| # taz.de -- Niedersachsens Pflegekammer aufgelöst: „Desaster für die Minist… | |
| > Sozialministerin Carola Reimann (SPD) verkündet das Ende der | |
| > Niedersächsischen Pflegekammer. Grüne, Linke und FDP fordern nun Reimanns | |
| > Rücktritt. | |
| Bild: Pflegekammer am Ende: Sozialministerin Carola Reimann bei ihrer Verlautba… | |
| Osnabrück taz | Chaos. Eine Charakterisierung, an die sich die Pflegekammer | |
| Niedersachsen längst gewöhnt hat. Auch Stefan Birkner hat sie benutzt, der | |
| Vorsitzende der FDP Niedersachsen, Anfang 2020, anlässlich einer Aktuellen | |
| Stunde im Hannoveraner Landtag. Und „Chaos“ reichte ihm dabei nicht. Seine | |
| Forderung, frei nach Harry Potter: „Lassen Sie uns diese Kammer des | |
| Schreckens beenden!“ | |
| Die Kammer selbst sieht sich natürlich anders. Man sei eine „starke | |
| Gemeinschaft“. Ihre Ziele, von „Situation der Pflegefachpersonen | |
| verbessern“ bis „professionelle pflegerische Versorgung sichern“, klingen | |
| vollmundig. | |
| Aber es gibt einen Unterschied zwischen guten Absichten und guter Arbeit. | |
| Fakt ist: Die Pflegekammer hat sich oft selbst ins Knie geschossen. | |
| Personalgehakel, Sicherheitslücken bei Online-Mitgliederbefragungen, | |
| Versand intransparenter Beitragsbescheide. Kammermitglieder gingen gegen | |
| ihre Zwangsmitgliedschaft auf die Straße. Eine Petition, die Kammer | |
| abzuschaffen, brachte es auf fast 51.000 Unterschriften. Ein Klima der | |
| Unsicherheit, in dem die Hoffnung, beruflich Pflegenden eine „einheitliche, | |
| gemeinsame Stimme“ zu verleihen, ihren „Einfluss auf die Gestaltung von | |
| besseren Rahmenbedingungen für die berufliche Pflege“ zu stärken, sich | |
| nicht erfüllen konnte. | |
| Am Montag bekam die Kammer für all das die Quittung: In einer | |
| Online-Abstimmung sprachen sich 70,6 Prozent der Teilnehmenden gegen ihren | |
| Fortbestand aus. Nur 15.100 der 78.000 Stimmberechtigten nahmen ihr | |
| Stimmrecht wahr. | |
| Als bindend sieht die Landesregierung das Ergebnis trotzdem. Man werde, | |
| sagt Sozial- und Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD), „unverzüglich | |
| die Auflösung einleiten“. Die Kammer sei „offensichtlich nicht die Form von | |
| Vertretung, die sich die Pflegekräfte in Niedersachsen wünschen“. | |
| Nadya Klarmann, Präsidentin der Kammer, sieht die Abstimmung nicht als | |
| valide Entscheidungsgrundlage. „Pflege darf nicht auf stumm geschaltet | |
| werden!“, sagt sie. Reimann solle der Kammer „die notwendige Zeit geben, | |
| ihren gesetzlichen Auftrag weiter zu erfüllen“. | |
| Warum nur 78.000 Pflegende stimmberechtigt waren, obwohl die Kammer von | |
| 90.000 Pflegenden im Land spricht? Lars Leopold, Hannoveraner | |
| Landesvorsitzender der Linken, der froh ist, dass „die Kammer nun | |
| abgewickelt wird“, sagt: „Es gibt wohl Leute, die erst halb registriert | |
| sind oder zu denen die Kammer keinen Kontakt hat.“ Möglicherweise, vermutet | |
| er, sollten auch Pflegekräfte „von der Befragung ausgeschlossen werden“, | |
| einige Kammermitglieder hätten auch auf Nachfrage im Sozialministerium | |
| keinen Zugangscode erhalten. „Das wäre nach all den Pleiten und Pannen rund | |
| um die Pflegekammer der absolute Super-GAU!“ | |
| „Um in der Pflege wirklich was zu bewegen, braucht es starke | |
| Gewerkschaften“, sagt Leopold. „Und es braucht Freiwilligkeit, keine | |
| Zwangsverkammerung. Das grundsätzliche Problem ist ja, dass eine solche | |
| Kammer ein Verwaltungsapparat ist. Der kann gar nicht an den richtigen | |
| Hebeln ziehen, um was gegen die Missstände in der Pflege zu tun.“ | |
| Leopold fordert jetzt Reimanns Rücktritt: „Nach den vielen groben | |
| Schnitzern, die sich die Sozialministerin gerade in Bezug auf die | |
| Pflegekammer bereits geleistet hat, ist es endlich Zeit, Frau Reimann | |
| auszuwechseln.“ | |
| Auch die Grünen distanzieren sich von ihr: „Das katastrophale Ergebnis der | |
| Umfrage war vorhersehbar“, sagt Meta Janssen-Kucz, pflegepolitische | |
| Sprecherin der Grünen im Landtag, und spricht von einem „Desaster für die | |
| Ministerin“. Es dokumentiere „das komplette Versagen der Landesregierung“. | |
| Das Scheitern der Pflegekammer bedeute, fürchtet Janssen-Kucz, dass die | |
| Pflege in Niedersachsen ohne starke Interessenvertretung „fremdbestimmt“ | |
| sei: „Zukünftig werden weiterhin die Kranken- und Pflegekassen und | |
| Arbeitgeber die Rahmenbedingungen vorgeben. Wirtschaftliche Zwänge werden | |
| Maßstab sein, nicht die notwendigen Verbesserungen bei den | |
| Arbeitsbedingungen.“ | |
| Dass Reimann die Auflösung der Kammer ankündigt, aber keine Alternative | |
| nennt, sei „einer Sozialministerin nicht würdig“, so Janssen-Kucz. Auch | |
| Aysun Tutkunkardes, Gewerkschaftssekretärin des Ver.di-Landesbezirks | |
| Niedersachsen/Bremen, stört diese Alternativlosigkeit: „Wir haben uns immer | |
| für eine freiwillige Pflegendenvereinigung ausgesprochen“, sagt sie. „Aber | |
| die Ministerin war stets dagegen.“ | |
| ## Millionen versenkt | |
| Auch Stefan Birkner ist für eine freiwillige Pflegendenvereinigung, die | |
| „eine wirkliche Stärkung der Pflege und der Pflegekräfte leisten kann“. | |
| Sein Fazit zur Kammer: „Hier wurden mit Ansage Millionen versenkt und das | |
| Vertrauen der Pflegekräfte in die Politik nachhaltig beschädigt.“ Auch er | |
| legt Reimann den Rücktritt nahe: „Sie ist auf ganzer Linie gescheitert.“ | |
| Für Grünen-MdB Filiz Polat, damalige pflegepolitische Sprecherin ihrer | |
| Fraktion im Landtag und starke Verfechterin der Pflegekammer, ist deren | |
| Ende „gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie ein herber Rückschlag“. | |
| Die Kammer habe in ihrem Aufbau keine „volle Rückendeckung“ erfahren, ein | |
| „Versagen der Landesregierung“. | |
| 8 Sep 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Harff-Peter Schönherr | |
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