# taz.de -- Polizeikritiker aus den eigenen Reihen: Ein heißes Eisen | |
> Die „Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten“ | |
> wurde 1986 gegründet. Für manche waren sie Vorbilder, für andere | |
> Schweine. | |
Bild: Protest vor dem AKW Brokdorf, 1986. Andere Demonstranten waren gar nicht … | |
HAMBURG taz | Dass auch im Polizeiapparat Menschen arbeiten, die sich eher | |
als Linke verstehen, zeigte viele Jahre lang die „Bundesarbeitsgemeinschaft | |
kritischer Polizistinnen und Polizisten“. Ihre Gründung ging auf die | |
umstrittenen Polizeieinsätze gegen die Brokdorf-Demonstrationen 1986 | |
zurück: Obwohl das Bundesverfassungsgericht ein Grundsatzurteil zur | |
Verteidigung der Versammlungsfreiheit verkündet hatte – den sogenannten | |
„Brokdorf-Beschluss“ –, hatten am 7. Juni starke Polizeieinheiten den | |
sogenannten „Hamburger Konvoi“, der sich mit 12.000 TeilnehmerInnen auf dem | |
Weg zum Atommeiler befand, in den Mittagsstunden bei Kleve in | |
Schleswig-Holstein gestoppt. | |
Unterstützt von Helikopter-Luftlande-Einheiten des damaligen | |
Bundesgrenzschutzes attackierte die Polizei die TeilnehmerInnen des Konvois | |
und machte die Fahrzeuge durch Zerstechen von Reifen und Zerschlagen von | |
Windschutzscheiben fahruntüchtig. Der Hamburger Konvoi musste – sofern die | |
Fahrzeuge noch manövrierfähig waren – umkehren, ohne den Ort der | |
Demonstration je erreicht zu haben | |
Als Reaktion auf diese Vorgänge sowie die Einkesselung von 761 | |
Demonstrantinnen tags drauf auf dem Heilgengeistfeld schlossen sich rund 20 | |
Hamburger BeamtInnen um den Schutzpolizisten Manfred Mahr und dem Sprecher | |
der Hamburger Fachhochschule der Polizei, Thomas Wüppesahl, zum „Hamburger | |
Signal“ zusammen, das den Polizeiapparat unter die Lupe nehmen und | |
Missstände beseitigen wollte. Das „Signal“ verstand sich als | |
Bürgerrechtsbewegung mit dem Ziel, ein „Zeichen gegen Demokratieabbau in | |
unserer Republik zu setzen“. | |
Bereits ein Jahr später formierte sich 1987 in Bonn die | |
Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten (BAG), zu | |
deren Gründungsmitgliedern neben Mahr und Wüppesahl der | |
Kriminalhauptkommissar Manfred Such aus Soest in Nordrhein-Westfalen | |
gehörten. Angestrebt wurde die Gründung weiterer Landesverbände. So | |
entstand in Nordrhein-Westfalen ein erster regionaler Zusammenschluss, kurz | |
darauf gründete sich im November 1987 in Bayern eine | |
Landesarbeitsgemeinschaft mit 35 Mitgliedern. | |
„Die werden es noch schwerer haben als wir“, war damals die Einschätzung | |
der Hamburger Vorstandssprecher Manfred Mahr und Heiko Dietrich-Schönherr, | |
die von Repressalien und psychischem Druck gegen ihre Mitglieder | |
berichteten. So waren Medienberichte über die Kritischen in | |
Polizeistationen in Hamburg an schwarzen Brettern aufgetaucht, die Namen | |
rot unterstrichen, damit jeder die „Kameradenschweine“ gut erkennen konnte. | |
Das zweite Arbeitstreffen der BAG im Februar 1988 fand direkt im | |
oberpfälzischen Schwandorf in der Nähe der geplanten | |
Wiederaufbereitungsanlage für Brennelemente in Wackersdorf (Bayern) statt, | |
um die Rolle der Polizei in der Auseinandersetzung um den Ausbau von | |
Großtechnologien kritisch zu beleuchten. Nach Meinung der BAG stellen die | |
Einsätze der Polizei zum Schutz derartiger Anlagen „den Schutz der | |
Privatrechte Einzelner – hier der Betreibergesellschaft – dar“. Die Poliz… | |
werde dabei zum „Erfüllungsgehilfen“. | |
