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# taz.de -- Konferenz zu Technikfolgenabschätzung: Vom Protest zur Partizipati…
> In allen Parlamenten in der EU sollten Institute installiert werden, die
> sich mit den Folgen und Risiken von neuen Techniken beschäftigen.
Bild: In den USA hat es die Industrielobby geschafft, die Klimaforschung zu dis…
BERLIN taz | Aus einem Parteispendenskandal ist in Estland eine neue Form
der Bürgerbeteiligung an der Politik entstanden. Als vor drei Jahren die
Baltenrepublik in eine massive Krise ihrer jungen Demokratie geriet, wurde
von Vertretern der Zivilgesellschaft eine elektronische Volksversammlung
(„People’s Assembly“) ins Leben gerufen. 6.000 Anregungen zur Verbesserung
und stärkeren Transparenz politischer Abläufe wurden über das Internet
eingesammelt und zu 15 konkreten Reformprojekten geformt. Vor wenigen Tagen
wurde vom estnischen Parlament das erste Gesetz auf Vorschlag der
Internet-Bürger angenommen, eine Novellierung im Steuerrecht.
Wie Hille Hinsberg vom Praxis Center for Policy Studies in Tallinn auf
einer Berliner Konferenz über Technikfolgenabschätzung berichtete, sollen
von den 15 Gesetzesvorschlägen aus der Zivilgesellschaft drei komplett vom
Parlament übernommen werden und vier teilweise. Ein großer Erfolg der
Bürgerbewegung im kleinen Ostsee-Land. Das Beispiel wurde auf der
[1][Pacita-Konferenz] vorgestellt, die Freitag in Berlin zu Ende geht.
Pacita steht für das Forschungsprojekt „Parliaments and Civil Society in
Technology Assessment“, das von der EU in den letzten vier Jahren mit 5
Millionen Euro gefördert wurde. Das Ziel: die Technikfolgenabschätzung
(TFA) als Mittel der Politikberatung stärker an die Parlamente und auch die
Zivilgesellschaft herantragen.
Mit dem Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)
ist der Ratschlag von Forschern für Parlamentarier in Deutschland seit 1990
institutionalisiert. Ein wichtiger Ansatz auch weiterhin, wie die
Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung, die CDU-Abgeordnete Patricia Lips, auf der
Konferenz betonte: „Wir messen der Zusammenarbeit mit Vertretern der
Wissenschaft und Zivilgesellschaft angesichts der stetig wachsenden
technologischen, ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen
des 21. Jahrhunderts eine große Bedeutung zu“.
Wichtige TAB-Berichte der letzten Jahre hatten die Gesundheitseffekte der
Nanotechnologie, die unkalkulierbaren Nebeneffekte des Geoengineering und
die Gefahr eines flächendeckenden Strom-Blackouts zum Thema. Eine nächste
Untersuchung wird die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft
behandeln.
Der Weg zu gesellschaftsbezogener Politikberatung ist allerdings keineswegs
vorgezeichnet. Die USA, die mit ihrem Office for Technology Assessment
(OTA) einst Vorbild für die gesamte Bewegung war, stecken seit dessen
ersatzloser Streichung 1995 durch das konservative Repräsentantenhaus in
einer Sackgasse.
Naomi Oreskes, Wissenschaftsforscherin an der US-amerikanischen
Harvard-Universität, zeigte in ihrer Keynote der Pacita-Konferenz auf, wie
in ihrer Heimat die Diskreditierung der Wissenschaft durch politische
Lobbygruppen gelingen konnte, etwa in der Klimaforschung. Gleichzeitig
seien die USA weiterhin von einer ungebrochenen Technikgläubigkeit
(„Technofideism“) dominiert – dem Gegenpol kritischer Technikvorschau.
## Mehr TFA notwendig
Für Armin Grunwald, als Leiter des Karlsruher Instituts für
Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (Itas) der deutsche Gastgeber
der Konferenz, ist der nächste Schritt in Europa die weitere Verbreitung
der Parlamentsberatung. Derzeit verfügen nur in einigen europäischen
Ländern die Parlamente über Einrichtungen, die dem TAB vergleichbar sind:
Schweiz, Österreich, Norwegen, Schweden, Großbritannien, Frankreich,
Griechenland, Polen und Katalonien in Spanien. „Wir gehen jetzt den Weg
einer Internationalisierung“, erklärt Grunwald zum weiteren Prozess.
„Europa braucht auf Wissen basierende Entscheidungsprozesse,“ betont auch
Pacita-Projektleiter Lars Klüver vom Danish Board of Technology Foundation.
„Die Technikfolgenabschätzung sollte deshalb in allen EU-Mitgliedstaaten
institutionalisiert werden und grenzüberschreitend eng zusammenarbeiten.“
Intensive Vorarbeiten für Parlaments-TFA finden derzeit in Portugal,
Litauen und Tschechien statt. Zugleich sollen auch – Beispiel Estland – die
Möglichkeiten der Beteiligung von Bürgern gestärkt werden.
Aus der bisherigen Achse Wissenschaft–Politik könnte so ein Dreieck der
künftigen Politikberatung werden. Im Abschlussmanifest der Berliner
Konferenz heißt es: „Weil Technologie ihr Leben stark beeinflusst, haben
alle Bürgerinnen und Bürger Europas das demokratische Recht, von der
Politik in diesem Bereich gehört zu werden.“
27 Feb 2015
## LINKS
[1] http://berlinconference.pacitaproject.eu/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Technikfolgenabschätzung
Politikberatung
Intelligente Maschinen
Politikberatung
Energiewende
Rundfunkgebühren
Prävention
Bürgerbeteiligung
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