# taz.de -- Neuer Ludwigshafen-„Tatort“: Intelligentes schlechtes Gewissen | |
> Im Tatort aus Ludwigshafen geht es diesmal weniger um reale als um | |
> virtuelle Räume. Und es taucht die Frage auf, wem Rache eigentlich nützt. | |
Bild: Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) hat den Eindruck, dass Schülerin Marie (… | |
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber ich habe von Haus aus und später | |
dann im Leben noch gelernt, dass man bei der Polizei zu wesentlichen Dingen | |
nur in Begleitung eines Anwaltes Stellung nimmt, beziehungsweise im | |
jugendlichen Alter in der eines Elternteils; und das nicht zuletzt | |
deswegen, weil die Beamt:innen ja in einer durchaus verständlichen | |
Getriebenheit sind, das akute Geschehen, das sie bearbeiten, zu klären, und | |
sich um Einzelschicksale dabei nur bedingt kümmern. | |
Selbstverständlich ist es im konkreten „Tatort“-Fall dann auch hochgradig | |
zielführend, dass [1][Kommissarin Lea Odenthal (Ulrike Folkerts)] die | |
halbwüchsige Marie (herausragend: Leni Deschner) mal eben mehrmals in der | |
Freizeit abpasst und verhört – aber vorbildlich, gar polizeikritisch oder | |
wenigstens, wie es früher einmal hieß, den öffentlich-rechtlichen | |
Bildungsauftrag erfüllend ist Odenthals Verhalten nicht. | |
Das ist insofern seltsam, als dieser Ludwigshafen-„Tatort“ namens „Avatar… | |
an den meisten anderen Stellen eine Sensibilität an den Tag legt, die weder | |
in der Realität noch im TV-Krimi unbedingt üblich ist. Das bezieht sich | |
nicht nur auf das Thema sexueller Missbrauch, das in seiner Heftigkeit die | |
Stimmung vorgibt, sondern auch auf den Plot, bei dem man gar nicht weiß, | |
wie man ihn erzählen soll, ohne zu viel zu verraten. | |
Das wenigstens sei gesagt: Es ist eine hochgespannte, raffinierte | |
Erzählkonstruktion, in die Regisseur [2][Miguel Alexandre] und Autor Harald | |
Göckeritz uns einladen einzusteigen, mit schockhaften Erkenntnissen und dem | |
einen und anderen logisch oder narrativ nicht ganz sauber aufgelösten | |
Widerspruch im Detail. | |
## Vielschichtigkeit und Verletzlichkeit | |
Was nicht viel macht, eben außer der Erkenntnis, dass ich mich kaum an | |
einen „Tatort“ erinnere, in dem es nicht diese kleinen Ausrutscher gäbe, | |
gerade in so ambitionierten wie „Avatar“ – ein Film, in dem es grandiose | |
Leistungen insbesondere der jungen Schauspieler:innen zu sehen gibt: | |
Neben der schon genannten Leni Deschner („Das fliegende Klassenzimmer“) | |
glänzt als ihr Ex-Freund Caspar Hoffmann. Und [3][Luis Vorbach] zeigt, was | |
in einer Nebenrolle alles an Vielschichtigkeit und Verletzlichkeit steckt, | |
was da an Körperlichkeit herausgeholt werden kann. | |
Im Mittelpunkt steht aber als Hauptzeugin und Hauptverdächtige Bernadette | |
Heerwagen, die sonst auf der anderen Seite, [4][als Kommissarin in der | |
Reihe „München Mord“] glänzt. Mit Mut zum Fertig- und Verbrauchtsein | |
verkörpert sie, was ein schlechtes Gewissen und die Entschlossenheit, einen | |
katastrophalen Fehler nicht stehen zu lassen, alles aus einem Menschen | |
machen können. | |
Worum es (in) „Avatar“ geht, lässt sich vielleicht am unverfänglichsten m… | |
den Worten von Regisseur Alexandre zusammenfassen: „Wir leben in einer | |
digitalisierten Welt, in der sich Menschen in einem virtuellen Raum | |
verlieren und menschliche Bindungen sich aufzulösen drohen. Manipulation im | |
Internet und künstliche Intelligenz befinden sich auf dem Vormarsch und | |
lassen die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit verschwimmen. Von dieser | |
Gefahr handelt unser Tatort. Eine Gefahr, die katastrophale Auswirkungen | |
haben kann und vor der man warnen muss. Unser Anliegen war es, emotional | |
und packend zu erzählen; eine Bildsprache zu finden, die expressiv ist und | |
die Innenwelt der Figuren spürbar werden lässt.“ Das gelingt; und das ist | |
ja nicht wenig – und bemerkenswert aktuell. | |
7 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ulrike-Folkerts-zu-allesdichtmachen/!5767247 | |
[2] /Fernsehfilm-ueber-die-RAF/!5545074 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Luis_Vorbach | |
[4] /Krimireihe-Muenchen-Mord/!5874583 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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