| # taz.de -- Privatklinik gegen Betriebsrätin: Zu engagiert für den Chef | |
| > Eine Hamburger Privatklinik versucht, eine Krankenpflegerin loszuwerden. | |
| > Sie ist zugleich Betriebsrätin. Der Konzern unterstellt ihr Betrug. | |
| Bild: Schicke Hamburger Privatklinik mit eisigem Betriebsklima: Atos Klinik Fle… | |
| Hamburg taz | Betriebsrät*innen, nicht nur im Gesundheitsbereich, haben in | |
| der Coronapandemie viel zu tun. Kurzarbeit, Hygienekonzepte, Verlagerung | |
| von Arbeit in Privaträume und der [1][Schutz vor dem Virus am Arbeitsplatz] | |
| – das alles sind Bereiche, in denen die Vertreter*innen der Belegschaft | |
| darauf achten müssen, dass die Rechte der Arbeiter*innen gewahrt | |
| werden. Dass das nicht allen Arbeitgeber*innen gefällt, ist klar, aber | |
| manche kommen offenbar besonders schlecht damit zurecht. | |
| Die Hamburger Privatklinik Fleetinsel versucht derzeit auf gerichtlichem | |
| Weg, eine unbequeme Betriebsrätin loszuwerden. Der Konzern Atos, der die | |
| Klinik betreibt, wirft ihr vor, Tätigkeiten für den Betriebsrat außerhalb | |
| ihrer regulären Arbeitszeit verrichtet und auch noch dabei betrogen zu | |
| haben. | |
| Eigentlich müssen [2][betriebsrätliche Tätigkeiten] während der normalen | |
| Arbeitszeit erledigt werden, jedenfalls in Regelbetrieben. In einer Klinik | |
| geht das meistens nicht, es findet dort kein Regel-, sondern Schichtbetrieb | |
| statt und die vom Pflegepersonal zu erledigenden Aufgaben lassen meistens | |
| keinen Spielraum – etwa für die Arbeit im Betriebsrat. | |
| Zahlreichen solchen Aufgaben aber ging die Krankenpflegerin Anja C. nach: | |
| Sie war an der Gründung des Betriebsrats der Klinik Fleetinsel beteiligt, | |
| war Sprecherin des Wirtschaftsausschusses, außerdem zuständig für Arbeits- | |
| und Gesundheitsschutz, wechselte später in die Arbeitsgruppe | |
| Öffentlichkeitsarbeit und ließ sich im August 2020 zur stellvertretenden | |
| Konzernbetriebsratsvorsitzenden wählen. Sie kümmerte sich um all das in | |
| ihrer Freizeit, von zu Hause aus – so erlaubt es auch das | |
| Betriebsverfassungsgesetz. Von Januar bis September stellte sie ihrem | |
| Arbeitgeber dafür 184,35 Stunden in Rechnung. | |
| ## Sonntagsarbeit? Verdächtig | |
| Das wirft ihr die Konzernführung nun vor und verdächtigt sie, zu viele | |
| Stunden angegeben zu haben. C. habe „falsche Arbeitszeiten zur | |
| Erschleichung von Arbeitsbefreiung vorgetäuscht, indem sie (…) Zeiten für | |
| Betriebsratsarbeit vorgetäuscht hat, die sie tatsächlich nicht (…) | |
| geleistet hat“, schreiben die von Atos beauftragten Rechtsanwält*innen | |
| dem Gericht. Auch, dass C. die Stunden häufig an Sonn- und Feiertagen | |
| veranschlagte, bemängelt die Konzernführung. | |
| Gegenüber der taz sagte Anja C., die Vorwürfe seien unberechtigt. Der | |
| Einsatz an Sonn- und Feiertagen sei durch den Schichtbetrieb und zum Wohl | |
| der Patient*innen und Kolleg*innen geschehen. „Der Eindruck, man | |
| will mich einfach loswerden, ist doch sehr deutlich“, sagt sie. | |
| Unter ihrer Mitwirkung hat der Betriebsrat ein Verfahren gegen diverse | |
| personelle Maßnahmen der Klinikleitung eingeleitet – also gegen | |
| Einstellungen und Kündigungen, an denen Atos die Belegschaft nicht | |
| beteiligt hatte, obwohl das Unternehmen es hätte tun müssen. | |
| Auf die Nachfrage der taz, welche Anhaltspunkte die Atos-Gruppe für den | |
| Betrugsverdacht gegen C. habe, möchte sich der Konzern nicht äußern. Man | |
| wolle die Entscheidung des Gerichts abwarten. Den Vorwurf, Atos wolle | |
| [3][eine unbequeme Betriebsrätin loswerden], weist eine Sprecherin aber von | |
| sich: „Wir streben grundsätzlich ein enges Verhältnis zu unseren | |
| Betriebsräten an. Dabei kann es vorkommen, dass Sachverhalte kontrovers | |
| diskutiert werden.“ Dies empfinde man jedoch nicht als unbequem, sondern | |
| „als notwendig, um weitere Optimierungen vorzunehmen.“ | |
| ## „Die Vorwürfe sind konstruiert“ | |
| Dem Arbeitsrechtsanwalt Simon Dilcher kommt die Argumentation der | |
| Unternehmensführung bekannt vor. Er vertritt den Betriebsrat vor Gericht. | |
| „Das sind konstruierte Standardvorwürfe, um Betriebsräte unschädlich zu | |
| machen“, sagt er. Dabei seien die Vorwürfe inhaltlich absurd. Das von C. | |
| veranschlagte Zeitkontingent sei sogar noch niedrig, gemessen an den ganzen | |
| Tätigkeiten, denen C. als Betriebsrätin nachgegangen sei. Und eine | |
| Erledigung innerhalb der Arbeitszeiten sei aufgrund der Schichtdienste | |
| zudem meist nicht möglich. | |
| „Die Vorwürfe sind konstruiert und rechtlich nicht ausreichend für eine | |
| fristlose Kündigung“, sagt er. Auch der Konzernführung müsse klar sein, | |
| dass sie damit vor Gericht nicht durchkomme, meint Dilcher – was darauf | |
| hinweise, dass hier Machtspielchen gespielt würden, um auch andere | |
| Betriebsratsmitglieder einzuschüchtern. „Da wird versucht, psychischen | |
| Druck auszuüben“, vermutet der Anwalt. | |
| Auch [4][die Gewerkschaft Ver.di] kritisiert das Vorgehen des Konzerns. „Es | |
| ist ein maximaler Angriff auf die Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten“, | |
| ordnet die Gewerkschaftssekretärin Kathrin Restoff das Verhalten der | |
| Atos-Chef*innen ein. „In diesen schwierigen Zeiten zu versuchen, eine | |
| Betriebsrätin loszuwerden, wirft kein gutes Licht auf den Konzern.“ Auch | |
| Restoff glaubt, dass es der Klinikleitung um Einschüchterung geht. | |
| Der Chief Operating Officer von Atos, Lars Timm, der seit einem Jahr einer | |
| von drei Geschäftsführern ist, sei zudem kein Unbekannter. Zuletzt war er | |
| als Regionalgeschäftsführer des privaten Gesundheitskonzerns Ameos tätig. | |
| Dort soll er laut Ver.di 14 fristlose Kündigungen als Reaktion auf | |
| Warnstreiks verantwortet haben. | |
| 10 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
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