| # taz.de -- Neues Album „Influencer“ von Haiyti: Ständiges Hin und Her | |
| > „Influencer“ heißt das neue Album der Rapperin Haiyti. Es ist schon das | |
| > zweite in diesem Jahr und es festigt ihren Ruf als Energiebündel. | |
| Bild: Haiyti: „Tretet nach oben und schleimt nach unten, so wird man zum Infl… | |
| Haiyti ist die am besten funktionierende Projektionsfläche des deutschen | |
| HipHop, vielleicht sogar der hiesigen Popmusik. Aber eine Influencerin ist | |
| sie nicht. Stattdessen lassen sich in den unzähligen Feuilletontexten über | |
| die 27-jährige Hanseatin vor allem Wünsche von Autor:Innen an sie | |
| herauslesen. | |
| Hier eine unvollständige Liste mit Zuschreibungen für Haiyti: Berlinerin, | |
| Cloud-Rapperin, Drogendealerin, Fashionista, Gangster, Gossenpoetin, | |
| Kunststudentin, Punk, Rebellin, Trap... Haiyti ist etwas Besonderes, das | |
| ist der gemeinsame Nenner der Projektionen. | |
| Und weil die Künstlerin sich einen radikalen Eklektizismus zur Aufgabe | |
| gemacht hat, es ihr visuell und im Sound um das Spiel mit Versatzstücken | |
| von überallher geht, kann man sich ganz einfach seinen Lieblingspart ihrer | |
| Musik herausnehmen, ihn höher gewichten als den Rest und Haiyti so in seine | |
| Wunschecke drängen. Es fühlt sich so an, [1][als gäbe es unzählige Haiytis, | |
| die erst auf Rezeptionsebene entstehen] und nebeneinander existieren. | |
| ## Wenige Follower sind ein Riesenproblem | |
| Für die Künstlerin wiederum ist das ein Riesenproblem. Eigentlich wäre sie | |
| gern ein Star. Doch auch wenn sie auf ihrem zweiten Album in diesem Jahr, | |
| das „Influencer“ heißt“, schon wieder wie ein Star klingt, ist sie es do… | |
| nicht. Die Zahlen beweisen es. Vergleichsweise geringe Followerzahlen in | |
| Social Media und nicht gerade exorbitante Streamingzahlen einerseits, im | |
| Verhältnis dazu extrem hohe mediale Aufmerksamkeit und unmenschliche | |
| Veröffentlichungsfrequenz (13 EPs, Mixtapes und Alben in den letzten vier | |
| Jahren). | |
| Es scheint so, als würden viele lieber über Haiyti philosophieren, als ihre | |
| Musik tatsächlich zu hören. Oder: Diese Aufzählung zeigt einmal mehr, wie | |
| pervers die Fixierung auf Erfolg im Zusammenhang mit Kunst eigentlich ist. | |
| Und dass qualitativ hochwertige und eigenwillige Musik trotzdem verlieren | |
| und untergehen kann, wenn die messbaren Zahlen fehlen. | |
| Aber verloren hat Haiyti eben nicht. Sie bewegt sich in einer Zwischenwelt | |
| – zwischen Majorlabelbilanzen und scheinbar radikaler Kunstwelt. Haiyti | |
| produziert Hits voller eingängiger Melodien, wohltuender Klänge und Grooves | |
| zum Tanzen. Sie produziert catchy Slogans am Fließband. Nur werden ihre | |
| Songs in der extrem kommerzialisierten Welt des HipHop nicht als Hits | |
| verstanden, sondern als Kunst. | |
| Mittlerweile existiert im Onlinemarketing der Begriff Microinfluencer. Er | |
| definiert Personen mit weniger als 100.000 Follower*innen in den sozialen | |
| Medien. Marken investieren lieber in eine Vielzahl dieser Figuren, weil | |
| diese näher an ihrer Zielgruppe sind. | |
| Der Einfluss von Microinfluencern durch das Suggerieren einer realen | |
| persönlichen Ebene soll größer sein. Vielleicht ist Haiyti eine | |
| Microinfluencerin. Verhältnismäßig wenige, aber dafür sehr treue | |
| Hörer*innen investieren viel Zeit in Haiytis Veröffentlichungen. | |
| Die persönliche Ebene entsteht durch im besten Sinne unprofessionelle Posts | |
| bei Instagram und Twitter. „Tretet nach oben und schleimt nach unten, so | |
| wird man zum Influencer!!!“, schreibt sie auf der Microblogging-Plattform | |
| beispielsweise am 8. Dezember, um 1.48 Uhr in der Nacht. Professionelle | |
| immer auf ihre Außenwirkung bedachte Influencerinnen würden so etwas nicht | |
| wagen. | |
| ## Mitten in Haiytis Kopf | |
| Die persönliche Ebene entsteht aber auch durch Haiytis Musik selbst. Denn | |
| die klingt intim. Bei Songs wie „star und zurück“, in dem es um eine | |
| gescheiterte Beziehung geht, scheint man in Haiytis Kopf zu sitzen und | |
| mitweinen zu wollen, weil das Hin und Her kaum mehr auszuhalten ist. „Es | |
| war mir nicht wichtig/ Es waren nur Kisses/ Ich hoffe, du vermisst mich.“ | |
| Andere Songs reduzieren sich aufs Pöbeln. Hayitis Musik lebt von | |
| Widersprüchen. Die transportieren Rastlosigkeit, und Rastlosigkeit erzeugt | |
| wiederum Energie. | |
| „Influencer“ hat eine uneinheitliche, aber schlüssige Klangsignatur. Sie | |
| wechselt zwischen hartem Trapsound, Dancehall-Elementen und auf leiernden | |
| Synthiehooks fixierte Balladen. Die Musik ordnet sich den Erzählungen von | |
| Haiyti unter. Und die skizzieren wiederum ein ständiges Hin und Her. | |
| Designerkleidung tragen, aber sie sich nicht leisten können. Andere | |
| Rapper*innen scheiße finden, aber Teil der Szene sein wollen. Verliebt | |
| sein, aber die Beziehung beenden. Depressiv sein, aber feiern gehen. | |
| „Influencer“ zeigt schließlich: Haiyti ist kein Star, weil sie zu viel zu | |
| gut kann. Und auch wenn sie heute noch keine Influencerin ist, die vor | |
| allem in der Gegenwart lebt, wird sie rückblickend doch viele Türen in | |
| Sachen Sound und Selbstdarstellung geöffnet haben. Denn genauer betrachtet | |
| ist es doch so. Es gab in der Geschichte von Deutschrap bisher kein*e | |
| Rapper*in, die in so kurzer Zeit so viel gute Musik veröffentlicht hat wie | |
| Haiyti. | |
| 11 Dec 2020 | |
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| [1] /Berliner-HipHop-Album-Kitschkrieg/!5713352 | |
| ## AUTOREN | |
| Johann Voigt | |
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