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# taz.de -- Populisten in Italien: Nutten, Rotwein, Milchlammbraten
> Italiens Kommunen leiden in Zeiten nach Berlusconi. Ein Neuling in der
> Politik und ein alter Hase – beide wollen alles anders machen. Beide
> setzen auf bewährte Polemik.
Bild: Beppe Grillo: Linker, TV-Komiker und einflussreicher Polit-Zampano.
PARMA/VARESE taz | Ehemaliges Herzogtum Parma, Sommer 2012: Die Sonne
scheint prächtig auf den Palazzo del Capitano del Popolo. Drinnen, in einem
mit Bildern aus der Geschichte der einstigen Herrscherfamilie Farnese
ausgemalten Saal, hat Federico Pizzarotti, der neue Bürgermeister der
Stadt, gerade seine Regierungsmannschaft vorgestellt. In Turnschuhen. Und
mit Blick für das Machbare: Alle Projekte stünden unter striktem
Finanzierungsvorbehalt.
Parma ist immer noch eine wohlhabende Stadt. Aber so überbordend reich, so
fett, glänzend und selbstsicher wie man hier in der westlichen Emilia einst
war – das ist schon eine ganze Zeit lang vorbei. 2003 fehlten in der Bilanz
von Parmalat, einem der größten Lebensmittelkonzerne Europas, plötzlich
acht Milliarden Euro. Dann hatte die Kommune auf einmal 850 Millionen Euro
Schulden.
Zu viele hatten sich bedient am Reichtum, hatten Gelder in private Kanäle
abgezweigt. Niemand wollte Parma und seine knapp 200.000 Einwohner mehr
regieren. Also sprang der Staat ein: Parma bekam eine kommissarische
Leitung.
Ins Rathaus der Stadt von Paganini, Verdi und Toscanini zog Anna Maria
Cancellieri ein, die heute in Mario Montis Technokratenregierung den Posten
der Innenministerin innehat. Monti, so sehen es viele in Italien, hat von
der heimlichen Herrscherin Europas persönlich, der Signora Merkel, den
Auftrag bekommen, gnadenlos für Ordnung zu sorgen in der viertstärksten
Volkswirtschaft Europas.
In Parma haben die Wähler jetzt eine ganz andere Idee gehabt, um zu retten,
was noch zu retten ist. Federico Pizzarotti, mit über 60 Prozent der
Stimmen zum neuen Herrscher der Stadt gewählt, ist ein kleiner zarter Mann
aus der Wirtschaft, mit einem breiten Grinsen vom einen bis zum anderen der
großen Ohren. Nächstes Jahr wird er vierzig, er sieht aus wie 25. Er gehört
zum MoVimento 5 Stelle (M5S), der vom TV-Komiker und Polit-Zampano
charismatisch geführten 5-Sterne-Bewegung, die angetreten ist, Italiens
Politik radikal zu erneuern.
## Schlimmer geht's nimmer
„Man wirft uns vor, dass wir keine politische Erfahrung haben“, sagt
Pizzarotti. „Aber wenn die anderen die Stadt in den Ruin treiben – ich
meine: Schlechter können wir es wirklich nicht machen.“ Pizzarottis
Programm ist ehrgeizig und umfangreich. 68 gedruckte Seiten, natürlich auch
als Pdf; YouTube-Videos, Spenden via Paypal, auf Facebook ist er sowieso.
Alles sehr Piraten-mäßig. Pizzarotti kennt die deutschen Brüder und
Schwestern im Geiste, natürlich. Er kennt auch eine Gruppe, die mit ihnen
Kontakt hat, aber ihr Name, der fällt ihm gerade nicht ein. Der
Bürgermeister grinst.
Im Programm geht es um Bürgerbeteiligung, um Transparenz, um kostenloses
WLAN, um Müllverbrennung, um Fotovoltaik, um fairen Handel und Polemik
gegen die Banken. Alles, wie es der Mentor Beppe Grillo gern haben möchte –
in Italien redet man auch weniger von der 5-Sterne-Bewegung als von den
„Grillini“, den Grillo-Leuten.
