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# taz.de -- Brad Mehldaus Album „After Bach“: Fingerübungen im Banalitäts…
> Zu wenig Ideen: Der US-Jazzpianist Brad Mehldau verhebt sich mit seinem
> neuen Album „After Bach“ am „Wohltemperierten Klavier“.
Bild: Gedankliche Sackgassen versucht Brad Mehldau mit chromatischem Pipifax zu…
Wird es dem Virtuosen aus den Niederungen von Jazz und Pop zu wohl, wandelt
er im E-Fach – ganz so wie sich die Kollegin aus den Höhen der E-Welt in
die Jazz- und Pop-Täler hinab begibt, wenn sie der Öffentlichkeit ihre
Großherzigkeit demonstrieren will. So weit, so gefährlich.
Oder auch nicht. Nicht mehr: Jazz und Klassik sind mittlerweile
ausdefinierte künstlerische Welten und fest in der Hand von
Marketing-Fachkräften. Besonders dem Jazz tut das nicht gut, denn neben all
dem gefälligen Neo-neo-neo-Bop und Fusion Funk with a little Latin touch
wirkt mittlerweile selbst der gestrenge Konservatismus der
Wynton-Marsalis-Schule als erfrischend radikal. Der Marketing-Jazz hat
stattdessen eine Schule braver Virtuosen an die Oberfläche gespült, deren
über jede Kritik erhabene technische Brillanz und Versatilität mitunter
vergessen machen, dass es auch ganz interessant sein kann, wenn ein
Künstler ein Anliegen hat.
Brad Mehldau ist so ein braver Junge. Er spielt da, wo der Trainer ihn
hinstellt, würde man sagen, wäre er Fußballprofi. Übertragen auf den Beruf
des Jazzpianisten heißt das, dass man ihn dort findet, wo man
Jazzpianisten traditionell erwartet, vor allem also in Trios, gern auch mal
solo, genauso oft aber auch als Begleiter von Titanen wie Lee Konitz,
Charlie Haden (R.I.P.) und Wayne Shorter, mitunter im Pop-Fach bei
Sonderprojekten (Wilie Nelson, k.d. lang, Joe Henry), und ein
rührend-misslungenes Avant-Fusion-Projekt wie das von Jon Brion 2011
produzierte Werk „Largo“ gehört da auch schon fast zum guten Ton.
Mehldau ist natürlich voll des Respekts vor den Großen der Jazz-, ja
Musikgeschichte, zeigt aber dabei und dann noch mal verstärkt in seiner
eigenen Kunst einen irritierenden Mangel an Haltung und Geschmack. Sein
bisheriges Œuvre erinnert mitunter an die Marketing-Veranstaltungen von
Wochenzeitungen: die ganze Jazzgeschichte in 30 CDs. Ist doch eigentlich
alles gut und verdienstvoll, Oscar Peterson genauso wie Bill Evans, Chick
Corea wie Keith Jarrett, Kurt Cobain wie Johann Sebastian Bach.
Womit wir beim Thema wären: Auf seinem neuen Album „After Bach“ setzt sich
der 47-jährige Mehldau mit Bach auseinander. Negativ formuliert könnte man
sagen: Er ist weniger mutig als Keith Jarrett, der ja 1988 das gesamte
„Wohltemperierte Klavier“ aufgenommen hat – Mehldau belässt es bei fünf…
48 Stücken, davor und danach zieht er sich in seine Komfortzone zurück: die
Improvisation.
## Die Improvisation ist sein eigentliches Gewerk
Positiv formuliert könnte man sagen: Er geht einen Schritt weiter als Keith
Jarrett, er ist eben konsequent als Jazzer, die Improvisation ist sein
eigentliches Gewerk, die fünf Originale sind die Themen, die darum herum
gruppierten sieben eigenen Schöpfungen sind eben die Soli und damit die
eigentlichen Kreativleistungen.
Diese sieben Werke sind in der Tat der inhaltliche Kern des Albums und
stehen darüber hinaus exemplarisch für den gegenwärtigen Zustand des
(Mainstream-)Jazz, für das Problem von Künstlern wie Mehldau: Wir hören
einen Musiker von offensichtlich großem, aber unausgebildeten Talent.
Wir hören freche, unerwartete, überzeugende Wendungen neben Clustern der
Banalität, des Abgeschmackten, hören ihn interessante Zusammenhänge finden,
harmonische Lösungen weiterdenken und im nächsten Moment in
neoimpressionistischen Kitsch verfallen, ostinat abrocken, gedankliche
Sackgassen mit chromatischem Pipifax zu verdecken versuchen.
## Ein Sideman
Über all den Fingerübungen hat ihn offensichtlich nie jemand groß mit
inhaltlichen Fragen konfrontiert, nie jemand hart interviewt, was er wem
erzählen will und warum. Ein Sideman zu sein, nur zu begleiten, zu
wiederholen, der Geschichte die Ehre zu erweisen, ist ja nichts per se
Ehrenrühriges, und wenn die Ambition oder die Imagination darüber nicht
hinausgeht, kann man diese Rolle genauso ernsthaft ausfüllen wie die des
brillanten Erneuerers, konzeptionellen Denkers, kompletten Künstlers.
Mehldau hat jedoch das Pech, dass so etwas sein Karrierenarrativ
beschädigen würde, dass sich von Management und Marketing-Abteilung über
die internationale Konzertveranstaltungsbranche und hinunter zu den
Pressekollegen die Erzählung vom Glenn Gould des Jazz deutlich besser an
den Mann bringen lässt.
Ein unausgegorenes Ding, also. Jazz auf Albumlänge höchstens in dem Sinne,
dass man fragen kann, ob die Kunst der Improvisation im 21. Jahrhundert per
se schon Jazz ist; als Beitrag zu wie auch immer gearteten Bach-Debatten zu
wenig allgemeingültig, zu privat. Also eine verdammenswerte, aus
musikalischer Unsensibilität geborene Marketing-Mistidee? Ja, aber voller
hinreißender, höchst charmant über die Rampe gebrachter spontaner
musikalischer Genieblitze – zu Bach, zu Jazz, zur Harmonielehre, zur Welt.
21 Mar 2018
## AUTOREN
Detlef Diederichsen
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Jazz
Jazz
New York
Singer-Songwriter
Westafrika
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