# taz.de -- Ostdeutsche Russlandphantasien: Putins Paradies | |
> Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer möchte die Sanktionen gegen | |
> Russland lockern. Warum das feige, verlogen und chauvinistisch ist. | |
Bild: 7. Juni, St. Petersburg: Putin (r.) spricht mit Michael Kretschmer | |
Der Deutsche sagt anderen gern, was sie tun sollen. Und die mögen das nicht | |
so. Zum Glück gibt es die Europäische Union, denn nur so konnten die | |
Deutschen während der Finanzkrise in Griechenland einreiten und den | |
Menschen beibringen, ihren Rentnern das Geld wegzunehmen. Natürlich nicht | |
ohne vernünftigen Grund – Sparpolitik! –, denn der Deutsche tut anderen | |
zwar gerne etwas an, aber es muss vernünftig sein. | |
Diese Haltung, dass ein Volk wie ein Vater über den anderen steht, die | |
haben sich die Deutschen über die Jahrhunderte angewöhnt, in denen sie in | |
sogenannten Reichen lebten, Heiliges Römisches Reich, Kaiserreich, | |
Tausendjä…nun ja, Sie wissen, was ich meine. Kern der Idee eines Reiches | |
ist es, dass ein Volk väterlich über die anderen im Reiche wacht, wenn es | |
vernünftige Gründe gibt, auch mal mit Schlägen. Das Reich ist quasi die | |
Fortsetzung des patriarchalen Haushalts mit internationalen Mitteln. | |
Dieses imperiale Mindset macht vielen Deutschen Russland so sympathisch, | |
beziehungsweise nicht wirklich Russland, denn es interessiert sie | |
nullkommaniente warum Tausende Menschen in [1][Jekaterinburg] gegen den Bau | |
einer Kirche protestieren und sich dafür von Polizisten zusammenschlagen | |
lassen. Nein, sie finden den russischen Präsidenten Wladimir Putin super | |
mitsamt seiner Idee einer Russki Mir, einer russischen Welt also, in der | |
andere Völker durchaus existieren dürfen, so lange sie sich ab und an einen | |
mit väterlicher Vernunft verabreichten Arschvoll abholen. Es wäre doch | |
allzu unübersichtlich, wenn plötzlich zum Beispiel die Menschen in der | |
Ukraine anfangen wollten, eigenständig über ihr Land zu bestimmen. Als sie | |
es doch versuchten, kam der Klapps aus Moskau – Annexion der Krim, | |
russische Soldaten im ukrainischen Donbass. | |
## Sanktionen haben Löcher | |
Die Sanktionen der EU gegen russische Personen, Unternehmen und | |
Institutionen haben unter anderem das Ziel, Russland endlich dafür zu | |
interessieren, das Abkommen von Minsk mit umzusetzen. Das soll den Krieg im | |
ostukrainischen Donbass eindämmen und eines Tages freie Wahlen in dem | |
Gebiet ermöglichen. Außerdem soll es Russland ermuntern, die Krim an die | |
Ukraine zurückzugeben. Dafür sind die Sanktionen allerdings zu löchrig und | |
wie in der Vergangenheit schon öfter gezeigt, leicht zu umgehen (googeln | |
Sie Siemens, Turbinen, Krim). | |
Es ließe sich also darüber reden, ob die Sanktionen nicht viel zu lasch | |
sind, angesichts von über 10.000 Toten in der Ostukraine, aber diese | |
Diskussion wird in Deutschland nicht geführt. Statt dessen fordern | |
[2][ostdeutsche Politiker*innen] wie aktuell Sachsens Ministerpräsident | |
Michael Kretschmer (CDU) und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin | |
Manuela Schwesig (SPD) immer mal wieder ein Ende der Sanktionen. | |
In Ostdeutschland gäbe es dazu eine eigene Meinung, sagen sie, und | |
kokettieren mit dem Selbstbild einiger Ostdeutscher, man sei aufgrund der | |
früheren Zugehörigkeit zur sowjetischen Einflusssphäre besonders empathisch | |
Richtung „Osten“. | |
Richtig daran ist, dass das falsch ist: Die Empathie erstreckt sich nämlich | |
selten auf die von Putin Regierten und schon gar nicht auf Polen, | |
Weißrussen oder Ukrainer. Nicht umsonst sprechen die Sanktionsgegner so | |
gern vom „Nachbarn Russland“ als lägen da nicht noch ein, zwei Länder | |
dazwischen – aber gut, das hat Nazi-Deutschland beim gemeinsamen Aufteilen | |
Polens mit der Sowjetunion auch nicht gestört, das hat also ebenfalls | |
Tradition (googeln Sie Ribbentrop-Molotow, polnische Teilungen, Preußen). | |
Wahrscheinlicher könnte sich in solch einer Haltung das Interesse der | |
ostdeutschen Landwirte spiegeln, ihren Käse weiter nach Russland verhökern | |
zu können, egal, wen russische Soldaten so alles erschießen. Für Sachsens | |
Ministerpräsidenten wäre in diesem Zusammenhang interessant, dass das | |
gegenüber deutsch-russischer imperialer Großmäuligkeit recht sensible | |
[3][Polen] für sein Bundesland wirtschaftlich mindestens ebenso wichtig, | |
wenn nicht gar wichtiger ist, aber um Wirtschaft geht es dann vielleicht | |
doch gar nicht so sehr. | |
## Homogener Führerstaat | |
Stattdessen werden beide Politiker*innen gemerkt haben, wie sehr Russland | |
den autoritären, AfD-affinen Wählerinnen am Herzen liegt, als | |
Projektionsfläche für einen homogenen Führerstaat, in dem Frauen noch | |
Frauen und Männer noch Männer sind, in dem Trans*- und Homosexuelle | |
verhaftet und ermordet werden, als vermeintliches Paradies, in dem man zum | |
eigenen Glück selbst nicht leben muss. | |
Also nein, das Abschaffen der Sanktionen folgte keiner Vernunft, es wäre | |
auch keiner speziellen ostdeutschen Empathie geschuldet, außer der für die | |
eigenen rechtsradikal wählenden Wutbürger (googeln Sie Hau-ab-Gesetz) und | |
einer Scheißegaligkeit für alle Menschen östlich der Neiße, für die es | |
keinen Begriff geben kann außer opportunistischer Niedertracht. | |
12 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/jekaterinburg-streitet-um-e… | |
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/bismarck-ist-das-falsche-vorbild-was-kr… | |
[3] https://twitter.com/PrzybylskiCez/status/1138388609881575429?fbclid=IwAR1dD… | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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