# taz.de -- Stromausfall-Szenario für Deutschland: Wenn alle Lichter ausgehen | |
> Aus einem bisher unveröffentlichten Bericht geht hervor, dass die | |
> deutschen Behörden auf einen Mega-Stromausfall kaum vorbereitet sind. Die | |
> Folgen wären fatal. | |
Bild: Herbst 2005: Im Münsterland sind rund 250.000 Menschen mehrere Tage ohne… | |
BERLIN taz | Das Szenario ist wenig wahrscheinlich. Aber das galt vor | |
wenigen Wochen auch für die Vorstellung, ein Erdbeben könnte einen | |
Super-GAU in einem japanischen Atomkraftwerk auslösen. | |
Der Katastrophenfall, der in einem als "vertraulich" gestempelten Bericht | |
für den Bundestagsinnenausschuss beschrieben wird, ist ein anderer: Ein | |
großflächiger Stromausfall von mehreren Tagen oder gar Wochen, ausgelöst | |
durch eine Naturkatastrophe oder einen Terroranschlag. | |
Seit Ende 2010 liegt eine [1][Analyse des Büros für | |
Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)] vor, die bisher | |
unter Verschluss gehalten wird. Das Fazit der Autoren ist klar: Deutschland | |
ist auf einen solchen Fall schlecht vorbereitet. "Unterstellt man das | |
Szenario eines mindestens zweiwöchigen und auf das Gebiet mehrerer | |
Bundesländer übergreifenden Stromausfalls, kämen die Folgen einer | |
Katastrophe nahe", heißt es in der 260-seitigen Studie, die der taz | |
vorliegt. Diese wäre "nicht ,beherrschbar', allenfalls zu mildern". | |
Unmittelbar nach dem Blackout bleiben U-Bahnen und Züge liegen, Tankstellen | |
fallen aus, auf den Straßen bricht Chaos aus. "Es ereignen sich zahlreiche | |
Unfälle, auch mit Verletzten und Todesopfern", heißt es in dem Bericht. | |
Telefone, Handys und das Surfen im Internet funktionieren schon bald nicht | |
mehr – neue DSL-Geräte fallen sogar schneller aus als die alten analogen, | |
so die Autoren. | |
Auch beim Funk von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten macht modernere | |
Technik anfälliger: Der Behördenfunk BOS wird momentan ebenfalls auf | |
digital umgerüstet – "unter dem Aspekt der Stromabhängigkeit" bringe das | |
"eine Verschlechterung", so die Autoren. "Für den Fall eines großflächigen | |
und langfristigen Stromausfalls wäre der Behördenfunk denkbar schlecht | |
vorbereitet." | |
Es ist ein Horrorszenario. Würde ein solcher Stromausfall nur einige | |
Stunden andauern, wären die Folgen zu verkraften – doch schon nach zwei | |
Tagen wird die Situation immer kritischer. "Zu Beginn ist ein Stromausfall | |
allenfalls lästig, unbequem, für manche vielleicht beunruhigend, für andere | |
unterhaltsam und wohltuend irritierend", heißt es in dem TAB-Bericht. "Dann | |
aber beginnt die öffentliche Ordnung zusammenzubrechen." | |
Besonders dramatisch sind die Folgen in Arztpraxen, Krankenhäusern und | |
Pflegeheimen. "Bereits nach 24 Stunden ist die Funktionsfähigkeit des | |
Gesundheitswesens erheblich beeinträchtigt", heißt es in dem Bericht. Die | |
Notstromversorgung in Krankenhäusern sei nur auf wenige Tage ausgelegt, | |
rasch komme es zu Engpässen bei Insulin, Blutkonserven und | |
Dialysierflüssigkeit. | |
## Nach einer Woche beginnt das Chaos | |
Die Situation verschärfe sich innerhalb einer Woche derart, dass "vom | |
weitgehenden Zusammenbrechen der medizinischen und pharmazeutischen | |
Versorgung auszugehen ist". Das Fazit der Technikfolgenforscher: | |
"Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, das | |
heißt die gesundheitliche Schädigung beziehungsweise der Tod sehr vieler | |
Menschen." | |
