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# taz.de -- Projektgruppe Schöner regieren: Bürger, versteht uns doch!
> Im Kanzleramt arbeiten jetzt drei „Psychos“. Ihre Aufgabe: dafür sorgen,
> dass die Politik beim Volk besser ankommt. In den USA funktioniert das
> Konzept.
Bild: „Lebendige Demokratie, Bürgerbeteiligung“: Da ist noch Luft nach obe…
BERLIN taz | An diesem Montag geht es los. Heute räumen im Bundeskanzleramt
drei neue Mitarbeiter ihre Schreibtische ein. Die „Psychos“. Es handelt
sich bei ihnen um Fachleute, die der Bundesregierung Tricks verraten
sollen, wie man Bürgerinnen und Bürger manipuliert. Eine Art Gehirnwäsche.
Damit die Deutschen alles mitmachen, was „die Politik“ und „die Lobbyiste…
für wünschenswert halten. Das könnte so weit gehen, dass „das Volk“ dank
der Zwangsbeglückung seine Regierung 2017 gleich noch mal so gerne wählt.
Also Angela Merkel for ever?
Natürlich nicht. Fakt ist: Das Bundeskanzleramt hat zum 1. März drei neue
Mitarbeiter eingestellt. Ein Psychologe, eine Verhaltensökonomin sowie eine
Juristin mit Weiterbildungen in Politik- und Verhaltenswissenschaft bilden
die neue Projektgruppe „Wirksam regieren“.
Die drei sollen analysieren, wo und warum Regierungsprojekte – etwa Gesetze
– nicht angenommen werden oder unzureichend wirken. Und natürlich sollen
sie Vorschläge machen, wie das zu ändern wäre. Dass es sich um eine
Chefsache handelt, kann man schon daran festmachen, dass die Neuen künftig
zum Stab Politische Planung im Bundeskanzleramt gehören. Dessen Leiterin
heißt Eva Christiansen. Und Christiansen ist die einflussreiche
Kanzler-Flüsterin und Medienberaterin von Angela Merkel.
„Merkel will Psycho-Trainer anheuern“, titelte die Bild-Zeitung, als im
Herbst das Bundeskanzleramt die Ausschreibung für die drei
Referenten-Stellen veröffentlichte. Man suche, hieß es darin, Fachkräfte
mit „hervorragenden psychologischen, soziologischen, anthropologischen,
verhaltensökonomischen bzw. verhaltenswissenschaftlichen Kenntnissen“. Ihre
Aufgabe: „Entwicklung alternativer Designs von politischen Vorhaben auf der
Grundlage qualitativer Situations- und Problemanalysen und
verhaltenswissenschaftlicher Evidenz“.
## Nicht auf die Couch
400 Bewerber gab es auf die drei Posten – und das, obwohl die Stellen
befristet sind bis zum Ende dieser Legislaturperiode und ganz
durchschnittlich nach dem Tarif für den öffentlichen Dienst bezahlt werden.
Ob Merkel etwa künftig „im Guru-Stil“ regieren wolle, fragte Bild so
aufgeregt, dass der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter
abwiegeln musste. „Ich kann Sie beruhigen: Es werden keine Sofas im
Kanzleramt aufgestellt.“
Ganz unberechtigt ist die Aufregung nicht. Zwar ist psychologische
Politikberatung alles andere als neu – in Großbritannien und Dänemark
arbeiten Wissenschaftler im Auftrag der Regierungen längst an der Frage,
wie die Bürger mit sanften psychologischen Stupsern dazu gebracht werden
könnten, „richtige“ Entscheidungen zu treffen.
## Sanft anstupsen
Methodische Grundlage dafür bildet das Buch „Nudge“ (Stupsen) aus dem Jahr
2008. Das Werk des Harvard-Juristen Cass Sunstein und des Ökonomen Richard
Thaler von der Universität Chicago gilt jenen als Standardwerk, die meinen,
der Staat könne seine Bürger nicht nur von falschen Entscheidungen
abhalten. Mit ein paar sanften Nudges sollte er sie auch gleich noch in die
„richtige“ Richtung stupsen.
Bei der Sache mit den „Psychos“ im Kanzleramt geht es aber auch um die
Frage, ob der Staat alles, was er tun kann, auch tun darf. Soll es ihm
erlaubt sein, seine Bürger zu erziehen? Etwa, gesünder zu essen, klüger zu
sparen, überhaupt vernünftige Entscheidungen zu treffen – weil dies
letztlich allen nützen würde? Jedenfalls nach jenem Maßstab, den diese
Regierung für nützlich hält?
Wollen statt sollen – so in etwa darf man sich das vorstellen. Die
Steuerklärung pünktlich abgeben, weil man dann besser schlafen kann. Sich
freiwillig impfen lassen, um nicht beunruhigt Berichte über die
Masern-Epidemie verfolgen zu müssen. Laufen statt Auto fahren. Endlich
einen Organspenderausweis ausfüllen. Nicht nur jeder Einzelne hätte etwas
davon, sondern die ganze Gesellschaft: weniger Kosten, mehr Vorteile. Von
einem Plus an allgemeiner Lebenszufriedenheit profitiert letztlich immer
auch der ganze Staat.
