# taz.de -- Pressefreiheit in Ägypten: Höchst unerwünscht | |
> Trotz Unterdrückung der Presse in Ägypten konnte das Nachrichtenportal | |
> „Mada Masr“ weiter arbeiten. Bis es über den Sohn des Präsidenten | |
> berichtete. | |
Bild: Lina Attalah, Chefredakteurin von Mada Masr | |
KAIRO taz | Doqi, ein Stadtbezirk im Großraum Kairo: Drei kleine | |
Militärposten, wie sie in der ganzen Stadt zu finden sind, säumen hier eine | |
Seitenstraße. Eine ältere Frau mit violettem Kopftuch und weiter Robe | |
fragt vorsichtig: „Mada Masr?“ Sie zeigt auf die schwarze, verschnörkelte | |
Tür. Diese trennt das unscheinbar wirkende Gebäude vom Straßenlärm Kairos. | |
Es ist Ende Januar. | |
Im sechsten Stock hängt ein schlichtes Schild rechts neben der Tür – „Mada | |
Masr“, einmal in lateinischen, einmal in arabischen Schriftzeichen –, | |
außerdem eine kleine Glocke. Diese Glocke läutete am 25. November Sturm. | |
Niemand hätte es geahnt, aber wer jeden Tag diese Türschwelle übertritt, | |
muss mit allem rechnen. So sagen es die Menschen, die hier arbeiten. | |
Sie sind das, was von der unabhängigen Presse in Ägypten übrig geblieben | |
ist. Im Jahre 2013 gegründet, arbeiten heute 35 Journalisten und | |
Journalistinnen für das Nachrichtenportal Mada Masr, auf Deutsch „Die Weite | |
Ägyptens“. Angesichts der um sich greifenden Repression gegen unerwünschten | |
investigativen Journalismus scheinen die, die hier tätig sind, selbst | |
darüber erstaunt, dass sie ihre Arbeit bislang ungehindert ausführen | |
konnten. Das hat sich Ende November 2019 geändert, als sie in den Augen des | |
Regimes von General [1][Abdel Fattah al-Sisi] eine rote Linie | |
überschritten. | |
Am Tag des Besuchs ist von den Geschehnissen nichts zu spüren. Der | |
Redaktionsraum ist an diesem Nachmittag mit etwa zehn Redakteuren gefüllt. | |
Rechts davon führt eine Tür zum Raucherbalkon; dort sitzt ein Mann, | |
gekleidet in eine hellbraune dicke Weste. Er hat seinen Laptop vor sich, | |
der Kaffee hat sich im Glas gesetzt, er zieht an seiner Zigarette. | |
Der schmächtige Mann namens Shady Zalat mag, so sagt er, diesen Platz hier. | |
Er habe den Eingang des Gebäudes gut im Blick, alle paar Minuten späht er | |
über die hüfthohe Mauer hinunter. Zu tun hat das mit jenem Tag, als der | |
37-Jährige im Morgengrauen aus seinem Haus abgeführt wurde. Nicht wissend, | |
ob er zurückkehren können würde. | |
## Eine sensible Geschichte | |
Am 20. November gegen Nachmittag wurde in der Redaktion noch gescherzt. | |
Seitdem Mada Masr den subtilen Angriffen des Regimes ausgesetzt ist, | |
pflegen sie hier einen gewissen Galgenhumor. Jede Geschichte könnte [2][für | |
die Al-Sisi-Administration] das Fass zum Überlaufen bringen. An diesem Tag | |
veröffentlichten sie einen Bericht über Mahmoud al-Sisi, einen der Söhne | |
des Präsidenten. „Es war die sensibelste Geschichte, die wir jemals | |
brachten“, erzählt Shadys Kollege Mohamed Hamama. Die Verfasser will er | |
deshalb nicht nennen. | |
Sensibel, so sagt Hamama, war sie nicht etwa, weil es die bedeutsamste | |
Geschichte war. Was sie so heikel machte, war ihre persönliche Dimension. | |
Mahmoud al-Sisi war als hoher Beamter im ägyptischen Geheimdienst tätig. | |
Weil er die mediale Kontroverse während der kurzen Protestwelle im | |
September 2019 nicht im Griff gehabt habe – dem ägyptischen Geheimdienst | |
(GIS) sollen etliche Zeitungen und Fernsehkanäle gehören –, werde er in die | |
ägyptische Botschaft nach Moskau versetzt, so der Bericht. Andernfalls | |
