Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nachfolger Gaulands als AfD-Chef: Das harmlose Gesicht
> Der AfD-Bundesparteitag wählt Tino Chrupalla zum neuen Parteichef. Doch
> so gemäßigt, wie sich der Malermeister aus Sachsen gibt, ist er nicht.
Bild: Der neue Bundesvorsitzende der AfD: Tino Chrupalla
Es ist kurz vor sieben am Samstagabend, als Tino Chrupalla zum ersten Mal
als AfD-Chef vor die versammelte Presse tritt. In einem Saal im ersten
Stock der Braunschweiger Volkswagen Halle, deren Name an diesem Wochenende
[1][aus Protest verdeckt ist], ist ein Podium aufgebaut, unten in der Halle
wird gerade über weitere KandidatInnen für den Bundesvorstand abgestimmt.
Chrupalla hat mit seinem wieder gewählten Co-Chef Jörg Meuthen und Alice
Weidel, der neuen Stellvertreterin, auf dem Podium Platz genommen.
Chrupalla, 44, schlanke Gestalt, dünnes, kurzes Haar, zuppelt den Kragen
seines weißen Hemds unter dem Jackett zurecht, zieht am rechten Ärmel. Die
Manschette lugt hervor, darauf ist „TC“ aufgestickt, Chrupallas Initialien.
Seinen Mund umspielt ein schelmisches Lächeln.
Nachdem Meuthen gesprochen hat, kommt Chrupalla zu Wort. Dies sei ein
„richtungweisender Parteitag“, sagt der Malermeister aus Görlitz in
Sachsen. Und dass es ein „hartes Stück Arbeit“ gewesen sei, „eine starke
Stimme des Ostens in den Bundesvorstand zu bekommen“. Auf Nachfragen, was
die Richtungsentscheidung denn ausmache und was ihn von seinem unterlegenen
Gegenkandidaten Gottfried Curio, dem innenpolitischen Sprecher der
Bundestagsfraktion, unterscheide, führt Chrupalla seine ostdeutsche
Herkunft an und dass er Handwerker und kein Akademiker sei. Am Ende schiebt
er noch nach, dass er eher in der Wirtschaftspolitik, Curio in der
Innenpolitik unterwegs sei. Inhaltlicher wird es nicht. Das schelmische
Lächeln ist verschwunden.
Chrupalla, 44, Typ netter Schwiegersohn, Familienvater, ist in Ostsachsen
aufgewachsen, er nennt das den „letzten Zipfel Schlesiens, der heute noch
zu Deutschland“ gehört. Hier hat er ein kleines Unternehmen mit sechs
Angestellten, das derzeit sein Schwager führt. Im Jahr 2017 zieht er mit
einem Direktmandat in den Bundestag ein, das hat er Michael Kretschmer,
heute CDU-Ministerpräsident, abgenommen. Er wird stellvertretender
Fraktionschef, ist als Teamplayer bekannt, auch gilt er als guter
Netzwerker. Chrupalla kann im Gespräch charmant und zugewandt sein und hat
dieses schelmische Lächeln. Doch wenn es kritisch wird, ist es mit dem
Lächeln vorbei.
Dass Chrupalla nun AfD-Parteichef ist, hat er seinem Vorgänger Alexander
Gauland zu verdanken. Der 77-Jährige hat lange geplant, diesen Posten auf
dem Braunschweiger Parteitag abzugeben und sich auf den Fraktionsvorsitz zu
konzentrieren. Beide Ämter zusammen waren ihm zu viel, und die Fraktion ist
das Machtzentrum der Partei, das wollte er behalten. Also musste ein
Nachfolger her. Und weil er das nicht den parteiinternen Machtspielen
überlassen wollte, machte Gauland sich auf die Suche. Denn der Übergang an
der Parteispitze sollte geordnet ablaufen, zum ersten Mal in der Geschichte
der Partei. Es bestehe die erfreuliche Aussicht, dass die AfD mit diesem
Parteitag „erwachsen“ werde, sagte Gauland in seiner Eröffnungsrede am
Samstagvormittag. „Erwachsen heißt, dass wir einen teilweisen
Generationswechsel solidarisch vollziehen.“
Für Gauland war klar, es soll jemand aus Ostdeutschland sein, denn dort
sind die [2][Erfolge der AfD] besonders groß. Einer mit guten Kontakten zum
extrem rechten „Flügel“, aber bitte einer ohne größere Skandale. Und fä…
zum Anschluss ans bürgerliche Lager. Denn Gaulands Ziel ist es, die AfD in
die Regierung mit der Union zu führen. „Es wird der Tag kommen, an dem die
CDU nur noch eine Option hat: uns“– auch das betonte er in seiner
Eröffnungsrede. Die AfD, so Gaulands Logik, braucht an der Spitze also
Personal, das der Union keine Argumente dafür liefert, sich einer
Zusammenarbeit mit seiner Partei zu verweigern. Damit waren ganz viele
KandidatInnen raus. Andreas Kalbitz zum Beispiel, der Brandenburger
Landeschef mit rechtsextremer Biografie. Irgendwann landete Gauland bei
Chrupalla, den er aus der Fraktion gut kennt.
