# taz.de -- Proteste gegen deutschen Arzt: Colonia-Dignidad in Krefeld | |
> Sekten-Arzt Hopp wurde wegen Kindsmissbrauch verurteilt, weitere | |
> Verbrechen werden ihm zur Last gelegt. Er wohnt in Krefeld, statt in | |
> Chile im Knast zu sitzen. | |
Bild: Ruth Kries (M.) floh 1973 aus Chile nach Deutschland. Hier protestiert si… | |
KREFELD taz | Es ist eine ungewöhnliche Kundgebung an einem ungewöhnlichen | |
Ort. Rund vierzig DemonstrantInnen haben sich am Samstagmittag in der | |
Krefelder Innenstadt versammelt. Ihre Blicke richten sich auf ein | |
schmuckloses Mehrfamilienhaus. Dort wohnt jener Mann, gegen den sie ihre | |
„Funa“ veranstalten: Hartmut Hopp, einst Führungskader der Colonia Dignidad | |
in Chile. | |
„Funa“ stammt aus dem chilenischen Spanisch. In dem Andenstaat benutzen | |
Menschenrechtsgruppen das Wort für „anprangern“, wenn sie vor die Häuser | |
der Täter ziehen, um über Verbrechen der Pinochet-Diktatur (1973–1990) | |
aufzuklären. „Die Täter wollen das Vergangene vergangen sein lassen, die | |
Opfer können das nicht“, sagt Dieter Maier, der die Funa in Krefeld | |
organisiert. | |
Der Journalist beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Machenschaften der | |
deutschen Sektensiedlung Colonia Dignidad, die das Terrorregime in Chile | |
tatkräftig unterstützt hatte. „Deutschland darf kein sicherer Rückzugsort | |
für Menschen werden, die in anderen Ländern in die Repression einer | |
Militärdiktatur verwickelt waren, und Krefeld sollte nicht wortlos dabei | |
zuschauen.“ | |
Hartmut Hopp war die rechte Hand des Sektengründers Paul Schäfer. Der Arzt | |
leitete das Krankenhaus und galt als eine Art „Außenminister“ der | |
evangelikalen Sekte. Er soll in engem Kontakt zu Augusto Pinochet und dem | |
chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras gestanden haben, dessen | |
Geheimpolizei „Dina“ die Colonia Dignidad als Folterzentrum genutzt hatte. | |
Inzwischen ist Hopp in Chile Angeklagter in Verfahren wegen Mordes an | |
politischen Gefangenen und wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. | |
Verurteilt wurde er bereits wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Am 25. | |
Januar 2013 verurteilte ihn der Oberste Gerichtshof Chiles zudem als | |
Mittäter von systematischem sexuellen Missbrauchs von Kindern rechtskräftig | |
zu fünf Jahren Haft. | |
## Täter nach Deutschland geflohen | |
Doch vollstreckt werden konnte das Urteil nicht: Im Mai 2011 floh Hopp nach | |
Deutschland. Seitdem lebt er in Krefeld. Die ihm vorgeworfenen Taten | |
bestreitet Hopp. In einer Stellungnahme, die er nach seiner Flucht nach | |
Krefeld veröffentlichte, spricht er von „Verleumdungen“. Er sieht sich als | |
unschuldig Verfolgter: „Soweit es sich um Behauptungen chilenischer | |
Behörden handelt, die mich solcher Taten bezichtigen wollen, stellen sie | |
eine flagrante Verletzung meiner Rechte dar.“ | |
2013 jährt sich der Putsch in Chile zum vierzigsten Mal. Eng mit den neuen | |
Machthabern verbandelt, brachen für die antikommunistische Colonia Dignidad | |
mit dem Sturz des Sozialisten Salvador Allende am 11. September 1973 | |
goldene Zeiten an. Für die Ärztin Ruth Kries hingegen brach eine Welt | |
zusammen. Nur einen Tag nach dem Staatsstreich ließen die Militärs ihren | |
Mann Hernan Henriquez Aravena, einen Unterstützer Allendes, „verschwinden“. | |