könnte er dem Image seines Vaters schaden. | |
„Die Geschichte war solide“, sagt Hamama. Vier Quellen bestätigten die | |
Information; zwei aus dem Geheimdienst. Ein Freund wandte sich kurze Zeit | |
später besorgt an Hamama. „Das werden sie euch nicht durchgehen lassen. | |
Darauf müssen sie reagieren.“ [3][Er sollte recht behalten]. | |
Vier Tage nach der Veröffentlichung versammelte sich die Redaktion um 13 | |
Uhr. Es war ein außerordentliches Treffen. 30 Stunden zuvor wurde im | |
Morgengrauen an die Tür von Shady Zalat geklopft. Die Beamten erklärten | |
seiner Frau, er werde ins Sicherheitsquartier in Gizeh gebracht. Dort kam | |
er allerdings nie an. Oft, so sagt es Hamama, habe sich die Redaktion eine | |
Situation wie diese ausgemalt, denn „wer für das Nachrichtenportal | |
arbeitet, setzt sich der Möglichkeit aus, dass so etwas nun mal passieren | |
kann“. | |
## Gefährlich für Journalist:innen | |
Repressive Gesetze und Schikanen seitens der Regierung ist man bei Mada | |
Masr seit dem Militärputsch gegen den Muslimbruder Mursi im Jahr 2013 | |
gewohnt. Nachdem TV-Kanäle und Zeitungen zusehends von staatlichen | |
Institutionen aufgekauft und hernach gleichgeschaltet wurden – Reporter | |
ohne Grenzen führt Ägypten auf Platz 163 von 180 in der Rangliste der | |
Pressefreiheit –, wurde auch die Lage von Journalisten im Lande | |
gefährlicher. Mittlerweile sitzen 24 Journalisten und vier Blogger in Haft, | |
viele wissen nicht einmal, was ihnen vorgeworfen wird. | |
Abgeschaltet wurde Mada Masr zwar nicht, auf die Website gelangt man seit | |
2017 trotzdem nicht. Sie wurde gesperrt und ist seither nur via Facebook | |
oder mittels technischer Hilfsmittel wie VPN oder sogenannter Mirrorsites | |
abrufbar. „Wir sind sogar vor Gericht gegangen, um zu sehen, wer uns | |
blockiert hat“, sagt Mohamed Hamama. Gebracht hat das allerdings nichts, | |
bis heute haben sie keine Antworten. | |
Vor diesem Hintergrund spielen zwei Gesetze eine entscheidende Rolle: 2018 | |
verabschiedete al-Sisi das Neue-Medien-Gesetz. Nachrichtenportale müssen | |
sich seither registrieren lassen. Gesperrten Seiten wie Mada Masr wird es | |
mit diesem Gesetz quasi unmöglich gemacht, eine Lizenz zu erhalten. Das | |
zweite Gesetz, das [4][Cyberkriminalitätsgesetz], richtet sich ebenfalls | |
gezielt gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Es ermöglicht den Behörden, | |
Websites zu sperren, die in ihren Augen eine Bedrohung für die nationale | |
Sicherheit darstellen. Sogar der Versuch, diese gesperrten Websites | |
aufzurufen, wird geahndet. | |
Im Büro von Chefredakteurin Lina Attalah springt eine weiße Katze auf den | |
wackligen Beistelltisch; sie hört auf den Namen Mahgub, Arabisch für | |
„gesperrt“. Mohamed Hamama, der seit 2015 bei Mada Masr als Redakteur | |
arbeitet, nimmt sie auf den Schoß. Bis jetzt kann er nicht wirklich | |
glauben, was ihm und seinen Kolleginnen passiert ist. „So etwas hat es | |
davor in Ägypten noch nicht gegeben“, sagt er, „das ist nicht der Staat, | |
den wir gewohnt waren.“ | |
## Corona in Ägypten | |
Erst langsam kehrte im Januar wieder Normalität ein in den Alltag der | |
Menschen, die hier arbeiten. Der Weihnachtsurlaub, den viele genommen | |
hatten, habe geholfen. Mittlerweile meldet nun das ägyptische | |
Gesundheitsministerium über 700 Coronafälle, mehr als 50 davon seien | |
tödlich verlaufen. Auch Mada Masr muss sich nun mit der Epidemie, die | |
Ägypten und die 20-Millionen-Einwohner-Stadt Kairo hart treffen könnte, | |
