# taz.de -- Havariertes AKW Fukushima: Tepco verstrahlt Pazifik | |
> Tausende Tonnen radioaktives Wasser werden in Japan ins Meer geleitet. | |
> Der AKW-Betreiber Tepco spielt die Sache herunter. Greenpeace warnt vor | |
> verseuchtem Meeresboden. | |
Bild: Mitarbeiter der japanischen Marine arbeiten von einem Schiff aus am AKW F… | |
Folgt man Tepco, dem Betreiber des japanischen Katastrophenreaktors, können | |
die Japaner weiterhin frischen Fisch aus den Küstengewässern vor Fukushima | |
genießen. Selbst wenn Anwohner jeden Tag Meeresfrüchte aus der Region äßen, | |
bliebe die radioaktive Belastung unter dem kritischen Grenzwert, so Tepco. | |
Am Montag pumpten Arbeiter über 11.500 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser | |
ins Meer, es soll 500-mal so stark strahlen wie erlaubt. | |
Es ist eine Art Tausch, kleines Übel gegen großes Übel: Im Reaktor 2 ist | |
ein Riss. Alle Versuche, ihn mit Kunstharz oder Beton abzudichten, schlugen | |
fehl. In Block 2 befindet sich Wasser, das 100.000-mal so stark verseucht | |
ist wie in einem normalen Reaktor. Vor allem diese Brühe soll in das | |
Staubecken geleitet werden, dessen Inhalt jetzt in den Pazifik verklappt | |
worden ist. | |
Regierungssprecher Yukio Edano sagte, zu der "Sicherheitsmaßnahme" gebe es | |
keine Alternative. Momentan läuft das verseuchte Wasser unkontrolliert aus, | |
auch in den Ozean. Um seinen Weg zu verfolgen, haben Arbeiter jetzt Salze | |
in den Reaktor gekippt, die sonst als Badezusatz dienen. Der Weg des damit | |
milchig eingefärbten Wassers soll so leichter nachvollziehbar sein und | |
mögliche weitere Lecks an dem Reaktor offenbaren. | |
Greenpeace hält die ganze Aktion für unverantwortlich. "Tepco versucht, die | |
Sache herunterzuspielen", kritisierte Christoph von Lieven, Atomexperte und | |
Sprecher bei Greenpeace, gegenüber der taz. Die Umweltschutzorganisation | |
hat derzeit zwei Teams in der Nähe von Fukushima, um die Bevölkerung mit | |
eigenen Messungen vor verseuchten Lebensmitteln und besonders verseuchten | |
Gebieten auch außerhalb der Sperrzone zu warnen. "Ich vermute, dass Tepco | |
auch hochradioaktive Brühe ins Meer leiten wird", sagte von Lieven. | |
Unabhängige Messungen zur Belastung des Meerwassers gab es bisher keine. | |
Am Montag veröffentlichte das japanische Gesundheitsministerium, dass in | |
der Nachbarpräfektur gefangene Sandlanzen mit über 4.000 Becquerel pro Kilo | |
belastet waren, ein Vielfaches des erlaubten Grenzwertes. Vor allem müsse | |
die Bevölkerung gewarnt werden, forderte von Lieven. Denn die radioaktive | |
Brühe könnte sofort wieder angespült werden. Durch die Gischt der Wellen | |
könnten auch radioaktives Cäsium, Jod oder Plutonium aus Reaktor zwei in | |
die Luft gelangen und mit Nebel und Wolken ins Landesinnere getragen | |
werden, warnte Greenpeace. | |
Die Regierung nimmt es mit derartige Warnungen nicht immer ernst: Wie | |
gestern bekannt wurde, gab es bereits am 16. März Computersimulationen, die | |
hohe Mengen Radioaktivität in über 30 Kilometer Entfernung von den | |
havarierten Reaktoren zeigte. Veröffentlicht wurden die Daten erst am 23. | |
März. | |
Doch wie sehr verdünnt sich die Brühe im Meer nun wirklich? Wissenschaftler | |
des Johann Heinrich von Thünen-Institut haben Daten der britischen | |
Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield ausgewertet. Dort waren zwischen 1965 | |
und 1985 "beachtliche Aktivitäten an radioaktivem Cäsium mit dem Abwasser | |
in die Irische See eingeleitet worden", schreiben die Forscher. "Gegenüber | |
diesen großen Mengen an eingeleitetem Cäsium sind die langfristigen Folgen | |
für die Fischfauna in der Irischen See als minimal zu bewerten", lautet das | |
Fazit. | |
Im Pazifik werde es deshalb allenfalls eine geringe Kontamination von Fisch | |
in der Nähe des Reaktors geben. In der Einschätzung sind allerdings die | |
gestern eingeleiteten Mengen noch nicht enthalten. Ein Sprecher des | |
Instituts verwies darauf, dass sich radioaktive Partikel an Land im Boden | |
anreichern können, im Wasser dagegen stetig verdünnt werden. | |
Also alles in Butter? Laut Greenpeace können sich auch im Meer radioaktive | |
Stoffe im Sediment einlagern und über Jahre hinweg strahlen. Das zeigten | |
Daten aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague, die seit | |
Jahren schwachradioaktives Wasser in die Nordsee leitet. "Ich würde nie | |
sagen, dass die Flüssigkeit aus Fukushima die Fischbestände nicht | |
gefährdet", sagt von Lieven. | |
Momentan stehen die Japaner vor einem Teufelskreis: Zur Notkühlung muss | |
Wasser in die Reaktoren gepumpt werden, sonst droht eine noch größere | |
Katastrophe - in Block 1 könnte der Reaktor durchbrennen. Allerdings | |
entsteht so unentwegt neues verseuchtes Wasser, das eine | |
Wiederinbetriebnahme der Kühlsysteme verhindert. | |
4 Apr 2011 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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