Das sei aber eben nur der Dreh, den die Medien der Sache gäben, sagt
Pizarotti. „Grillo ist unser Türöffner – mit seiner Polemik, mit seinem
Humor. Aber die „5 Sterne“ sind ein Netz von Bürgerlisten, die die gleiche
Philosophie haben, die die gleiche Aufmerksamkeit für soziale und für
Umweltthemen verbindet und die aber unabhängig voneinander vor Ort Politik
machen.
Die Webseite der Bewegung wird dennoch klar von Beppe Grillo kontrolliert –
und heißt auch so: [1][www.beppegrillo.it]. Darauf wird gelobt und
getadelt, aufgenommen und ausgestoßen, werden Mitgliedern Pressekontakte
verboten und – das Wort geistert durch jede „5 Stelle“-Debatte – einem
Populismus gefrönt, den man links kaum nennen kann: Wenn etwa Grillo
verkündet, dass nicht die Mafia Sizilien kaputt macht, sondern der Staat
mit seinen Steuern; und dass „die Migranten kein Recht auf die italienische
Staatsbürgerschaft haben“.
## Der Pflug Beppe Grillo
„Grillo ist wie ein Pflug, und wir setzen dann die Samen in die Furchen.
Vielleicht überspitzt er manchmal, aber nur so findet man Gehör“, sagt
Pizzarotti. „Zum Thema Migration gibt es jedenfalls viele
Missverständnisse. Unsere Position ist: Einwanderung ist eine Ressource.
Aber den Migranten einfach die Staatsbürgerschaft geben – das reicht nicht.
Nötig ist eine kulturelle Arbeit, vor allem durch die Schule. Und wenn dann
die Kinder der Einwanderer im Dialekt von Parma reden – soll man ihnen dann
sagen: Ihr gehört nicht dazu, ihr seid keine Italiener!?“
Ein paar hundert Kilometer weiter nördlich, am Lago di Varese am Fuß der
Alpen, gibt es einen Bürgermeister, der ganz ähnliche Ansichten zum Thema
hat: Nein zum ius soli, Ja zum ius sanguinis; aber ob das nun für die
Zuwanderer einfach Identifikation bedeutet oder doch Unterwerfung, und mit
und unter welche Kultur eigentlich genau – das ist von einem der kommenden
Leute der separatistischen Lega Nord nicht zu erfahren.
Attilio Fontana ist Bürgermeister von Varese, und im Unterschied zu Parma
ist der Reichtum hier noch ungebrochen. Dafür regnet es seit Tagen.
Mussolini selbst, so die städtische Legende, habe die 80.000
Einwohner-Stadt einst zum Sitz einer gleichnamigen Provinz gemacht. Den
faschistischen Baudenkmälern der Epoche steht Nässe so schlecht wie dem
Beton des Bundeskanzleramts in Berlin.
## Der „Folterknecht“ Mario Mont
Die Gärten der „città giardino“, der Gartenstadt, strotzen dafür vor
Üppigkeit. Folgt man den Metaphern Attilio Fontanas, dann könnten die
Regentropfen auch Tränen sein, Tränen der Stadt über einen ihrer Söhne.
Hier in Varese kam am 19. März 1943 Mario Monti zur Welt, „der
Folterknecht“, sagt Fontana, „der mit seiner rigiden Sparpolitik den Norden
Italiens ausbluten lässt“. Grillo übrigens nennt Montis Politik und
Performance nur „Rigor Montis“ in Anspielung auf „Rigor Mortis“ –
Totenstarre.
