# taz.de -- New Order mit neuem Album: Hübsche Freundin, schönes Auto | |
> Wenn die britische Band New Order ein neues Album veröffentlicht, so ist | |
> das immer noch ein Ereignis – nur was für eins? | |
Bild: Peter Hook? Bernard Sumner (vorne) trägt vorsichtshalber Sonnenbrille. | |
So ein Name, den man sich als Künstler gemacht hat, kann ja vielleicht auch | |
wie Ballast wirken, den man ewig mit sich herumschleppt und der irgendwann | |
so schwer auf den Schultern wiegt, dass die Finger wie Blei auf den | |
Tasteninstrumenten liegen und die Gitarre müde bis hinunter auf den Boden | |
hängt. | |
Die legendäre britische Band New Order hat einen solchen Namen; sie hat | |
Popgeschichte mitgeschrieben und Welthits komponiert – mit Unterbrechungen | |
gibt es New Order, die sich in der einstmals grauen, tristen, trägen | |
Industriestadt Manchester zusammenfand, seit nun 35 Jahren. Hervor gingen | |
sie aus der ebenso legendären und noch viel mythenumwobeneren Band Joy | |
Division, nachdem deren Sänger Ian Curtis sich 1980 das Leben genommen | |
hatte. | |
New Order vollbrachten seinerzeit kleine Wunder: Mit Meisterwerken wie dem | |
Album „Power, Corruption and Lies“ (1983) fing die Band um Gitarrist und | |
Sänger Bernard Sumner die Trauer und Bitterness nach dem Tod von Curtis ein | |
und wies gleichzeitig den Weg in die Zukunft. In ihrem Hit „Blue Monday“, | |
ebenfalls 1983 veröffentlicht, verdichtet sich mit jedem stampfenden, | |
klopfenden, klackernden Beat die Geschichte dieses noch jungen Bandlebens. | |
Durch „Blue Monday“ kennt die ganze Welt die Wunderband; Pop-Hoffnungen | |
beruhen auf ihr in einer Zeit, in der sich die ganze Welt ein bisschen wie | |
Manchester anfühlt. Die erste und dringlichste Frage, die New Order zu | |
dieser Zeit, in diesem unterkühltem Song stellen, ist deshalb auch: „How | |
does it feel?“. | |
Diese Frage, „How does it feel?“, hallt nach, jedes der im seltenen Abstand | |
veröffentlichten Alben der britischen Band muss auf dieser Folie gelesen | |
werden. Ohne diese initialen Ereignisse, ohne die Sehnsucht, die sie | |
vermittelten, lassen sich New Order bis heute nicht denken. Selbst einzelne | |
ihrer Songs waren immer Erzählungen von etwas Größerem. | |
Und ein Ereignis ist es auch weiterhin, wenn die Gruppe wieder | |
zusammenfindet – nun nach zehn Jahren Abstinenz –, um ein neues Album | |
einzuspielen. „Music Complete“ heißt das Ergebnis dieser Zusammenkunft, es | |
ist das zehnte Studioalbum New Orders. Exbassist Peter Hook war erstmals im | |
Studio nicht dabei, er wurde ersetzt von Tom Chapman. Phil Cunningham, | |
ehemaliger Tourgitarrist und Teilzeitmitglied, ist nun ebenfalls fester | |
Bestandteil der Band. Und noch eine Neuerung: Erstmals veröffentlichen New | |
Order ein Werk auf dem ehemaligen Depeche-Mode-Label Mute Records. | |
Wenn die Briten zuvor große Narrative strickten, so weiß man auf „Music | |
Complete“ nicht so recht, wovon sie überhaupt reden. Mit drei | |
klangtypischen, okayen Songs geht es los, sie ordnen sich zwischen | |
Gitarren- und Synthiepop ein, diesmal allerdings, im Vergleich zu einem | |
Album wie dem britpoppigeren „Get Ready“ von 2001, befindet man sich auf | |
der Skala viel weiter auf der Synthesizer-Seite. Bereits im Auftaktsong, | |
der Single-Auskopplung „Restless“, steht der Text in merkwürdigem Kontrast | |
zum Song, denn wenn Sumner singt „Restless / I feel so restless / And in | |
this changing world / I am lost for words”, so klingen die für New Order | |
