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# taz.de -- Debatte Krise in Italien: Land ohne Lächeln
> Die Krise in Italien trifft vor allem die anständigen Leute, diejenigen,
> die immer Steuern gezahlt haben. Die Reichen leben friedlich in ihren
> Villen am Meer.
Bild: Die schöne Seite Italiens: Toskana.
In Italien gibt es jetzt ein Werbeplakat, das die Rabatte eines Möbelhauses
anpreist. Man sieht ein nacktes Paar von hinten, seine Blöße bedeckt ein
Schriftzug: „Ist Monti vorbeigekommen?“ So weit ist es also mit der
italienischen Krise: dass mit dem feinen Banker aus der Lombardei ziemlich
primitiv geworben werden kann.
Seriöser beschrieben, hat die Krise in den Monaten seit Berlusconis Abgang
und Montis Regierungsauftrag drei Aspekte: Es geht um einen allgemeinen
Glaubwürdigkeitsverlust; dann um eine Krise des kulturellen Lebens;
schließlich um eine der Unternehmen. Das alles trifft konkret vor allem
diejenigen Italiener, die immer versucht haben, ein anständiges Leben zu
führen: Die also ihre Steuern bezahlt und sich gebildet haben, die sich an
die Gesetze halten und die in Europa keinen Feind, sondern eine Chance
sehen – und zwar in erster Linie für die Demokratie, nicht für die
Wirtschaft.
Die Krise ist aber nicht über Nacht mit Monti auf diese Italiener gekommen.
Italien trat nach dem Krieg in eine Phase des Booms ein dank der USA – und
das spülte eine Leitungsklasse nach oben, der es um Wettbewerb ging, nicht
um Demokratie. 1968 fand der Massenkonsum Eingang in die italienische
Gesellschaft, der sich im Folgenden zu einem Massenkonsum minderwertiger
TV-Produkte entwickelte, dargeboten gleichermaßen von der staatlichen RAI
wie von Berlusconis Mediaset.
Als sich dann Ende der 1980er Jahre die großen Volksparteien auflösten,
welche soziale Kontrolle ausgeübt und einen gewissen erzieherischen Auftrag
wahrgenommen hatten, war die italienische Gesellschaft nur noch ein
Anhängsel der Interessen der Wirtschaft, der Banken, des Vatikans und der
Mafia.
Mit Monti bleiben jetzt erstmals in der italienischen Nachkriegsgeschichte
– um das italienische Sprichwort wörtlich zu übersetzen – „alle Knoten …
Kamm hängen“. Was über Jahrzehnte versäumt wurde zu bekämpfen, in der
Ersten (seit 1945) wie in der Zweiten Republik (1989 folgende), die
privaten Raubzüge also, die billigen Karrieren der 68er, das Verschleudern
öffentlichen Eigentums, all das wird erst jetzt zu einem Problem.
## Die Kosten tragen die ärmsten Italiener
Leider ist es Monti gelungen, die Kosten dieses Wirtschaftens nun
ausgerechnet auf den Schultern der ärmsten Italiener abzuladen anstatt sich
die politische Kaste, die Unternehmen und die Banken vorzunehmen. Premier
Monti ist ein fähiger und kluger Spezialist, er hat es durchaus verstanden,
die Karten neu zu mischen und einige der Probleme, die Italien im
Würgegriff haben, deutlich zu benennen; er hat aber nie wirklich
Verantwortung für die eigenen Maßnahmen übernommen, sondern sie als
„technisch“, als alternativlos verkauft; und er weigert sich, die wahren
Schuldigen für den Niedergang Italiens zu stellen.
In diesem Umfeld folgte für die Italiener auf die Freude über den Sturz
Berlusconis das böse Erwachen über die rapide Verschlechterung der
wirtschaftlichen Lage. Monti reagierte darauf mit einer Reform des
Arbeitsmarktes, die die Macht der Gewerkschaften einschränkt, aber keine
neuen Investitionsanreize schafft. Die Jugendarbeitslosigkeit ist unter
Monti sogar dramatisch angestiegen.
Gleichzeitig hat der Regierungschef alles getan, die Interessen der
Finanzmärkte zu bedienen und den Haushalt zu sanieren, ohne allerdings
wirksam diejenigen zu belasten, die das Gemeinwesen durch Hungerlöhne,
Kapitalflucht und Korruption haben ausbluten lassen. Vor allem die
Großbanken ließ Monti unbehelligt – also jene Institute, die die größten
Steuerbetrüger und die organisierte Kriminalität zu ihren Stammkunden
zählen.
Und so verharren die Italiener nun ohnmächtig im Angesicht der Krise. Es
gibt diejenigen, die abtauchen, vor allem unter Rentnern und
Festangestellten. Sie nehmen nicht mehr am öffentlichen Leben teil,
verbarrikadieren sich in ihren Häusern und versuchen sich irgendwie
durchzuwursteln.
Dann gibt es unter den Jüngeren viele, die nicht so einfach akzeptieren
können, dass sie alle Hoffnung fahren lassen sollen. Hier sammelt sich ein
Italien, dem es endgültig reicht und das deswegen Monti auch nicht
unterstützt. Es sind diejenigen, deren einzige Perspektive die zermürbende,
endlose Sorge um das Notwendigste ist – und das, obwohl gerade sie es
wären, die das Land in eine bessere Zukunft führen könnten.
## Ein Labor für die Spaltung der Gesellschaft
Mit ihnen ist Monti gnadenlos gewesen. Er hat das Rentensystem reformiert,
indem er das Pensionsalter anhob, womit es weniger Arbeitsplätze für die
Jungen gibt. Wenn der staatliche und private Sektor Zugriff auf die
unbestrittenen Fähigkeiten der Jungen haben wollen, dann geht das nur mit
Prekariats-Arbeitsverträgen.
Schließlich gibt es die Italiener, die gehätschelt wurden und werden durch
ein System, das Steuerbetrug kinderleicht macht. Als Unterstützer Montis
bleiben sie schön im Hintergrund, leben friedlich in ihren Villen und
Ferienhäusern am Meer, in ihren Stadtresidenzen in den Zentren der
schönsten Städte der Welt. Es handelt sich keineswegs nur um VIPs und
Profifußballer, sondern zum Großteil um kleine und mittlere Investoren,
Leute, die Einnahmen aus Vermietungen und Verpachtungen haben.
Italien ist derzeit eine Art Labor für die Spaltung einer Gesellschaft nach
den streng hierarchischen Regeln des Konsums. In den Städten wird das
bereits sichtbar. Die Viertel des Mittelstands verwahrlosen, die Peripherie
füllt sich mit Outlets, wo die Armen ein Gemeinschaftsgefühl bei der
Schnäppchenjagd suchen. Die historischen Innenstädte werden zu Reservaten
der Superreichen und der entsprechenden Luxusketten. Nimmt man die
Überalterung der italienischen Gesellschaft hinzu und die Flucht der Jungen
ins Ausland, ist das Bild der Monti-Ära komplett. Und Berlusconi steht
schon wieder vor den Türen.
In diesem Inferno versuchen die Italiener weiterzumachen. Aber sie lächeln
nicht mehr. Aus einem Land, in dem die Freude an der öffentlichen Debatte
für manche Unzulänglichkeit entschädigte, ist ein trauriges Land geworden.
Und die einzige Medizin, die helfen würde, ist Ehrlichkeit: zu sich selbst
und zu den anderen.
27 Aug 2012
## AUTOREN
Leonardo Palmisano
## TAGS
EU
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