Fontana ist bleich, unrasiert, wirkt ausgepowert. Zum Premier des Landes,
dem er sich als Lega-Funktionär nur eingeschränkt zugehörig fühlt, hat er
einen hübschen Dreiklang parat. „Monti besitzt ein paar Immobilien hier in
Varese, aber am Leben der Stadt hat er nie wirklich teilgenommen: Man sieht
ihn nicht auf der Piazza, nicht bei der Messe, nicht beim Aperitif.“
Fontana, im Zivilberuf Anwalt, ist mit seinen 60 Jahren eine der letzten
Hoffnungen bei der nach dem Korruptionsskandal um den Clan des
Parteigründers Umberto Bossi arg ins Schlingern geratenen Lega Nord. Zu
Bossi hat der Bürgermeister immer Abstand gehalten, das zahlt sich jetzt
aus. Fontana gilt als Vertrauensmann der neuen Nummer 1 der Separatisten,
Roberto Maroni – und siehe: Auch der ehemalige Innenminister der Regierung
Berlusconi ist in Varese geboren.
## Fontanas wunderliche Gleichnisse
Wenn Parma mit Pizzarotti das Zentrum eines neuen, bürgerbewegten
Populismus ist, dann steht Varese für den Versuch, die Lega Nord als
kleinbürgerliche Protestpartei über Wasser zu halten. „Hören Sie“, sagt
Fontana und zieht seine Jacke aus: „Ein Lega-Anhänger, ein ’leghista‘ wi…
nie zu einem ’grillino‘ werden. Das wäre, wie wenn ich sage, ein Mann, dem
die Frauen gefallen, geht plötzlich mit einem Mann ins Bett.
Ausgeschlossen!“
Jenseits der Macho-Rhetorik möchte aber auch Fontana von den Begriffen
„rechts“ und „links“ nichts mehr wissen. Die Lega will immer noch neu s…
will Bewegung bleiben statt Partei sein. Aber während Grillo das System zu
verändern sucht, möchte Fontana seinen hübschen Landstrich zwischen Alpen
und Po einfach aus dem als korrupt und ineffizient denunzierten
italienischen Staat herausschneiden.
Euroskeptisch sind sie beide und spielen mit dem Gedanken an eine neue
Landes- beziehungsweise Regionalwährung. Und die Deutschen? Das einzige
Wort, das Fontana kann, ist „Jawoll“. Es klingt wie aus einem Kriegsfilm.
Die Nachbarn im Norden, kaum vier Autostunden entfernt, sind ihm herzlich
fremd – und tun ihm ein wenig leid: Sie müssten für Griechenland zahlen wie
die Norditaliener für den Süden des Landes.
## Bewunderung der Provinzhausfraue
Fontana ist gewitzt und nicht unsympathisch. Seine Rhetorik ist die des
Bauernsohnes, den man das Gymnasium hat besuchen lassen und der nun mit
klassischen Zitaten das Vertrauen und die Bewunderung der Provinzhausfrauen
einheimst. Schon den großen Hannibal hätten die Römer kleingekriegt, indem
sie ihm ein paar Nutten, Rotwein und Milchlammbraten schickten – und dabei
hatte er es von Afrika über die Alpen bis vor die Tore der Stadt geschafft.
„Mit Elefanten!“
Attilio Fontana will sich von den Römern nicht aufs Kreuz legen lassen. Und
doch sagen seine politischen Gegner, dass er sich als Führungskraft dem Ruf
in die nationale Politik nicht mehr lang werde entziehen können – und die
findet bis auf Weiteres in Rom statt. Spätestens 2013 wird gewählt. Für die
„5 Sterne“ würden derzeit 21 Prozent der Wähler stimmen. Damit wären sie
die zweitstärkste Kraft im Land, nach der linksliberalen Demokratischen
Partei. Die Lega käme kaum über fünf Prozent.
In Parma zeigt sich unterdessen, dass die Macht bekommen und die Macht
behalten zwei ganz verschiedene Dinge sein können. Federico Pizzarotti hat
für die Sommermonate den Straßenverkauf von Alkohol nach 21 Uhr verbieten
lassen. Jetzt nennt man ihn den „Scheriff von ParmaRiad“. Der Weg vom
Populisten zum Autokraten kann sehr kurz sein. Via Internet geht es
vielleicht noch schneller.
27 Jul 2012
## LINKS
[1] http://www.beppegrillo.it/
## AUTOREN
R. Valsecchi
A. Waibel
## TAGS
Italien
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