# taz.de -- Protest: Eine Mauer spaltet Berlin | |
> Rund 6.000 Menschen demonstrieren gegen Teilabriss der East Side Gallery. | |
> Es geht nicht nur um Beton, sondern um die Aneignung von Stadt | |
Bild: Gedrängel am ehemaligen Todesstreifen | |
Es ist ein sonniger Nachmittag - und es ist eine entspannte und gut | |
gelaunte Demonstration, zu der sich am Sonntag an der East Side Gallery | |
über 6.000 Menschen versammelt haben. Auf der Bühne spielt eine Band, | |
Loveparade-Gründer und Techno-DJ Dr. Motte lässt die Berliner rufen: | |
"Wowereit, das Denkmal bleibt", Schauspieler Ben Becker fordert mit | |
geballter Faust zur andauernden Mahnwache auf. Es geht um das mit 1,3 | |
Kilometern längste erhaltene Stück Mauer, das es noch gibt. | |
Die nach der Wende von rund 120 Künstlern gestaltete Mauer ist die | |
zweitgrößte Touristenattraktion Berlins nach dem Brandenburger Tor. Nun ist | |
sie vom Teilabriss bedroht - für eine Fußgängerbrücke, die von den Bürgern | |
des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg qua Bürgerentscheid gefordert wurde, | |
aber auch wegen eines Luxuswohnturms, der hier, mitten auf dem ehemaligen | |
Todesstreifen, gebaut werden soll. Während sich auf der Bühne Politiker wie | |
Bundestagsabgeordneter Christian Ströbele und Bezirksbürgermeister Franz | |
Schulz (beide Grüne) in Selbstkritik üben, bringt es eine Demonstrantin auf | |
der Punkt. Sollte dieser Turm gebaut werden, sagt sie, dann wird die Mauer | |
zu einem "Gartenzaun für schönes Wohnen" degradiert. | |
An diesem sonnigen Nachmittag geht es also auch um die Mauer, aber eben | |
nicht nur. Ein Großteil der Demonstration setzt sich aus Partyvolk | |
zusammen. Es sind Macher der Bar 25 da, die noch in diesem Jahr den | |
Holzmarkt bauen werden - andere wirken, als hätten sie keinen Abend im Yaam | |
verpasst. Viele sind um die vierzig, tragen verspiegelte Sonnenbrillen, | |
bunte Haare und gedehnte Ohrlöcher, sie haben die Demo zum Familienausflug | |
umfunktioniert und setzen ihren Babys bunte Baukopfhörer auf, als die Band | |
auf der Bühne beginnt. Kein Zweifel: Das sind die Leute, die Berlin zu | |
jenem bohemistischen Charme verholfen haben, der heute so viele Touristen | |
anlockt. Es ist, als wollten sie sagen: Wir sind Berlin. Wir lassen uns | |
diese Stadt nicht weiter wegnehmen. | |
Das Gefühl, von der Politik betrogen worden zu sein, bringen hier aber | |
nicht nur die Szenegänger zum Ausdruck, es sind auch ganz andere Leute da, | |
die ihrem Unmut Luft verschaffen: Abiturientinnen, die gern in diesem Kiez | |
ausgehen, wie sie sagen, ein Taxifahrer, ein Touristenführer, eine | |
Krankenschwester. | |
Ein Rentnerpaar mit kleinen Rucksäcken ist aus Lichtenrade angereist: Er | |
war bei der Bundesregierung, sie beim Senat angestellt. Zuerst sprechen sie | |
über die Mauer als einem "Stück Zeitgeschichte", das nicht zerstört werden | |
darf. Aber dann schimpfen sie in schneller Folge auf Flughafen, | |
Mietsteigerung und die Bebauung des Tempelhofer Felds. "Wir Berliner fühlen | |
uns immer machtloser" sagen sie. | |
Eine ehemalige Verlagsredakteurin, die seit vierzig Jahren in | |
Friedrichshain lebt, spricht von "Wut" und "Verzweiflung". "Die Politiker | |
haben kein Gefühl für das alles", sagt sie und zeigt auf die bunte Schar um | |
sich herum. | |
Der fröhliche Protest dieses Sonntagnachmittags richtet sich nicht nur | |
gegen den Abriss der Mauer. Es geht hier auch um Aneignung. Es geht mal | |
wieder um die Frage: Wem gehört die Stadt? Das sollte sich Investor Maik | |
Uwe Hinkel dringend bewusst machen. Er hat erklärt, die Abrissarbeiten für | |
seinen Wohnturm heute fortsetzen zu wollen. | |
3 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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