## Gute Erfahrungen in USA und England
Im Bundeskanzleramt verwahrt man sich gegen den Kampfbegriff „Nudging“. Im
Zentrum des „Wirksam regieren“-Projekts stehe „die Frage, wie man den
Nutzen für Bürgerinnen und Bürger erhöhen und bürokratische Abläufe
vereinfachen kann“, erklärt eine Regierungssprecherin der taz. Ziel sei es,
durch die stärkere Nutzung wissenschaftlicher Methoden und theoretischer
und empirischer Erkenntnisse zu menschlichem Verhalten „die Wirksamkeit von
Verwaltungshandeln zu erhöhen, um politische Ziele besser zu erreichen“.
Die Projekte, die sie in ihrer ersten Phase beackern wollen, dürfen die
drei neuen KollegInnen im Kanzleramt übrigens selbst festlegen.
Christiansens Abteilung Politische Planung hatte die Fachressorts gebeten,
Themen einzubringen. Fünfzehn Fragestellungen kamen aus den Ministerien.
Warum wird ein neues Gesetz kaum angewendet? Verstehen die Bürger nicht,
wie relevant es für sie ist? Sind die Anträge für bestimmte
Sozialleistungen zu kompliziert? Oder ist das ganze Gesetz fehlerhaft?
Derlei. Die Erwartungen an die neuen Experten sind hoch, zumal man in den
USA, in Dänemark und England bereits gute Erfahrungen gemacht hat.
In England etwa hat der konservative Premier David Cameron gleich nach
seinem Amtsantritt 2010 das so genannte „Behavioural Insights Team“, auch
Nudge Unit genannt, bilden lassen. Das Ziel: Regierungspolitik ohne Verbote
und mit kaum spürbaren Anreizen durchzusetzen, also Liberalismus mit
Paternalismus zu verbinden.
## Philosophenkönige?
Als Paradebeispiel werden gern die Aufräumer genannt: Als nämlich die
britische Regierung merkte, dass die Bürger trotz attraktiver
Subventionsangebote keine Lust hatten, ihre Hausdächer dämmen zu lassen,
ließ sie das Problem analysieren. Die Nudger fanden heraus, dass die Leute
zu faul waren, für die Handwerker ihre vollgestopften Dachböden
auszuräumen. Das änderte sich, als Dachdeckerfirmen einen – allerdings
kostenpflichtigen – Service im Paketpreis anboten. Als die Regierung die
Aufräumer auch noch finanziell subventionierte, verfünffachte sich die Zahl
der Dachisolierungen.
„In gewisser Weise geht es darum, Menschen in nicht offensichtlicher Weise
in die eine oder andere Richtung zu bewegen“, meint Harald Schoen vom
Lehrstuhl für Politische Wissenschaft, Politische Psychologie der
Universität Mannheim. Mit Blick auf die Psychologen im Kanzleramt warnt er
davor, „dass sie sich als Philosophenkönige fühlen und aus empirischen
Befunden weitreichende Schlussfolgerungen ableiten“. Der springende Punkt
an der Demokratie sei, dass sie ein offenes und lernfähiges System bleibt.
Natürlich könne wissenschaftlicher Sachverstand hilfreich sein, wenn es
etwa darum gehe, ein Antragsformular so zu schreiben, dass es jedem Bürger
verständlich ist. „Aber hier hätte der wissenschaftliche Sachverstand eine
dienende Funktion – wie kann das politisch Gewünschte am besten erreicht
werden“, sagt Schoen Man könnte es wohl auch so sagen: Eine für die
Demokratie sinnvolle und nützliche Anwendung der Psychologie geht in
Ordnung – sie für partei- oder machtpolitische Interessen zu gebrauchen
hingegen ist fragwürdig.
## Wem nützt’s?
Der PR-Profi Lutz Meyer sieht einen anderen Grund für das Misstrauen
gegenüber den Psychologen im Kanzleramt. Es seien die Medien, „die nach
Spott statt nach Erkenntnis suchen und in eine innovative Art von
Regierungskommunikation gleich Geheimwissenschaften hineindeuteln“. Politik
auch in der digitalen Zeit gut zu erklären, sei aber „Staatsaufgabe“.
Meyers Agentur Blumberry hat 2013 den Wahlkampf von Angela Merkel gemanagt.
Die Kanzlerin hole mit dem „Wirksam regieren“-Projekt nur nach, „was zu
lange versäumt wurde und im komplizierten digitalen Zeiten immer wichtiger
wird: Regierungshandeln so erklären, dass die Menschen es auch verstehen.“
Für Meyer sind die Psychologen im Kanzleramt ausdrücklich keine Nudger.
Vielmehr sei Nudging doch eine „klassische Kampagnen-Methode der Linken:
Angeblich wissen, was gut ist, und und dann die öffentliche Agenda so
modellieren, dass die Menschen das auch denken.“ Diese Haltung finde man
bei vielen in der SPD und bei den Linken – „aber sicher nicht bei Angela
Merkel, die in der DDR aufwachsen musste“.
Egal, ob die Kanzlerin persönlich allergisch gegen staatlich verordneten
Agitprop ist oder nicht – dass die Große Koalition sich um bürgernahes
Regieren kümmern würde, steht seit Langem fest. Im Koalitionsvertrag findet
sich auf Seite 150 der Punkt 5.2. Unter der Überschrift „Moderner Staat,
lebendige Demokratie und Bürgerbeteiligung“ verpflichten sich Union und
SPD, „die Wirksamkeit des Regierungshandelns gezielt zu erhöhen und dazu
eine ressortübergreifende Strategie ’Wirksam und vorausschauend regieren‘
zu erarbeiten“. Ab diesem Montag fangen die „Psychos“ im Kanzleramt damit
an.
2 Mar 2015
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Politikberatung
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Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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