# taz.de -- Neue Organspende-Regelung: „Ja“, „Nein“ oder ignorieren | |
> Per Brief wird jeder Erwachsene in Deutschland künftig aufgefordert, sich | |
> für oder gegen eine Organspende zu entscheiden. Doch es bleiben | |
> Datenschutzbedenken. | |
Bild: Durch die neue Regelung soll die Spendebereitschaft erhöht werden. | |
BERLIN taz | Nach mehr als 15 Jahren Debatte über die Neuregelung der | |
Organspende haben sich die Spitzenvertreter und Fachpolitiker aller im | |
Bundestag vertretenen Fraktionen sowie die Bundesregierung am | |
Donnerstagabend auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf geeinigt. Danach wird | |
jeder Erwachsene künftig regelmäßig von seiner gesetzlichen oder privaten | |
Krankenkasse per Brief aufgefordert, sich für oder gegen eine Organspende | |
nach dem Tod zu entscheiden. | |
Die zu geringe Zahl der Organspender soll so erhöht werden. Einen Zwang zur | |
Entscheidung soll es aber nicht geben. Der Gruppenantrag zur | |
„Entscheidungslösung“ soll im Sommer Gesetz werden und die bisherige | |
„Zustimmungslösung“ ersetzen. | |
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier rief am Freitag zur raschen | |
Verabschiedung der Gesetzesänderung auf. Bloße Appelle hätten nicht | |
ausgereicht, um die Spendebereitschaft zu erhöhen, sagte er. Steinmeier | |
hatte im August 2010 seiner Ehefrau eine Niere gespendet. | |
„Jeder Organspender ist ein Lebensretter“, sagte Bundesgesundheitsminister | |
Daniel Bahr (FDP) am Donnerstagabend. Die Politik sei es den rund 12.000 | |
schwer kranken Menschen auf den Wartelisten für ein Spenderorgan schuldig, | |
sich dafür einzusetzen, dass mehr Menschen Organe spenden, sagte die | |
SPD-Gesundheitspolitikerin Carola Reimann. | |
„Deswegen wollen wir die Menschen deutlich öfter mit dem Thema | |
konfrontieren“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Union, Jens | |
Spahn (CDU). Die Grünen-Expertin Elisabeth Scharfenberg erklärte, es sei | |
wichtig, „dass mit der Post die Diskussion auch in die Familien getragen | |
wird“. | |
Trotz des jetzt erzielten Kompromisses blieben „datenschutzrechtliche | |
Bauchschmerzen“, sagte ihr Fraktionskollege Harald Terpe. Zuletzt war | |
zwischen den Fraktionen Streit darüber entbrannt, wer die Information, ob | |
ein Mensch spenden will, auf der elektronischen Gesundheitskarte speichern | |
darf: Der Versicherte selbst? Oder auch seine Krankenkasse? | |
Diese Fragen sollen nun geprüft werden. Möglich wäre, ein separates Fach | |
auf der elektronischen Gesundheitskarte zu schaffen, in das die Kassen die | |
Organspendeerklärung des Versicherten eintragen. Ein generelles | |
Schreibrecht der Kassen lehnen die Grünen ab. Die Linken-Politikerin | |
Martina Bunge sagte, es werde „immer die Möglichkeit geben, die | |
Entscheidung auch auf Papier zu dokumentieren“. | |
## Erste Briefe bis 2013 | |
Konkret ablaufen soll die schriftliche Befragung durch die Krankenkassen | |
wie folgt: Man kann seine Bereitschaft bejahen, sie verneinen oder das | |
Anschreiben einfach wegwerfen. Erklären kann man auch, nur bestimmte Organe | |
spenden zu wollen und andere nicht. Zunächst soll die Entscheidung wie | |
bisher auf einem Organspendeausweis dokumentiert werden, später dann, | |
sobald dies technisch möglich ist, auf der elektronischen Gesundheitskarte. | |
Die erste Welle an Anschreiben soll bis Mitte 2013 verschickt sein. Zwei | |
Jahre später sollen die Bürgerinnen und Bürger erneut befragt werden, | |
danach alle fünf Jahre. | |
Derzeit müssen spendewillige Menschen ihre Bereitschaft aus eigener | |
Initiative erklären, per Organspendeausweis oder gegenüber den Angehörigen. | |
Laut Umfrageergebnissen sind 70 Prozent der Deutschen zur Spende bereit, | |
aber weniger als 20 Prozent haben einen Spenderausweis. | |
Nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) spendeten | |
2011 1.200 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe, 7,4 Prozent weniger als | |
2010. Wer sich zu Lebzeiten nicht erklärt, überlässt die Entscheidung über | |
die Organentnahme im Zweifel seinen hinterbliebenen Angehörigen. Daran | |
ändert sich auch mit dem neuen Gesetz nichts. | |
Während Ärztekammerpräsident Frank Montgomery die Entscheidung begrüßt, ü… | |
die Deutsche Hospiz Stiftung scharfe Kritik an dem Vorhaben. Das Einzige, | |
was der Politik einfalle, so Vorstand Eugen Brysch, sei, den Druck auf die | |
Krankenhäuser zu erhöhen, und „penetrante Werbung“ in der Bevölkerung. | |
2 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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