Junge Polizistinnen und Polizisten, so BAG-Sprecher Manfred Mahr, sollten | |
ermutigt werden, sich in Vereinen und Bürgerinitiativen zu engagieren, | |
damit ihnen „das Obrigkeitsdenken gar nicht in die Wiege gelegt wird“. Ein | |
solches Engagement wäre für ihn auch eine Garantie für „rechtsstaatliches | |
Einsatzverhalten“ der Beamten. „Für mich ist die Einkesselung von Menschen | |
unfassbar und menschenunwürdig“, erklärte Mahr. Er wies darauf hin, dass | |
ein Beamter bei der Anordnung zu einer offensichtlichen Straftat oder | |
Ordnungswidrigkeit sogar die Pflicht habe, den Befehl zu verweigern. | |
Mit bundesweit 200 Mitgliedern stellte sich die BAG Übergriffen bei | |
Demonstrationen und der Aufrüstung der Polizei entgegen und versuchte, | |
durch die Forderung nach einer besseren sozialadäquaten Polizeiausbildung | |
ausländerfeindlichen und rassistischen Tendenzen entgegenzuwirken und die | |
„Wahrung der Menschenrechte durch alle Polizisten zu gewährleisten“. Zudem | |
forderten sie die konsequente Strafverfolgung von Wirtschafts- und | |
Umweltdelikten. | |
Die BAG erhielt 1988 den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis der SPD, die damit | |
das Eintreten „für mehr demokratische Gesinnung und Strukturen in der | |
Polizei“ und „besonders für das Recht und die Pflicht zu Widerspruch und | |
selbstkritischer Prüfung“ würdigte. | |
Doch zugleich nahmen die befürchteten Repressalien gegen kritische | |
Polizistinnen und Polizisten zu. Als BAG-Gründungsmitglied Manfred Such in | |
der WDR-Talk-Show „Drei vor Mitternacht“ erklärte, er erlebe im Dienst | |
„fast täglich“ rechtswidrige Handlungen von Kollegen, was er in seiner | |
Publikation Bürger statt Bullen weiter ausführte, stellten 66 seiner | |
Kollegen Strafanträge, und die Staatsanwaltschaft Arnsberg erhob im Jahre | |
1988 Anklage wegen Beleidigung. Das Verfahren wurde schließlich | |
eingestellt. Obwohl viele „kritische“ Gewerkschaftsmitglieder waren, wurden | |
sie von den Polizeigewerkschaften DPolG, GdP und BdK eher als | |
„Nestbeschmutzer“ angesehen. | |
Ein weiteres heißes Eisen packte die BAG 1989 bei ihrer Jahrestagung in | |
Stuttgart nahe Stammheim an, auf der sie sich mit dem Gesinnungsparagrafen | |
129a Strafgesetzbuch (Bildung terroristischer Vereinigungen) kritisch | |
auseinandersetzte. Wie andere Bürgerrechtsorganisationen stellten auch die | |
„Kritischen“ fest, dass dieser Paragraf sowie der Paragraf 129 (Bildung | |
krimineller Vereinigungen) zur Verfolgung von Straftaten nicht notwendig | |
seien. In der Praxis des politischen Strafrechts diene insbesondere der | |
Paragraf 129a in erster Linie zu ausgedehnter Ermittlungstätigkeit und | |
Gesinnungsstrafrecht. Immer wieder würden unbeteiligte Bürger erfasst. | |
Beim Hamburger Polizeiskandal Anfang der 1990er-Jahre spielten die | |
kritischen Polizistinnen und Polizisten des Hamburger Signals eine | |
Schlüsselrolle, waren sie es doch, die manch rassistischen Übergriffe und | |
Polizeigewalt zunächst noch intern und dann auch öffentlich machten. So | |
avancierte der Polizist Uwe Chrobok, der 1993 als erster seinen Ausbildern | |
an der Landespolizeischule von Polizeigewalt gegen vornehmlich schwarze | |
Menschen im Polizeirevier Kirchenallee in Hamburg-St. Georg gegenüber dem | |
Hauptbahnhof berichtete, zum Kronzeugen. | |
## Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen | |
Er hatte gesehen, dass mutmaßliche Drogendealer in den Verwahrzellen mit | |