Es heißt, er wurde erschossen. Was genau mit dem linken Arzt geschah, weiß | |
die mittlerweile 69-Jährige nicht. Sie selbst floh im Dezember 1973 mit | |
ihren vier Kindern nach Frankfurt am Main, wo sie bis heute lebt. „Es ist | |
unerträglich, die Mörder auf der Straße zu sehen“, erklärt Kries, warum s… | |
auch nach dem Ende der Diktatur nicht in ihre alte Heimat zurückgekehrt | |
ist. | |
## Touristenattraktion „Villa Baviera“ | |
Nicht minder unerträglich findet sie, dass die Colonia Dignidad, die sich | |
inzwischen „Villa Baviera“ nennt, immer noch existiert – nicht zuletzt da… | |
der großzügigen Unterstützung Deutschlands. Kries hat keinerlei Verständnis | |
dafür, dass mithilfe deutscher Gelder aus dem einstigen Horrorcamp eine | |
Touristenattraktion werden soll. „Das ist eine Schande“, empört sie sich. | |
Seit 2008 erhielt die Siedlung mit ihren rund 160 überwiegend | |
deutschstämmigen Bewohnern mehr als 1,1 Millionen Euro aus Mitteln des | |
Haushalts des Auswärtigen Amtes für angebliche „Projekte zur Förderung der | |
Integration der VB in die chilenische Gesellschaft“. | |
Die Colonia Dignidad | |
Anfänge: 1961 flieht der Baptistenprediger Paul Schäfer mit mehr als drei | |
Dutzend Familien nach Chile. In Deutschland ermittelte da bereits die | |
Staatsanwaltschaft wegen Kindesmissbrauchs gegen den ehemaligen | |
Jugendpfleger. Schäfer gründet im Süden Chiles die Colonia Dignidad, die | |
„Kolonie der Würde“. Die Siedlung umfasst rund 30.000 Hektar und ist von | |
der Außenwelt hermetisch abgeschottet. | |
Sektenchef: Paul Schäfer, 1921 geboren, kommt aus einfachen Verhältnissen. | |
Es gelingt ihm, ganze Familien mit seiner Verheißung vom Leben in einer | |
urchristlichen Gemeinde um sich zu scharen, zum Teil entführt er auch | |
Kinder nach Chile. In der Colonia Dignidad missbraucht Schäfer über | |
Jahrzehnte Dutzende von Jungen. Erst Mitte der 1990er Jahre wendet sich das | |
Blatt gegen ihn: Chilenische Eltern verklagen Schäfer wegen | |
Kindesmissbrauchs. Schäfer taucht unter und wird erst 2005 in Argentinien | |
verhaftet. 2006 wird er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Er stirbt 2010 | |
in chilenischer Haft. | |
Zwangsregime und Folter: Die Koloniebewohner werden nach Geschlechtern | |
getrennt, Schläge, Freiheitsentzug und Folter mit Elektroschocks sind an | |
der Tagesordnung. Die BewohnerInnen arbeiten zudem Jahrzehnte ohne | |
Bezahlung in der Landwirtschaft, der Bäckerei, im Krankenhaus oder der | |
Gaststätte der Kolonie. Während der chilenischen Militärdiktatur | |
(1973-1990) wurden in der Siedlung Diktaturgegner gefoltert. In Deutschland | |
erfahren Öffentlichkeit und Parlament ab Mitte der 1970er Jahre davon, dass | |
in der Kolonie Folter und Missbrauch stattfinden. Doch etliche Politiker | |
sowie unter anderem der deutsche Botschafter in Santiago, Erich Strätling, | |
halten lange Zeit ihre Hand über die Colonia. | |
Die Colonia heute: Nach Schäfers Flucht erodieren die Strukturen. Heute | |
nennt sich die Siedlung Villa Baviera (Bayerisches Dorf) und wirbt mit | |
urdeutschem Brauchtum, Bier, Essen und Übernachtungsmöglichkeiten um | |
Feriengäste. Etliche Verbrechen sind bis heute nicht aufgearbeitet, die | |
Opfer nicht entschädigt. | |
24 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Pascal Beucker | |
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