mich ständig beweisen, habe | |
mich immer mit anderen verglichen und hatte das Gefühl, nicht gut genug zu | |
sein.“ | |
Er habe Selbsthilfebücher gelesen und sich coachen lassen, sagt er. | |
„Rational habe ich dabei viel begriffen, aber emotional kam davon nur | |
sehr wenig bei mir an.“ Auf Psychedelika brachte ihn Michael Pollans Buch | |
„How to Change Your Mind“, das 2018 auf Englisch erschien und dafür sorgte, | |
dass der Hype um die „Psychedelic Renaissance“ auch in den Mainstream | |
schwappte. Dabei sind weder die Begeisterung noch die hohen Erwartungen an | |
die Wirkmächtigkeit dieser Substanzen neu. | |
In den 1950er und 1960er Jahren wurde [2][die Wirkung von psychedelischen | |
Substanzen] schon einmal erforscht. In den USA, aber auch in Europa. Der | |
deutsche Psychiater und Psychotherapeut Hanscarl Leuner gehörte zu den | |
Pionieren der sogenannten psycholytischen Therapie. Am Uniklinikum | |
Göttingen hat er bis zum Verbot der Substanzen in den 1970er Jahren | |
Psychedelika an seine Patient*innen verabreicht. Wie Psychedelika | |
genau wirken, ist nach wie vor unklar. Dank neuerer Studien aber haben | |
Wissenschaftler*innen mittlerweile Theorien formuliert. | |
Als wissenschaftlich erwiesen gilt, dass Psilocybin ebenso wie LSD einen | |
bestimmten Serotonin-Rezeptor im Gehirn stimuliert. Serotonin ist ein | |
Neurotransmitter und wird umgangssprachlich auch immer wieder als eines der | |
körpereigenen Glückshormone bezeichnet. Auch verbessert sich durch die Gabe | |
von Psychedelika wohl die Fähigkeit des Gehirns, sich umzuorganisieren. So | |
werden unter dem Einfluss der Substanzen bestimmte Verbindungen gestärkt, | |
geschwächt oder neu angelegt. Neurowissenschaftler*innen sprechen | |
von einer erhöhten Neuroplastizität. | |
## Was passiert genau im Kopf? | |
Das wiederum könnte zum Beispiel für Depressionspatient Hanscarl | |
Leuner wichtig sein, weil bei Depressionen genau diese Plastizität | |
möglicherweise nachlässt. Studien zeigen, dass schon eine einzige hohe | |
Dosis Psychedelika die Plastizitätsmechanismen des Gehirns auf molekularer, | |
neuronaler, synaptischer und dendritischer Ebene rapide verändert. | |
Von einer weiteren, wenn auch verwandten Theorie spricht die Berliner | |
Ärztin Andrea Jungaberle. Sie ist Teil des Forschungsteams, das derzeit die | |
Wirkung von Psilocybin bei depressiven Patient*innen untersucht. „Die | |
Theorie, die mir auf neurobiologischer Ebene am sinnvollsten erscheint, | |
besagt, dass durch die Substanzen plötzlich Hirnareale miteinander | |
sprechen, die sonst nicht miteinander kommunizieren“. Sie wählt eine | |
Metapher, um das Prinzip zu erklären: „Bestimmte Areale in unserem Gehirn | |
haben so etwas wie Arbeitsgruppen gebildet und sind es gewohnt zu | |
kooperieren.“ | |
Durch Psychedelika kämen plötzlich neue Mitarbeitende hinzu. Dadurch würden | |
andere Stimmen und Bilder zugänglich. „Ereignisse werden anders erinnert | |
und andere gedankliche Zusammenhänge entstehen, die so vorher nicht möglich | |
waren.“ Man spräche deshalb auch von „disruptiven Erfahrungen“. Menschen | |
mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Suchterkrankungen oder | |
Angst- und Zwangsstörungen, wie zum Beispiel Essstörungen, könnten von | |
diesem Effekt profitieren. | |
Wie sich das anfühlen kann, hat Sibren de Preter erlebt. Unter dem Einfluss | |
von Psilocybin sei er gestorben und wiedergeboren, sagt er. Dreimal habe er | |
den eigenen Tod gespürt. Mit jedem Mal habe er besser loslassen und sich | |
diesem Tod hingeben können. „Als ich zum dritten Mal wiedergeboren wurde, | |
habe ich nur noch Liebe gefühlt“, sagt de Preter, „Liebe zu mir selbst.“ | |
Seitdem habe er nicht mehr so derart mit Selbstzweifeln zu kämpfen. | |
## Verbundenheit mit der Umwelt | |
Von sogenannten Auflösungserfahrungen, wie de Preter sie schildert, | |
berichteten Patient*innen immer wieder, sagt Katrin Preller, die als | |
Neuropsychologin an der Universitätsklinik in Zürich zu Psilocybin und LSD | |
forscht. Von vielen werde das als eine Art transzendentale Erfahrung | |
erlebt, abhängig von den Erwartungen und Erfahrungen jedes Patienten. | |