Gauland lotete aus, wie viel Unterstützung für Chrupalla zu erwarten ist.
Irgendwann stand fest: Chrupalla soll es machen. Doch dann warf Gottfried
Curio, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, der wegen seiner
so geschliffenen wie demagogischen Reden eine große Fangemeinde an der
Basis hat, [3][seinen Hut in den Ring]. Curio, als verschrobener
Einzelgänger und wenig teamfähig bekannt, fiel bei der Wahl zum
Fraktionsvorstand durch. Doch Parteitagsdelegierte ticken anders als
Bundestagsabgeordnete. Zudem ist Curio über zahlreiche Wahlkampfauftritte
und seine Bundestagsreden, die regelmäßig auf YouTube hochgeladen werden,
in der Partei bekannt. Chrupalla dagegen kennt man gerade in den westlichen
Landesverbänden kaum. Von dort aber kommen die meisten Delegierten. Gauland
erwog, selbst noch einmal anzutreten, um Curio zu verhindern. Erst am
Dienstagabend entschied er sich anders.
Am Samstagnachmittag also steht Chrupalla, blauer Anzug, weißes Hemd,
gestreifte Krawatte, am Rednerpult der Vokswagen Halle und weiß, dass es
jetzt um alles geht. Gauland selbst hat ihn wenige Minuten zuvor für den
zweiten Chefposten vorgeschlagen, Meuthen ist zu diesem Zeitpunkt ohne
größere Blessuren längst wiedergewählt. Jetzt also kommt die Erneuerung
dran. Das Losverfahren hat ergeben, dass Chrupalla als Erster spricht,
danach ist Curio dran, dann Dana Guth, die auch antritt. Guth, die bis zur
Wende im Osten gelebt hat, ist Fraktions- und Landeschefin aus
Niedersachsen. Fünf Minuten hat jedeR KandidatIn, danach sind drei Fragen
erlaubt.
Chrupalla setzt ganz auf seine Biografie: „Wir haben heute die Möglichkeit,
ein historisches Zeichen zu setzen“, ruft er in den Saal. „Eine
Doppelspitze aus Ost und West, eine Doppelspitze, mit der sich Akademiker
und Nichtakademiker identifizieren können.“ Applaus. Er spricht die
Wahlerfolge im Osten an, dankt den Westlern, die es ja „viel schwerer“
haben, für ihren Einsatz und fordert dann eine „starke Stimme für den
Osten“ im Bundesvorstand. Chrupalla sagt, dass er oft für zu jung befunden
worden sei, egal ob es ums Kinderkriegen, seinen Hausbau oder die
Unternehmungsgründung gegangen sei. „Am Ende hat sich aber meine Zuversicht
immer durchgesetzt gegen die Stimmen der Zweifler und Bedenkenträger.“ Das
dürfte an jene in der Partei gerichtet sein, die hinter vorgehaltener Hand
anzweifeln, dass Chrupalla das intellektuelle Format für den Parteivorsitz
hat und vor der Hauptstadtpresse bestehen kann.
Der Sachse zählt seine Erfolge auf: Dass er den Kreisverband Görlitz
leitet, einen der erfolgreichsten der Republik, wo es [4][fast einen
AfD-Oberbürgermeister] gegeben habe. Das Direktmandat. Den
Fraktionsvizeposten. „Ich bin kein Mann der vielen Worte“, ruft Chrupalla
in den Saal, „ich bin ein Mann der Tat.“ Und dann sagt er noch, dass er das
größte Wählerpotenzial im „bürgerlichen Lager“ sehe, bei Handwerkern und
Mittelständlern, auch die Frauen werden erwähnt. „Die bürgerliche Mitte
erreichen wir mit Vernunft und überzeugenden Inhalten.“ Dafür brauche es
keine drastische Sprache, mit der erreiche man oft das Gegenteil. Das zielt
auf Curio, auch wenn er den Namen nicht nennt. Es wird kräftig geklatscht,
manche Delegierte, auch Gauland, stehen dabei auf.