Tränengas oder Insektenspray zur Desinfektion besprüht worden waren. | |
Vorgesetzte taten sich mit solchen Berichten schwer und wollten sie nur | |
widerwillig zur Kenntnis nehmen, wären sie doch eigentlich gezwungen | |
gewesen, Strafverfahren gegen die Übeltäter in Uniform einzuleiten, um sich | |
nicht der Strafvereitelung im Amt schuldig zu machen. | |
Lange versuchte daher die Polizeiführung, den Skandal unter der Decke zu | |
halten, dann kam das Ausmaß doch heraus und SPD-Innensenator Werner | |
Hackmann trat „entsetzt“zurück. In über 100 Fällen sollen Verdächtige | |
nachts an die Stadtgrenze gefahren und orientierungslos ausgesetzt worden | |
sein, selbst Scheinhinrichtungen soll es gegeben haben, ungerechtfertigte | |
Freiheitsberaubungen und Körperverletzungen waren offenbar keine | |
Seltenheit. Für die „Kritischen“ war eine logische Konsequenz aus diesen | |
Erfahrungen die Forderung nach einem unabhängigen Polizeibeauftragten mit | |
weitreichenden Befugnissen, an den sich auch Polizisten bei Kenntnis von | |
Straftaten ihrer Kollegen anonym wenden könnten. | |
Die Reaktion des Polizeiapparates blieb nicht lange aus. Repräsentanten der | |
BAG kritischer Polizistinnen und Polizisten wurden zunehmend mit | |
Repressalien und Zwangsversetzungen überzogen. Dem Hamburger Kripobeamten | |
Thomas Wüppesahl, der vom Dezernat Wirtschaftskriminalität in die Abteilung | |
Autodiebstahl des Dezernats Organisierte Kriminalität (OK) versetzt worden | |
war, wurde vorgeworfen, Verfahrensakten, die in der OK-Dienststelle | |
schlampig herumlagen, geklaut und der Presse zugespielt zu haben, um die | |
Polizei in Misskredit zu bringen. Er wurde in zwei Instanzen | |
freigesprochen. | |
## Raubmord zum Schein | |
Derartige Vorgänge lösten bei Wüppesahl jedoch die Paranoia aus, dass sein | |
langjähriger Freund bei den Kritischen, Andreas Schellen, der 1990 in der | |
taz-Serie „Helm ab – nachdenken“ über faschistoide Tendenzen beim | |
Einsatzzug Mitte berichtete, ein polizeilicher Spitzel (V-Mann) sein | |
könnte. Seiner eigenen Darstellung nach schlug er deshalb seinem Freund | |
Andreas Schellen zum Schein einen blutrünstigen Raubmord in Berlin vor. Der | |
Wachmann eines Geldtransports sollte erschossen und ihm der Geldkoffer am | |
Handgelenk mit einem Fleischerbeil abgehackt werden. | |
Doch Wüppesahl irrte. Schellen stellte sich erst aufgrund des Mordplans, | |
nachdem er Mitglieder der BAG konsultiert hatte, in den Dienst der Polizei, | |
um als Lockspitzel für das Dezernat interne Ermittlungen zu arbeiten. Er | |
förderte die Pläne für den Überfall. Bei der Übergabe einer Waffe klickten | |
im Oktober 2004 bei Wüppesahl die Handschellen. Er wurde wegen Verabredung | |
zu einer Straftat zu viereinhalb Jahren Knast verurteilt. | |
Die BAG gibt es zwar trotz heftiger Streitigkeiten in den letzten zwei | |
Jahrzehnten offiziell noch, die Zentrale befindet sich am Wohnsitz von | |
Bundessprecher Thomas Wüppesahl in Geesthacht. Seit 2011 fand aber keine | |
Mitgliederversammlung mehr statt. Viele Protagonisten der ersten Stunde | |
haben inzwischen mit dem Kapitel abgeschlossen und möchten sich dazu nicht | |
mehr öffentlich äußern. | |
Es sei eine wichtige Zeit gewesen, die niemand missen möchte, weil man doch | |
einiges habe bewirken können. Doch die Zeiten hätten sich geändert. | |
18 Jan 2021 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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