# taz.de -- Neue Mobilisierungsregeln in der Ukraine: Kein Krieg, zumindest fü… | |
> Bisher hängen Einberufungen in der Ukraine nicht vom Einkommen ab. Doch | |
> die Regierungspartei denkt darüber nach, das zu ändern. | |
Bild: Einkommen spielte bisher keine Rolle, aber das könnte sich ändern | |
LUZK taz | Im ukrainischen Präsidentenbüro denkt man darüber nach, die | |
Regeln zur Einberufung in die Armee zu ändern. Ein Kriterium dafür soll die | |
Höhe der Einkommensteuer sein. Das berichten in der Ukraine Medien wie | |
Forbes und Suspilne. Über eine solche Idee werde zwar nachgedacht, aber die | |
Regierungspartei Sluha narodu (Diener des Volkes) oder das Parlament | |
stellten sie bisher nicht offiziell zur Diskussion. | |
Laut Forbes sollen ukrainische Staatsbürger dann vom Militärdienst | |
verschont werden, wenn sie monatlich 6.000 Hrywnja Einkommensteuer oder | |
mehr zahlen und damit mindestens 33.400 Hrywnja (ca. 800 Euro) verdienen. | |
Zum Verständnis: das durchschnittliche Monatsgehalt in der Ukraine betrug | |
im September 2023 etwas mehr als 14.000 Hrywnja (300 Euro), nach Angaben | |
des ukrainischen Pensionsfonds. | |
Ein anderer Vorschlag gehe noch weiter: Arbeitnehmer, für die der | |
Arbeitgeber etwa 14.500 Hrywnja (320 Euro) an Steuern zahlt und die damit | |
circa 66.000 Hrywnja (1.500 Euro) monatlich verdienen, könnten mit einer | |
Zurückstellung vom Militärdienst rechnen. Für Arbeitnehmer im IT-Sektor, | |
die bislang vom Militärdienst befreit sind, spricht man von einem | |
Mindesteinkommen von umgerechnet 3.400 Euro. Sie würden demnach auch | |
künftig nicht einberufen werden. | |
Aktuell sind außerdem Männer im wehrpflichtigen Alter, die im Bereich der | |
kritischen Infrastruktur wie Energieversorgung, kommunalen | |
Versorgungseinrichtungen, im Rettungs- oder Justizdienst arbeiten, sowie | |
Beamte vom Militärdienst befreit. | |
## Ein Anreiz gegen Schwarzarbeit | |
Bereits [1][Ende 2023 legte die Regierung dem Parlament ein Gesetz] über | |
Änderungen bei der Mobilmachung vor. Das ukrainische | |
Verteidigungsministerium bereitet derzeit ein neues Verfahren vor. Die | |
Regierungspartei Diener des Volkes erklärte, Änderungen mit Blick auf die | |
Einkommensteuer wolle sie in einer Fraktionssitzung erörtern. | |
Viele prominente Wirtschaftswissenschaftler in der Ukraine sehen bei der | |
Mobilmachung in Abhängigkeit vom Einkommen Vorteile. Der Leiter des | |
nichtstaatlichen [2][Zentrums für Wirtschaftsstrategie in Kyjiw, Hlib | |
Vyshlinsky], meint zum Beispiel, dass dies der „beste Anreiz zur | |
Legalisierung von Gehältern in der Geschichte des Landes“ sei. | |
Der Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Pavlo Kukhta nennt solche | |
Regelungen „eine Demonstration des kompetenten Umgangs mit der Macht“ im | |
Zermürbungskrieg zwischen den Volkswirtschaften der Ukraine und Russlands. | |
Und der Finanzexperte Serhij Fursa bezeichnet die geplanten Änderungen als | |
„einen Schritt zu einer effektiveren Kriegsführung“. Außerdem sagte er: | |
„Der Staat sollte bei der Entscheidung, wer in der Armee dienen soll, von | |
klaren Kriterien ausgehen. Eines davon ist, ob eine Person Steuern zahlt, | |
die auch die Armee finanzieren.“ | |
## Das spaltet die Gesellschaft | |
Oppositionspolitiker sowie einige Abgeordnete der Regierungspartei sind | |
jedoch der Ansicht, dass die Aufnahme hoher Einkünfte in die Liste der | |
Gründe zur Befreiung vom Militärdienst zu heftigen Diskussionen führen | |
werde, weil die Menschen die Möglichkeit, sich quasi offiziell von der | |
Armee „freikaufen“ zu können, als ungerecht und diskriminierend empfinden | |
würden. | |
Genau das wird aktuell auch in den sozialen Medien diskutiert. Diese | |
Initiative sei ungerecht, ein „Schlag ins Gesicht der Freiwilligen“ und | |
spalte die Gesellschaft. | |
„Es bedeutet, dass die größte Last der Landesverteidigung von denjenigen | |
getragen wird, die am wenigsten davon haben; die in eine arme Familie | |
hineingeboren wurden und die Armut geerbt haben; die in der Provinz | |
aufgewachsen sind und in einer Großstadt nicht Fuß fassen konnten; die | |
nicht das finanzielle Polster hatten, um unternehmerische Risiken | |
einzugehen, oder denen es schlicht an Beziehungen fehlte“, schrieb die | |
Parlamentsabgeordnete Solomiya Bobrowska von der liberalen Partei Holos | |
(Stimme). | |
Die Gegner des legalen „Freikaufens“ vom Armeedienst erinnern daran, dass | |
das Militär in der Ukraine bisher nicht von Gehalt und sozialem Status | |
abhänge. Darüber hinaus könne die These von den „Armen in der Armee und | |
faulenzenden Reichen im Hinterland“ den Russen helfen, [3][die ukrainische | |
Gesellschaft zu spalten]. | |
„Diese Art der Mobilisierung wird die ukrainische Gesellschaft als | |
ungerecht empfinden. Das hat auch mit Überbleibseln von Einstellungen aus | |
der Sowjetzeit zu tun: Wir mögen es nicht, wenn jemand viel verdient“, | |
sagte Wolodymyr Paniotto, Professor für Soziologie an der | |
prestigeträchtigen Kyjiw-Mohyla-Akademie. | |
Und Tymofiy Mylowanow, Präsident der Kyiv School of Economics, schrieb auf | |
Facebook, dass sich viele wohlhabende Ukrainer jetzt mit Schmiergeldern vom | |
Kriegsdienst loskaufen oder es auf diese Weise schaffen, an weniger | |
gefährlichen Orten zu dienen. | |
Stattdessen schlug er vor, dass unter diesen Umständen der einzig mögliche | |
faire Mobilisierungsmechanismus eine Lotterie sei. Er persönlich halte dies | |
nicht für den richtigen Ansatz, aber diese Auslosungsmethode sei immerhin | |
1969 auch in den Vereinigten Staaten während des Vietnamkriegs angewandt | |
worden. | |
Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey | |
7 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Mobilisierung-in-der-Ukraine/!5978356 | |
[2] https://ces.org.ua/en/experts/hlib-vyshlinsky-en/ | |
[3] /Ukrainischer-Soldat-ueber-den-Krieg/!5980651 | |
## AUTOREN | |
Juri Konkewitsch | |
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