# taz.de -- Netflix-Flim der Safdie-Brüder: Er lügt und er betrügt | |
> Die Safdie-Brüder gelten als manisches Regie-Duo. „Der schwarze Diamant“ | |
> heißt ihr Netflix-Film über einen Mann, der die Kontrolle verliert. | |
Bild: Howard Ratner (Adam Sandler), rechts im Bild, ist der manische Held von �… | |
Im Moment des Todes, so heißt es, sieht sich der Sterbende durch einen | |
Tunnel gleiten. Als Tunnelblick wird die Fähigkeit bezeichnet, sich zu | |
fokussieren, alles Unwichtige auszuschalten und nur das Ziel im Auge zu | |
haben. In einem ganz realen Tunnel beginnt „Der schwarze Diamant“, der neue | |
Film der New Yorker Safdie-Brüder, die dabei sind, [1][sich den Ruf eines | |
manischen, hyperkinetischen Regie-Duos zu erarbeiten], die Filme drehen, in | |
denen meist höchst unsympathische Männer im Mittelpunkt stehen. | |
Ein Tunnel also, in Äthiopien, in einer Diamantenmine, wo zwei Arbeiter | |
einen Steinbrocken aus dem Fels hauen, in dem unzählige Opale in allen | |
Farben des Universums schimmern. Weiter geht die Kamerafahrt durch einen | |
Tunnel, der sich langsam in etwas Organisches verwandelt, einen Tunnel im | |
Inneren eines Mannes, den Darm von Howard Ratner (Adam Sandler). | |
Ganz ruhig liegt Ratner in diesem Moment auf dem Behandlungstisch, während | |
sein Arzt eine Darmspiegelung vornimmt, und so ruhig und gelassen wird | |
Ratner in den folgenden zwei Stunden nie wieder sein. | |
Die Frage, ob er Darmkebs hat oder nicht, ist dabei nicht einmal die | |
wichtigste, die einzige, in der es um Leben und Tod geht. Denn Ratner ist | |
einer dieser Menschen, der immer viele Bälle in der Luft hat, der versucht, | |
allem und jedem gerecht zu werden, dabei aber unweigerlich immer wieder die | |
Kontrolle zu verlieren droht. | |
## Träume und Versprechen | |
Ratners Arbeitsplatz ist der New Yorker Diamantenbezirk, in dem vor allem | |
sephardische Juden wie er in kleinen Kabuffs, die mit Doppeltüren aus | |
Panzerglas geschützt sind, Deals aushandeln. Um viel Geld geht es hier, um | |
spekulative Geschäfte, um Träume und Versprechen. | |
So ein Versprechen ist der Stein mit den Opalen, auf den Ratner setzt. | |
Millionen soll er bei einer Auktion bringen, Millionen, die Ratner dringend | |
braucht, um seine Spielschulden bei einem typisch grimmigen New Yorker | |
Kredithai zu begleichen, der längst keine Lust auf seine Vertröstungen und | |
Versprechen mehr hat. | |
Dass Ratner gerne wettet, auf Basketballspiele vor allem, macht ihn | |
empfänglich für einen besonderen Kunden: Kevin Garnett, ein ehemaliger | |
Weltklassebasketballer der Boston Celtics, der sich selber spielt. Auch | |
Garnett hat es der Opal angetan, für ein paar Stunden will er ihn | |
ausleihen, als Glücksbringer für das Spiel am Abend, und damit beginnt das | |
Drama endgültig. | |
Wie viele Bälle sind das inzwischen? Der Opal, die Schulden, das Wetten. | |
Dazu kommen eine Frau, eine Geliebte und auch noch ein Pessach-Essen bei | |
Ratners älterem, erfolgreicherem Bruder Arno (Eric Begosian). | |
## Eine rastlose Welt | |
Wer „Good Time“ gesehen hat, den bislang einzigen Film der Brüder Josh und | |
Bennie Safdie, der in den deutschen Kinos lief, mag ahnen, was in „Der | |
schwarze Diamant“ passiert, vor allem aber, wie es sich anfühlt. Denn mehr, | |
als Geschichten zu erzählen, werfen die Safdies ihre Hauptfigur und mit ihr | |
den Zuschauer in eine rastlose Welt. | |
Diesmal führt Darius Khondji die Kamera, die kaum einen Moment innehält, | |
die stets leicht unruhig das Geschehen filmt, das meist in engen Räumen | |
spielt, in denen sich immer zu viele Personen aufhalten. | |
## Unruheherd Adam Sandler | |
Neben der pulsierenden Musik von Daniel Lopatin, der schon „Good Time“ mit | |
einem nervenaufreibenden Klangteppich unterlegte, [2][ist der größte | |
Unruheherd Adam Sandler,] der jahrelang gleichzeitig einer der | |
bestbezahlten Schauspieler Hollywoods war und so wenig ernst genommen wurde | |
wie kaum ein anderer. Was daran lag, dass Sandler meist in Komödien wie | |
„Big Daddy“ oder „Jack und Jill“ auftrat und meist so wirkte, als spiel… | |
sich selbst. | |
Dass er mehr kann, das zeigte Sandler nur selten, das erste Mal 2002 in | |
„Punch-Drunk Love.“ Damals nutzte Paul Thomas Anderson Sandlers stets | |
unruhigen Körper, mit seinen etwas zu langen, schlaksigen Gliedmaßen, für | |
das Porträt eines Mannes, der von einem Betrüger in den Wahnsinn getrieben | |
wird. | |
## Eine eigene Nische etablieren | |
Man darf davon ausgehen, dass die Safdies auch diesen Film im Kopf hatten, | |
als sie Sandler besetzten, so wie auch manch anderen klassischen | |
New-York-Film mit mehr oder weniger manischen Helden. An Martin Scorseses | |
Frühwerk „Hexenkessel“ muss man denken oder an „Die Zeit nach Mitternach… | |
in dem Griffin Dunne eine surreale Nacht durchlebt, oder an Abel Ferraras | |
„Bad Lieutenant“, in dem Harvey Keitel einen drogensüchtigen Polizisten | |
spielt, der alles auf ein Baseballspiel setzt. | |
Sosehr sich die Safdies jedoch der Filmgeschichte bewusst sind, sind sie | |
mit ihrem vierten Film auf dem besten Weg, ihre ganz eigene Nische zu | |
etablieren. Waren ihre ersten beiden Filme „Go Get Some Rosemary“ und | |
„Heaven Knows What“ noch weitestgehend typische Independent-Filme, haben | |
sie mit „Good Time“ das Tempo angezogen. | |
## Hyperkinetischer Exzess | |
Dort war es Robert Pattinson, der sein „Twilight“-Image mit betonter | |
Hässlichkeit – soweit das bei ihm eben geht – durchbrach und fast einen | |
ganzen Film nur rannte, hier ist es nun Adam Sandler, mit dem die Safdies | |
ein neues Level erreichen. | |
Über zwei Stunden einen unsympathischen, lügenden, betrügenden Antihelden | |
zu zeigen, von dem man dennoch nicht für einen Moment den Blick abwenden | |
kann, das muss man erst einmal schaffen. Wie es mit den Safdies nach diesem | |
hyperkinetischen Exzess weitergeht, darauf kann, darauf muss man gespannt | |
sein. | |
7 Feb 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Michael Meyns | |
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