Schon rasch drohen auch enorme Probleme bei der Lebensmittelversorgung. | |
Innerhalb von zwei bis fünf Tagen leeren sich die Regale, es kann zu | |
Diebstählen und Schlägereien um die wenigen verbliebenen Waren kommen. Am | |
Ende der ersten Woche seien dann "die Vorräte in den Geschäften und | |
Haushalten aufgebraucht", so die Autoren. "Besonders weniger zentrale | |
Regionen werden unvollständig versorgt." | |
In solchen Situationen können die Behörden auf Notfallreserven zugreifen, | |
in denen Weizen, Milchpulver oder Reis eingelagert werden. 5.200 Notbrunnen | |
liefern Trinkwasser. Dazu kommt eine EU-Reserve mit Getreide und Fleisch. | |
Aber selbst diese Notrücklagen könnten bei einem Megablackout nicht | |
ausreichen. "Trotz größter Anstrengungen kann mit großer Wahrscheinlichkeit | |
die flächendeckende und bedarfsgerechte Versorgung mit Lebensmitteln nur | |
ungenügend gewährleistet werden", heißt es in dem Bericht. | |
Auch in den rund 200 Gefängnissen in Deutschland wären die Folgen eines | |
Megastromausfalls kaum in den Griff zu bekommen. "Die medizinische | |
Versorgung wird bereits nach zwei bis drei Tagen kritisch", schreiben die | |
Autoren. Die hygienischen Bedingungen verschlechterten sich massiv, die | |
Abwasserentsorgung drohe zusammenzubrechen, die Gefahr von Ausbrüchen | |
steige. Selbst bei funktionierendem Notstrom müsse gegen Ende der ersten | |
Woche eine Verlegung der Gefangenen in Betracht gezogen werden – wobei | |
unklar ist, ob dafür überhaupt Personal organisiert werden könnte. | |
Sicher: Die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Blackouts in Deutschland | |
ist momentan gering, wie die Autoren der Innenausschuss-Studie einräumen – | |
sie werde aber in Zukunft zunehmen. Ein Grund: stärkere | |
Extremwetterereignisse infolge des Klimawandels. | |
Und auch die Sicherheitsbehörden halten ein solches Szenario für denkbar. | |
Schon im Jahr 2004 haben sie bei der länderübergreifenden Krisenübung Lükex | |
einen großen Stromausfall in Süddeutschland durchgespielt. | |
Zwölf Monate später sollte [2][im Münsterland wegen Schneechaos für eine | |
Viertelmillion Menschen mehrere Tage lang der Strom] ausgehen. | |
## Dezentralisierung der Stromversorgung | |
Die Technikfolgenforscher plädieren deshalb dafür, "nachhaltigere Optionen | |
zur Bewältigung eines lang andauernden und großflächigen Stromausfalls zu | |
entwickeln". So könnten durch eine dezentrale Stromversorgung auf Basis | |
erneuerbarer Energien wichtige Infrastrukturen besser geschützt werden. | |
"Regional begrenzte Inselnetze" könnten selbst bei einem Megablackout | |
weiter Strom erzeugen. | |
Auch für die Informationstechnologie verweisen die Forscher auf | |
Möglichkeiten einer "netzunabhängigen autonomen Energieversorgung" – etwa | |
durch dezentral erzeugten Solarstrom. | |
Nach der Katastrophe von Fukushima liefert also auch dieser Bericht weitere | |
Argumente für eine Energiewende. | |
Absolute Sicherheit vor einem großen Stromausfall könne es aber nie geben, | |
betonen die Autoren. Auch hier stelle sich letztlich die Frage: Welches | |
"Restrisiko" ist die Bevölkerung bereit hinzunehmen? | |
5 Apr 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tab-beim-bundestag.de/de/untersuchungen/u137.html | |
[2] http://blogs.taz.de/tischgespraech/2011/03/12/keine_reserven_fuer_den_notfa… | |
## AUTOREN | |
Wolf Schmidt | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
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