# taz.de -- Neuer Film von Christoph Hochhäusler: Hart am Phantasma recherchie… | |
> Der Reporter als Reiseführer durch das Unwohlsein der Gesellschaft: „Die | |
> Lügen der Sieger“ tastet die Grenzen des investigativen Journalismus ab. | |
Bild: Auf der Jagd nach der Story des Jahres: Investigativreporter Fabian Groys… | |
Es geht mächtig was schief in der Welt: So könnte man ein vorherrschendes | |
Lebensgefühl im Hier und Heute beschreiben. Wenn man es genauer fassen | |
will, wird es dagegen schon schwierig: Sind es einzelne Phänomene wie | |
Griechenland, der Russland-Ukraine-Krieg, die Jugendarbeitslosigkeit in | |
Spanien, das „Game of Thrones“-Finale? Oder die großen Bereiche | |
Klimawandel, Flüchtlingsproblematik, Finanzmarkt und dass die Reichen immer | |
reicher werden? Oder das alles zusammen, getoppt von dem sich vom Gefühl | |
zur Tatsache verhärtenden Eindruck, dass wir alle überwacht und manipuliert | |
werden, von wem auch immer? | |
Keine Filmfigur kann dieses gewissermaßen Hamlet’sche Lebensgefühl von | |
„Etwas ist faul im Staate X“ besser verkörpern als der Journalist. Zu | |
Beginn von Christoph Hochhäuslers Thriller „Die Lügen der Sieger“ steigt … | |
nackt aus dem Bett, und der erste Griff nach dem Aufstehen gilt dem | |
Einschaltknopf des Laptops, das mit dem bekannten, dröhnenden | |
Fis-Dur-Akkord der Apple-Maschinen antwortet. | |
Florian David Fitz spielt diesen Reporter mit dem klingendem Namen Fabian | |
Groys, der klar als Klischee angelegt ist: ein noch jugendlicher, gut | |
aussehender Mann, der einen Oldtimer-Porsche fährt und seinen Tag sichtlich | |
nach eigenem Rhythmus anlegt. In seinem Beruf hat er offenbar schon so viel | |
Talent gezeigt, dass man ihm ein unangepasstes Verhalten nachsieht. | |
Außerdem stellt der Film gleich schon zwei seiner möglichen Schwachpunkte | |
heraus. | |
Zum einen weist ihn der routinierte Umgang mit Blutzuckermessgerät und | |
Insulinspritze als Diabetiker aus. Zum andern begibt sich Groys nächtens in | |
zwielichtige, französisch sprechende Gesellschaft, um an dubiosen | |
Wettspielen teilzunehmen, bei denen bündelweise Geld die Hände wechselt. | |
Beide Aspekte werden gerade ausführlich genug gezeigt, damit man sie als | |
raunende Ankündigung dessen begreift, was den Journalisten noch zu Fall | |
bringen könnte. | |
## Etwas ist faul | |
Um im Kino als Reiseführer durchs gesellschaftliche Unwohlsein zu | |
funktionieren, braucht die Journalistenfigur selbstverständlich eine | |
„Story“, an der sie „dran“ ist. In „Lügen der Sieger“ recherchiert… | |
einer Bundeswehrgeschichte, doch mit dem, womit sich Frau von der Leyen in | |
unser bundesrepublikanischen Realität herumschlägt, hat das Ganze herzlich | |
wenig zu tun. Dieses Ausweichen des Films ins Nebulöse, diese Vermeidung | |
allzu direkter Anspielungen auf die Gegenwart, wird sich bald nicht etwa | |
als Versehen, sondern als gewollte Strategie herausstellen. | |
So beinhaltet auch Groys’ Arbeitsstelle im Film, eine Zeitschrift namens | |
Die Woche, die man samt „Hauptstadtbüro“ und Seriositätsanspruch wohl mit | |
dem Spiegel identifizieren könnte, keine Aussage über das Vorbild, kein | |
noch so verhaltenes Augenzwinkern, sondern kommt als eine von | |
Aktualitätsbezügen gereinigte Schablone daher. | |
Denn Hochhäusler, der hier wieder wie bei „Unter dir die Stadt“ zusammen | |
mit dem Schriftsteller Ulrich Peltzer das Drehbuch schrieb, kommt es nicht | |
auf einen „realistischen“ Plot an, der, sagen wir, die deutsche | |
Kriegsteilnahme in Afghanistan geißeln würde, sondern auf besagtes | |
Lebensgefühl. Dass etwas faul ist, und zwar an einer Stelle, an der es die | |
Betroffenen gar nicht vermuten, legt der Film nahe, wenn er Groys’ Treffen | |
mit seinem Informanten aus der Perspektive einer Überwachungskamera zeigt, | |
einzoomend vom entferntem Standpunkt, in kontrastarmen Schwarzweiß und mit | |
brüchigem Ton. Wer hinter dieser Kamera steckt, weiß man als Zuschauer an | |
dieser Stelle noch nicht. | |
Erst nach und nach stellt sich heraus, dass die Gegenspieler von Groys, | |
also die, die seine „Geschichte“ verhindern wollen, nicht die | |
Bundeswehrverantwortlichen sind, sondern ein sich seltsam aufführender | |
kleiner Haufen von Menschen, die sich angespannt und schlecht gelaunt in | |
hochmodernen Büros treffen. Eine strenge Blondine, ein beleibter | |
Choleriker, ein brütendes Schwergewicht und ein sanfter Brillenträger | |