Psychedelika gelten als Verstärker von Gedanken, Bildern und Konzepten, die | |
in der Psyche einer Person bereits angelegt sind – nicht als Substanzen, | |
die bei allen Menschen dieselben Effekte induzieren. | |
„Häufig empfinden die Patienten ein sehr starkes Gefühl der Verbundenheit, | |
sowohl mit sich selbst, als auch zur Natur und anderen Menschen“, sagt | |
Preller. Darin liege ebenfalls ein heilender Effekt. „Diese Verbundenheit“, | |
sagt sie, „ist etwas, das depressive Menschen oft durch die Krankheit | |
verlieren.“ | |
Erste Studienergebnisse aus den USA legen nahe, dass Psilocybin bei | |
Depressionen, aber auch bei Suchterkrankungen, Essstörungen und | |
Zwangsstörungen helfen könnte – wenn auch bislang nur bei sehr kleinen | |
Patient*innenzahlen. Wobei nicht alle Ergebnisse in eine Richtung deuten: | |
Eine kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie kam | |
etwa zu dem Ergebnis, dass Psilocybin im Vergleich mit einem klassischen | |
Antidepressivum bei depressiven Patient*innen lediglich gleich gut wirkt. | |
Trotzdem hat die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA Psilocybin aufgrund | |
der bisherigen Forschungsergebnisse den sogenannten breakthrough status | |
verliehen. Der soll die Zulassung als legal verfügbares Medikament | |
beschleunigen. Bereits in wenigen Jahren könnte es zu einer | |
Medikamentenzulassung von Psilocybin in den USA kommen. Europa könnte | |
nachziehen. So vielversprechend die bisherigen Forschungsergebnisse aber | |
klingen mögen, so unseriös sei es, daraus voreilige Schlüsse zu ziehen, | |
warnen Forschende. | |
## Hohe Erwartungen | |
Einer von ihnen ist Gerhard Gründer, der die aktuelle deutsche | |
Psilocybin-Studie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim | |
leitet: „Wenn man ehrlich ist, ist die Datenlage noch recht bescheiden und | |
steht tatsächlich in einem gewissen Missverhältnis zu den großen | |
Hoffnungen, die auch wir in die Substanzen haben“, sagt er. Es gebe – etwa | |
in Bezug auf die Wirkung bei Depressionen – bislang nur eine Handvoll | |
abgeschlossener Studien, noch dazu mit sehr kleinen Patient*innenzahlen | |
und oft ohne doppelte Verblindung. | |
Ohnehin stellt die Verblindung Forschende vor ein Problem, weil die | |
Wirkung der Substanzen in hohen Dosen so stark ist, dass schnell klar ist, | |
wer ein Placebo bekommen hat und wer nicht. Auch die oft hohe Erwartung, | |
sowohl von Patient*innen, als auch von Forschenden – ausgelöst zum Beispiel | |
durch den Hype um die Wirkung der Substanzen – kann sich verfälschend auf | |
Studienergebnisse auswirken. | |
Gründer ist darum bemüht, die Erwartungen zu dämpfen: „Die Ergebnisse | |
dieser Studien sind zwar überzeugend, weil sie einen starken Effekt | |
nachweisen.“ Aber oft schwäche sich der zuvor in kleineren Studien | |
gefundene Effekt in größeren Studien mit einer diversen | |
Patient*innenpopulation noch einmal deutlich ab. Es ist Gründer wichtig, | |
zu betonen: „Es ist nicht zu erwarten, dass Psychedelika ein Allheilmittel | |
sind, das bei allen gleich gut wirkt.“ | |
Sicher wisse man bislang, dass Psilocybin, eingebettet in ein | |
kontrolliertes therapeutisches Setting, eine relativ ungefährliche Substanz | |
sei, sagt die Psychologin Lea Mertens, die zu Gründers Team in Mannheim | |
gehört. Jedoch gebe es klare Kontraindikationen für die Behandlung. | |
Menschen etwa, die gefährdet oder familiär vorbelastet seien, eine Psychose | |
zu erleiden, kommen für eine mit Psilocybin und anderen Psychedelika | |
unterstützte Therapie nicht infrage. | |
Auch bei einer anderen Sache sind sich Forschende einig: Psychedelika | |
könnten bei Patient*innen in psychiatrischer Behandlung nur dann ihre | |
möglicherweise heilsame Wirkung entfalten, wenn sie im Rahmen einer | |
Therapie verabreicht werden. Der Konsum allein reiche nicht aus. Die | |
Selbstmedikation ohne Begleitung durch geübtes Personal berge Gefahren: | |
„Eine psychedelische Erfahrung ist immer ein Eingriff in die Hirnchemie“, | |
sagt die Ärztin Jungaberle. „Da kann also auch immer was schiefgehen.“ | |
22 May 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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