typischen Midtempo-Akkorde eher müde bis gelangweilt als unruhig. Würde | |
„Music Complete“ nun die elf Songs lang so vor sich hinplätschern, man | |
würde es wahrscheinlich kaum wahrnehmen. | |
Dann aber merkt man doch, dass New Order nicht einfach nur ein weiteres | |
Album machen wollten. Irgendwo zwischen Funk, Disco und New Wave sind | |
„Tutti Frutti“ (mit der britischen Produzentin La Roux am Gesang und einem | |
vor sich hin grummelndem Italiener als Background-Sprechgesang) und „People | |
on the high Line“ angesiedelt, allerdings gehen diese Experimente nicht | |
eine Sekunde lang auf, sie sind nicht besser als eine durchschnittliche | |
Eurodance-Nummer (und das heißt ja schon was). | |
## Prominente Gäste | |
Mit prominenten Gästen geht es auch weiter auf dem Album, Iggy Pop spricht | |
sich durch das intermezzoartige „Stray Dog“, einen Song ohne Chuzpe und | |
Dramaturgie; gegen Ende kehrt man mit „Nothing but a fool“ zu einer Musik | |
zurück, die ziemlich an den Sound und die Tonfolgen des „Get Ready“-Albums | |
erinnert. Eigentlich gelang es New Order erstaunlich oft, ein | |
vorherrschendes Gefühl, eben Sehnsüchte über ihre Songs zu transportieren. | |
Das gilt nicht nur für die weltweit mehr als 10 Millionen Mal verkaufte | |
Single „Blue Monday“, sondern auch für das 1987 veröffentlichte „True | |
Faith“, den Song „World in Motion“, den sie für das englische | |
Fußballnationalteam im Wendejahr 1990 schrieben – und das war selbst auf | |
dem Album „Get Ready“ noch so, das, obgleich kurz vor dem 11. September | |
2001 veröffentlicht, sich seltsam passend zur Zeit der „New World Order“ | |
fügte, die sich aus diesem Ereignis ergab. Vielleicht erklären die Momente | |
auf „Music Complete“, in denen sie bemüht versuchen, daran anzuknüpfen, | |
warum die Rezeption des Albums – auch in der Popkritik hierzulande– so | |
unterschiedlich ausfällt. | |
Es gibt aber entscheidende Unterschiede der New Order von heute zu der | |
Wunderband von einst: Damals schöpfte die Band aus dem Kaputten, aus dem | |
Fragmentarischen, die Songs verhielten sich bis in die frühen nuller Jahre | |
hinein in irgendeiner Art und Weise zu dem, was die Band in Nordengland | |
umgab. | |
„Music Complete“ aber scheint sich gar nicht zu verhalten zu der Welt aus | |
den Fugen von 2015. Bei einer großen Band wie New Order ist dies einfach | |
nur schade. Außerdem ist jegliche Einheitlichkeit verloren gegangen. Sumner | |
sagte kürzlich, man habe überlegt, ob man eine lose Folge von EPs statt | |
eines Albums veröffentlichen wolle. Dies ist hör- und spürbar, die Songs | |
finden keine Bindung zueinander, viele funktionieren nicht einmal einzeln. | |
„Music Complete“ klingt wie ein Album, von dem man nicht weiß, wo es | |
hinsteuert, wohin es will, ob es überhaupt irgendwohin will. Man möchte es | |
Sumner fast, völlig ungebrochen, abnehmen, wenn er im ersten Song singt: „I | |
want a nice car / A girlfriend / who’s as pretty as a star / I want respect | |
/ as much, as much as I can get“ – und wenn dies das Einzige ist, was er | |
will. Bei einem Podiumsgespräch in Berlin erklärte Sumner vor Kurzem, dass | |
während der Entstehung der Songs immer erst ganz zum Schluss die Texte | |
kämen. Weil er sich schwertäte mit dem Schreiben. Vielleicht liegt das im | |
Moment allerdings eher daran, dass er nicht allzu viel zu sagen hat. | |
9 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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