kommen immer wieder zusammen, um etwas zu besprechen, was man sich als | |
Lobbyistenintervention zusammenreimt. Im Bundestag steht eine Abstimmung | |
über Schadstoffgrenzwerte bevor und irgendwie geht von Groys’ Recherchen | |
Gefahr für das Ziel der Lobbyisten aus. | |
Sie scheuen jedenfalls keinerlei Aufwand und technische Expertise, um ihn | |
auszuspähen. Auch hier geht der Film nicht weiter ins Detail: Seinen | |
Computer von außen anzuzapfen ist offenbar Kinderkram. „Der Mann ist eine | |
Datenschleuder“, hört man den Experten sagen. Oder auch: „Facebook hackt | |
heute ein 12-Jähriger.“ | |
## Sie trägt nur einen Vornamen | |
Groys bekommt eine Volontärin, Nadya, an die Seite gestellt. Auch die | |
(gespielt von Lilith Stangenberg) ist gewissermaßen ein Klischee ihrer | |
selbst. Zwar vermeidet Hochhäusler den abgenutzten Topos, dass in Groys und | |
Nadya sich der alte Printjournalismus mit den neuen Social Media | |
zusammenraufen müssen, aber der Rest, bis hin zur Tatsache, dass sie nur | |
einen Vornamen trägt, erfüllt ein bewährtes Muster: Nadya ist das | |
aufgeweckte Mädchen, das naiv tönt, aber doch Biss bei der Recherche | |
beweist. Sie ist ganz Mädchen, wenn sie beim Anblick eines Wrestling-Matchs | |
im Fernsehen ausruft: „Eklig, was die da machen!“, und ganz Frau, wenn sie | |
philosophiert: „Wie viel Zeit man wartend vor dem Computer verbringt!“ | |
Selbstverständlich fantasiert sich Porschefahrer Groys da schon | |
leidenschaftliche Momente mit ihr. | |
Einerseits frustriert Hochhäuslers Methode, beständig auf Details einer | |
Realität zu verweisen, ohne diese in einen schlüssigen, als unsere | |
tatsächliche Gegenwart erkennbaren Zusammenhang zu bringen. Andererseits | |
schafft er auf diese Weise eine Atmosphäre, die anders mitnimmt, als es ein | |
spannender Plot etwa über die aktuelle „Nasarbajew-Connection“ je könnte. | |
## Der Reporter wird selbst die Story | |
Naturalistische Dialoge, die absichtsvoll „nicht erklärend“ gehalten sind, | |
bilden zusammen mit den eingeblendeten Berliner-Straßen-Impressionen und | |
einer Kamera (Reinhold Vorschneider), die Parallelfahrten bevorzugt, einen | |
faszinierenden Mix aus Künstlichkeit und Realismus. Ein verwirrendes Spiel | |
mit Innen- und Außenperspektive, bei der viel von außen in Fenster hinein | |
und von innen aus Fenstern heraus gefilmt wird, evoziert die | |
Allgegenwärtigkeit eines Sehens, das nicht gesehen wird. Wie schon in | |
„Unter dir die Stadt“ entsteht das diffuse Gefühl einer netzartigen | |
Verschwörung, die umso unheimlicher ist, weil eben keine Strippenzieher, | |
keine James-Bond-Bösewichte mit Weltherrschaftstraum auszumachen sind. | |
Hochhäuslers Film korrespondiert auf vielfältige Art mit anderen | |
Journalistenfilmen. Ein direktes Zitat gibt es erst gegen Ende mit einer | |
kurzen Szene, die Humphrey Bogart in „Deadline USA“ (1952) als Reporter | |
zeigt, der gegen das organisierte Verbrechen anschreibt. Wobei „Die Lügen | |
der Sieger“ wenig am Hut hat mit den klassischen, den Beruf des Reporters | |
als Proletarier der Aufklärung feiernden Filmen wie Alan Pakulas „All the | |
President’s Men“ oder Kevin Macdonalds „State of Play“. | |
Aber auch von den medienkritischen Filmen wie Sidney Lumets „Network“, | |
James L. Brooks’ „Broadcast News“ oder zuletzt Dan Gilroys „Nightcrawle… | |
die die Eitelkeiten der Nachrichtenbranche aufs Korn nehmen, setzt | |
Hochhäuslers Film sich ab. Vielmehr nimmt er atmosphärisch Fühlung auf mit | |
Werken wie Antonionis „Beruf: Reporter“, Schlöndorffs „Die Fälschung“… | |
insbesondere Pakulas „The Parallalax View“: Filme, in denen der Reporter | |
selbst die Story wird, in der er als Befindlichkeitsindikator, als Avatar | |
durch eine Welt führt, die sich der Beschreibung immer wieder entzieht. | |
Es ist dieser letzte Punkt, auf den „Die Lügen der Sieger“ hinausläuft, d… | |
das aktuelle Lebensgefühl schließlich vielleicht am besten trifft: dass | |
immer, wenn man den Finger in die Wunde gelegt zu haben glaubt, wenn man | |
sich aufregt über den neuesten Bundeswehrskandal, über die gerade entlarvte | |
Korruption oder frisch aufgedeckte Umweltsünden – dass sich dann kurz | |
danach herausstellt, dass man sich an falscher Stelle echauffiert hat. Dass | |
die eigentliche, die wahre, die allumfassende Skandalgeschichte doch wieder | |
woanders, weiter im Verborgenen liegt. | |
18 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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