arrangieren. | |
Am Sonntag, den 24. November 2019, als die Redaktion gerade im Newsroom um | |
ihren Kollegen bangte, wurde ihre Sitzung unterbrochen. Um 13.30 Uhr | |
stürmten neun bewaffnete Sicherheitsbeamte die Redaktion, beschlagnahmten | |
Laptops und Handys. Eine Journalistin konnte gerade noch eine Nachricht | |
versenden – so gelang die Information auf das Display ihres Mannes und | |
später in die internationalen Medien. „Nach einer Stunde war klar, dass sie | |
absolut keinen Plan hatten, was sie hier machten“, sagt Hamama, „und wie | |
sie es zu Ende bringen sollten.“ Es schien, als müssten die Beamten auf | |
Anweisungen von oben warten. | |
Diese kamen offenbar. Nach drei Stunden wurden Chefredakteurin Lina | |
Attalah, Journalistin Rana Mamdouh und Mohamed Hamama abgeführt. Im | |
Polizeiwagen mit Handschellen aneinandergefesselt, gingen Hamama vor allem | |
seine Frau und seine Katze durch den Kopf, sagt er. Khalas, dachte er sich, | |
„es ist vorbei“, Monate in Untersuchungshaft, bis es überhaupt erst zu | |
einem Prozess käme. Er kennt das Prozedere – und die Fälle von | |
Journalisten, denen das Gleiche widerfahren ist. | |
Als sie nicht bei der Staatsanwaltschaft, sondern auf der Polizeistation | |
landeten, sagte der Beamte: „Jemand von hoch oben hat entschieden, euch | |
freizulassen.“ Dem fügte er hinzu: „Ihr solltet dankbar dafür sein.“ Er | |
machte keinen Hehl daraus, dass er, wenn es nach ihm gegangen wäre, die | |
Geschichte anders hätte ausgehen lassen. | |
## Ein Fiasko | |
Die offizielle Stellungnahme der Staatsanwaltschaft: Ihr lägen Berichte von | |
Sicherheitsbeamten vor, die eine Verbindung zwischen Mada Masr und der seit | |
2013 gesetzlich verbotenen Muslimbruderschaft bewiesen. | |
Sobald in Ägypten etwas von der Regierungslinie abweicht, ist der Vorwurf | |
der Nähe zur Muslimbruderschaft nicht weit; so absurd dieser auch | |
erscheinen mag. | |
Ob nun Berichte über die belastete Vater-Sohn-Beziehung oder | |
symbolträchtige Jahrestage – der potenzielle Autoritätsverlust soll im Keim | |
erstickt werden: Zwei Tage nach dem Interview mit Mada Masr werden Menschen | |
berichten, dass am Revolutionstag, dem 25. Januar 2020, ihre Wohnungen rund | |
um den Tahrir-Platz und ihre Laptops durchsucht worden seien. | |
„Shady werden sie sicher behalten“, dachte sich Hamama, als er etwas | |
ungläubig aus dem Polizeiwagen ausstieg und damit in die Freiheit | |
zurückkehrte. Kurze Zeit später erfahren sie: Auch Shady wurde auf der | |
Autobahn abgesetzt. War es Einschüchterung? Wurde die internationale | |
Aufmerksamkeit zu viel? Ist ihnen die Situation aus der Hand geglitten? | |
Antworten haben sie bis heute nicht. Fest steht für sie aber: Bis dato war | |
es die denkbar größte Blamage für den Sicherheitsapparat; nach diesem | |
Fiasko würde man sich nicht so schnell trauen, erneut zum Angriff gegen | |
Mada Masr zu blasen. | |
„Diese Runde haben wir gewonnen“, sagt Mohamed Hamama, ehe er sich | |
verabschiedet. Ihre akribische Arbeit habe sie letztlich auch vor | |
Schlimmerem geschützt, ist er überzeugt. „Es ist wie ein strategisches | |
Spiel.“ | |
Diese Reportage entstand bereits im Januar, also vor Pandemiezeiten. Sie | |
erschien zuerst Ende Februar in der Wiener Zeitung, wurde aber für die | |
Veröffentlichung in der taz auf den neuesten Stand gebracht. | |
3 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Elisa Tomaselli | |
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