# taz.de -- Nachruf auf Walter Becker von Steely Dan: Liebe gibt es nur in der … | |
> Walter Becker, eine Hälfte des US-Popduos Steely Dan, ist am Sonntag | |
> gestorben. Er nahm Musik nicht ernst, war aber von tiefer Liebe zu ihr | |
> geprägt. | |
Bild: Walter Becker 2007 beim Jazzfestival in New Orleans | |
Die Nachricht platzte mitten in das dadurch irrelevant werdende Duell von | |
Merkel gegen Schulz: So unerwartet und mitten in Vorbereitungen zu | |
Konzerten verabschiedet sich einer der allergrößten Musiker der Gegenwart? | |
Geht’s vielleicht eine Nummer kleiner? Bitte: ein grundsolider Bassist. Ein | |
mitunter annehmbarer Leadgitarrist. Ein „Sänger“ – höchstens in Anführ… | |
Was genau war jetzt so toll an Walter Becker, der am Sonntag im Alter von | |
67 verstarb? | |
Darüber Zeugnis ablegen können nur Beckers zwei Soloalben, sein Œuvre als | |
eine Hälfte von Steely Dan gibt nur Hinweise. Ohne seinen Dan-Partner | |
Donald Fagen meldete er sich zum ersten Mal 1994, 14 Jahre nach Ende des | |
Duos, das zwischen 1972 und 1980 sieben Alben veröffentlichte, zu Wort: Mit | |
„11 Tracks of Whack“, einem Album, auf das das Wort „spröde“ zutrifft … | |
auf keine Musik davor oder danach. | |
„Circus Money“ (2008) ist erklärtermaßen der gescheiterte Versuch des | |
Roots-Reggae-Fans Becker, ein Reggae-Album zu machen. Als Funk-Album ist | |
„Circus Money“ aber grandios und erinnert daran, wie Steely Dan in den | |
Siebzigern mitunter Reggae versuchten und grandioser Funk dabei herauskam | |
(etwa in dem Song „Haitian Divorce“). Beckers konzeptuelle Strenge sowie | |
die Neigung, immer wieder Neues, gerne dezidiert Uncooles auszuprobieren, | |
ging Fagens eher glatten Solowerken ab. | |
## Zu schlau, zu snobistisch, zu anspruchsvoll | |
Daraus lässt sich auch auf die Zusammenarbeit der beiden Jugendfreunde aus | |
dem New Yorker Speckgürtel schließen: Steely Dan waren zu schlau, zu | |
skeptisch und zu snobistisch und dazu musikalisch zu anspruchsvoll, um das | |
zu machen, was alle machen; sie waren auf der eigentlich unmöglichen | |
Mission, eine Popvision zu entwickeln, die weder lächerlich noch kindisch | |
ist, die keine Klischees bedient, aber mit ihnen arbeitet, die Musik nicht | |
ernst nehmen kann, aber von tiefer Liebe zu ihr geprägt ist. Dabei übernahm | |
Fagen die Rolle des resignierten Melancholikers, eher moll, manchmal | |
düster, während Becker den amüsierten Agnostiker gab, der auch mal einen | |
Ausfall wagt. | |
Wir müssen vor allem über die Texte sprechen. Genau wie in der Musik, die | |
mit Jazzharmonien und der Soundästhetik von Westcoast-Soft-Rock und Funk | |
einen gänzlich neuen Stil erschuf, der auf jedem Steely-Dan-Album an der | |
Oberfläche anders klang und dennoch unverkennbar die gleiche DNA hatte und | |
heute ungerechterweise mit den Doobie Brothers und Fleetwood Mac in ein | |
Gefäß getan wird, auf das jemand gehässig „Yacht Rock“ geschrieben hat, | |
schlug Steely Dan auch mit Songtexten ein neues Kapitel auf. | |
Zum Beispiel dadurch, dass Bekenntnisse abgeschafft wurden. Becker und | |
Fagen haben viele Texte in der ersten Person geschrieben, aber nie geht es | |
um Becker und Fagen. Der sonst so vertraute Mechanismus der Identifikation | |
mit dem Sänger und seiner Gefühlswelt wird komplett außer Kraft gesetzt. | |
Stattdessen treten unterschiedliche Charaktere auf, junge, alte, gut | |
gelaunte, mordlustige, hoffnungslose, und nie ist es angenehm, was sie zu | |
erzählen haben. | |
## Abgründe menschlicher Niedertracht | |
Wenn Steely Dan am einschmeichelndsten klingen und man das Gefühl hat, in | |
ein unwirkliches Paradies fortgetragen zu werden, geht es um die | |
schäbigsten Abgründe menschlicher Niedertracht. Liebe gibt es nur in | |
Rückschau von sich trennenden Paaren („I loved you more than I can tell / | |
But now it’s stomping time“), die sich beschimpfen, bis einer sagt: „Turn | |
up the Eagles / The neighbors are listening“. Der kalifornische Hedonismus | |
wird lächerlich gemacht bis aufs Blut, etwa durch Figuren wie den | |
Exsportler Hoops McCann in dem archetypischen Steely-Dan-Song „Glamour | |
Profession“, der von sich sagt: „We’re a star“ und „I’m the One“,… | |
gut situierte Bewohner des „Custerdomes“, der zu seinem fremdgehenden | |
Partner (oder seiner Partnerin?) sagt: „Look at you / Holding hands with | |
the man from Rio / Would you care to explain?“ | |
Während Donald Fagen auf seinen Soloalben Altersmilde zeigte, wurde Becker | |
eher illusionsloser. So bedankt sich der Erzähler in „The Fall of ’92“ | |
bitter-ironisch für seinen sozialen Abstieg bei „George Bush and those | |
Nazis / Down in Washington D. C.“. Becker verfasste auf der | |
Steely-Dan-Website auch politische Kommentare – darunter einen offenen | |
Brief an den früheren New Yorker Bürgermeister und Trump-Intimus Rudy | |
Giuliani. | |
Überhaupt: Während neulich zu lesen war, Donald Trump könnte eine Figur aus | |
einem Randy-Newman-Song sein, muss man sagen: In Becker-Songs wie „Selfish | |
Gene“, „Book of Liars“ und „Upside Looking Down“ hätte der POTUS auch | |
glänzend hineingepasst. So wie es letztlich in die | |
selbstironisch-skeptische Welt des Walter Becker wohl auch passt, dass er | |
seine letzten Steely-Dan-Konzerte im Frühjahr bei einem neuntägigen | |
Konzertmarathon im Riesencasino The Venetian von Las Vegas spielte. | |
4 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Detlef Diederichsen | |
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