# taz.de -- Neues Dancefloor-Album von Jayda G: Familiengeschichte mit Delay | |
> Pop, Funk und Groove: Das zweite Album der kanadischen Produzentin Jayda | |
> G, „Guy“, erzählt eine persönliche Geschichte mit klassischem Housesoun… | |
Bild: Nun geht es um die Familiengeschichte: Jayda G in der kanadischen Wildnis | |
Zurückspulen. Charakteristisches Rauschen eines alten Tapes, die Tonspur | |
knackt etwas. Dazwischen eine Stimme: „It’s probably been about five days | |
that I found out“ – sie stockt – „the news.“ Die Stimme gehört Willi… | |
Richard Guy, Jayda Guys Vater. Er filmt sich in einem orangefarbenen | |
Ledersessel, graues Shirt. Man sieht das Alter der Aufnahme durch die | |
Pixel, sie stammt von Ende der 1990er Jahre. William Richard Guy berichtet | |
über sein Leben, seine Erfahrungen. Die News sind, er hat Krebs. | |
Seine Tochter Jayda Guy, kanadische House-Produzentin und DJ, erinnert sich | |
vage an die Momente, als ihr Vater in sein Arbeitszimmer verschwand, um vor | |
seinem Tod die Familiengeschichte in Videoaufnahmen festzuhalten. Nun, fast | |
ein Vierteljahrhundert nach seinem Ableben, überträgt Jayda G Versatzstücke | |
davon in ihre Musikvideos. | |
„Scars“ und „Circle Back Around“ gehören zu Singleauskopplungen aus ih… | |
neuen Album „Guy“, das vor kurzem beim britischen Dancefloorlabel Ninja | |
Tune Records erschienen ist. | |
Die Musik auf „Guy“ klingt sehr tanzbar und zugleich experimentell, ein Mix | |
aus Poparrangements und Funkgrooves mit Disco- und Houseelementen. So hebt | |
ihr Track „Scars“ kurz in klassischen Spät-80er-Acid-House ab, um dann doch | |
in der Hookline in poppige Klargesänge überzugehen. | |
## Hyper-energetischer Gesang | |
Die 34-jährige Künstlerin singt hyper-energetisch und träumerisch. „Guy“ | |
ist ihr zweites Soloalbum, [1][nach „Significant Changes“ (2019)]. Ging es | |
damals um den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die kanadische | |
Westküste, ist das Konzept diesmal persönlicher Natur. | |
Als DJ hat Jayda G in der Vergangenheit bereits eigene Tracks in diese | |
Richtung produziert, „Diva Bitch“ mit Alexa Dash sticht hervor. Ein | |
bounciger Housetrack, der an die Pionierzeit im Chicagoer Club „Warehouse“ | |
gemahnt. Jayda betont weibliches Begehren, so wie damals, als es auf dem | |
Dancefloor in Chicago zu emanzipatorischen Momenten für die (oft queeren) | |
Produzent:innen kam. | |
In „Diva Bitch“ wird dieser affirmative Einschlag aufgegriffen: Der | |
Songtext stiftet zum Nachahmen an. Die devote Frage „Do you think I am | |
beautiful?“ ist ironisch. Alexa Dash stellt gleich danach klar, dass dies | |
eine rhetorische Frage war: „I’m am strong / I am independent / I am | |
capable.“ | |
## Selbstbewusste Erinnerungskultur | |
Ähnlich selbstbewusst macht Jayda G mit „Guy“ weiter. Die Musik ist ein | |
Hybrid, der ästhetisch und erinnerungskulturell spektakulär viele Einflüsse | |
vereint.Jaydas Vater William Guy berichtet in seinen Aufnahmen über die | |
Rückkehr aus dem Vietnamkrieg, in dem er als GI gekämpft hat. In dieser | |
Zeit zerbrach seine erste Ehe. Während er in den fünfziger Jahren mit einer | |
alleinerziehenden Mutter in Kansas City aufwächst, verbringt Jayda G | |
dreißig Jahre später in der kanadischen Provinz Kindheit und Jugend. Sie | |
ist neben einem anderen Mitschüler die einzige PoC in ihrem Jahrgang. | |
Im Lockdown sichtet Jayda G erstmals die Aufnahmen ihres Vaters. Sie macht | |
sich Notizen und verdichtet diese zu eigenen Songtexten, beschreibt | |
bestärkende familiäre Tätigkeiten und Praktiken, die sich über die | |
Generationen hinweg ereignet haben: „When She Dance“ etwa ist eine Ode an | |
die alleinerziehende Großmutter und schildert deren Tanzlust. Auch hier | |
überlagert Jayda G durchdachte Housekomposition mit Pop und R&B-Elementen, | |
wie man das sonst von Mariah Carey kennt. | |
Im Album werden erlebte Erfahrungen aktualisiert, was die Künstlerin in | |
„Your Thoughts“ mit dem Satz: „Your Thoughts, my life, they coincide“ a… | |
den Punkt bringt. Die Form der Wiederkehr lässt sich hier auch stilistisch | |
lesen. Vocals werden geloopt, Textausschnitte wiederholt. Einem ähnlichen | |
Call-and-Response-Prinzip folgt „Meant To Be“. E-Gitarre und verträumte | |
Ambientklänge stellen sich zu einem zwirbligen, scharfen Klavier, deren | |
Ineinandergreifen an den Souljazz von Donald Byrd erinnert. Der Delay hat | |
Vorrang, Stimmen bleiben hängen, hallen nach. | |
Das Album „Guy“ schafft es, eigenständig zu klingen und zugleich mit viel | |
Gespür musikalische Genres zu zitieren. Die Musik klingt wie ein Abend im | |
Sommer. Alles kann passieren, die Stimmung ist ausgelassen. Was sich von | |
den historischen und politischen Dimensionen des Moments vermittelt, hängt | |
davon ab, wie gut zugehört wird. Unter der Oberfläche ist die blaue Stunde | |
immer tief, immer leicht. | |
22 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Kücking | |
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