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# taz.de -- 9/11-Film: Freunde ohne Bier
> "Liebe in mir" von Mike Binder inszeniert das Drama von 9/11 im Kleinen.
> Adam Sandler zeigt verpatzte Trauer und unbewältigte Wut mit Witz, aber
> ohne Klamauk - überzeugend.
Bild: Im Kino selten: Nichtpeinliche Männerfreundschaften.
Die filmische Verarbeitung von 9/11 hat sich bislang auf die heroische
Seite der Tragödie konzentriert: auf den aussichtslosen Kampf der
Passagiere von "Flug 93" in Paul Greengrass gleichnamigem Film, auf den
Überlebenswillen zweier Feuerwehrmänner im nationaltherapeutischen
Durchhaltemelodrama "Word Trade Center" von Oliver Stone. Beide Filme
suchten die direkte Konfrontation mit dem Ereignis: Innenansichten aus dem
Herzen der Katastrophe. Demgegenüber schaltet "Die Liebe in mir" von
Regisseur Mike Binder einen Gang zurück und lässt die Anschläge wieder zum
Hintergrund werden, vor dem sich eine sehr persönliche Geschichte von
verpasster Trauerarbeit und wiederentdecktem Vertrauen entfalten kann.
Im Mittelpunkt steht die Begegnung zweier ehemaliger Freunde. Don Cheadle
spielt Alan, erfolgreicher New Yorker Zahnarzt und glücklicher
Familienvater, der zunehmend von dem Gefühl bedrückt wird, dass seinem
geregelten Leben die entscheidende Prise Freiheit fehlen könnte. Zufällig
begegnet er Charlie (Adam Sandler), seinem Zimmernachbarn aus
Studententagen wieder. Der hatte auch eine erfolgreiche Praxis betrieben -
bis zu dem Tag, an dem seine Familie in einem der beiden Todesflugzeuge
saß. Seither hat Charlie sich vollständig zurückgezogen und meidet in einer
Art Dämmerzustand jeden Kontakt mit der Außenwelt. Alan und Charlie
beginnen, regelmäßig gemeinsam auszugehen - Charlies Strategie, durch
Regression ins Teenageralter seinen Verlust zu verdrängen, kommt dem seiner
Verantwortung und Pflichten müden Alan mehr als entgegen.
Adam Sandler, der schon in früheren Rollen versucht hat, der
Comedy-Schublade zu entkommen, hat hier seine bislang anspruchsvollste
Rolle angenommen. Hinter seiner verlotterten Erscheinung steckt ein Mann,
der ein Kind sein möchte, das all die Dinge tun will, die nur Volljährigen
erlaubt sind: in der Wohnung Schlagzeug spielen, die ganze Nacht ins Kino
gehen und Popcorn essen oder an der Videokonsole Monster bekämpfen. "Shadow
of the Colossus" heißt das Spiel, in dessen Welt voller Drachen und Riesen
Charlie geflohen ist.
Regisseur und Drehbuchautor Mike Binder (der in einer Nebenrolle als
Charlies Anwalt auftritt) kennt sich mit der Inszenierung der Sorgen und
Nöten verheirateter Mittelständler (er inszenierte die TV-Sitcom "The Mind
of the Married Men") genauso aus wie mit den schmerzhaften Strategien der
Bewältigung von Lebenskrisen und Liebesverlusten ("An deiner Schulter").
Selbst ein ehemaliger Stand-up-Comedian, kann Binder sich dabei nie
gänzlich fürs bürgerliche Trauerspiel entscheiden. Seine Tonlage ist das
Bittersüße, das durch komische Momente gemilderte menschliche Drama. So
auch in "Die Liebe in mir", der sich streckenweise in Nebenhandlungen und
-figuren verzettelt, denen die Funktion des comic relief gegenüber der
Haupthandlung allzu deutlich abzulesen ist. Auch verblasst Alans Unbehagen
am eigenen Lebensglück im Vergleich mit Charlies Verlust. Cheadle wird so
zum bloßen Stichwortgeber für Sandlers erratische Wutausbrüche.
Dennoch ist der Film sehenswert. Allein schon sein Versuch,
Männerfreundschaft jenseits vom üblichen, bierseligen Tresenklamauk und
ähnlichen Peinlichkeiten darzustellen, muss als lobenswert gelten.
Gewissermaßen die dritte Hauptfigur des Films ist die Stadt New York selbst
- selten ist sie so einnehmend in Szene gesetzt worden wie hier. Vor allem
die Fahrten auf Charlies motorisiertem Tretroller durch die Straßen des
(wundersam autofreien) Big Apple im herbstlich-milden Licht wirken geradezu
wie ein visuelles Trostpflaster für die Wunden, die geschlagen wurden. Und
die weder durch Psychotherapie noch Medikation noch durch Gerichtsurteile
zwangsweise geheilt werden können, sondern nur durch Geduld und Anerkennung
und den Mut, offen miteinander umzugehen. Und natürlich durch Rockmusik.
14 Aug 2007
## AUTOREN
Dietmar Kammerer
## TAGS
Netflix
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