## Curios Plan geht nicht auf
Jetzt ist Curio dran. Der geübte Rhetoriker steht aber vor einem Problem:
Zu scharf dürfen seine Worte hier nicht sein. Doch gerade seine
demagogischen Reden machen seinen Erfolg in der Partei aus. Und nur damit
könnte er eine vielleicht eine Chance haben, Gaulands Plan zu durchkreuzen.
So wie Doris von Sayn-Wittgenstein, die inzwischen [5][aus der Partei
ausgeschlossen] ist, in Hannover vor zwei Jahren mit einer schmissigen Rede
alle Absprachen sprengte. Was dazu führte, dass [6][Gauland am Ende selbst
Parteichef] geworden ist.
Curio hält sich zurück, betont, man solle die AfD als pragmatische Partei,
als Problemlöser positionieren. Das reicht für kräftigen Applaus und eine
Stichwahl mit Chrupalla, mehr aber nicht. Anders als Sayn-Wittgenstein vor
zwei Jahren löst Curio nicht diese hemmungslose Begeisterung aus, zu der
AfDler fähig sind. Am Ende bekommt er 41 Prozent der Stimmen, für Chrupalla
aber votieren 55 Prozent der Delegierten. Knapp ist das nicht. Guth war
trotz einer engagierten Rede und Ost-West-Biografie bereits im ersten
Wahlgang ausgeschieden.
Als sich Chrupalla durch die Menge wieder in Richtung Podium schiebt, um
sich dort neben Meuthen an den Vorstandstisch zu setzen, ist einer der
Ersten, die ihm mit einer Umarmung gratulieren, der Brandenburger
Landeschef Andreas Kalbitz, der auch der starke Mann im „Flügel“ ist.
Kalbitz war in Gaulands Planungen einbezogen, große Teile des Flügels haben
Chrupalla unterstützt. „Wir sagen Ja zu Tino Chrupalla“, sagt auch
Flügel-Anführer Björn Höcke am Rand des Parteitags zu JournalistInnen.
Ohnehin ist Chrupalla, der selbst nicht zum Flügel gehört, nicht so
gemäßigt, wie es in seiner Bewerbungsrede scheint.
Im Bundestag hat er jüngst, ausgerechnet bei der Debatte zum Jubiläum des
Mauerfalls, die Kanzlerin scharf angegriffen. „Ich bedaure, dass sie uns
nicht verrät, welche Herrschafts- und Zersetzungsstrategien sie damals bei
der FDJ gelernt hat“, sagte Chrupalla. Aber sie wisse daher offenbar, wie
man „ein Volk mit Agitation und Propaganda in Schach“ halte. Dafür hat er
aus den anderen Fraktion Pfui- und Buhrufe kassiert und Applaus von der
eigenen. Bei Wahlkampfveranstaltungen redet der Sachse aber auch schon mal
von „Umvolkung“, klar rechtsextremes Vokabular. Und auch im Gutachten des
Verfassungsschutzes über die AfD taucht Chrupalla auf.
Es geht um seine Zusammenarbeit mit dem Rechtsextremisten Nikolai Nerling,
der den YouTube-Kanal „Der Volkslehrer“ betreibt. Dort war im Juni 2018 zu
sehen, wie Nehring Chrupalla einige Fragen stellt. „Das Video soll den
Anschein der Spontanität erwecken“, heißt es in dem Gutachten. Doch
Chrupalla sei in einer frühen Kameraeinstellung bereits wartend im
Hintergrund zu sehen. Soll heißen: Das Ganze war abgesprochen und
inszeniert, Chrupalla hat mit dem Rechtsextremisten gemeinsame Sache
gemacht.
Anfang des Jahres hat Chrupalla in einem Brief an die Mitglieder seines
Kreisverbands zudem angekündigt, schwarze Listen mit den Namen von
„unseriösen“ Journalisten führen zu wollen. Diese sollten komplett vom
Informationsfluss ausgeschlossen werden. Chrupalla forderte die
AfD-Parteimitglieder auf, ihm „Hintergrundinformationen über als
Journalisten getarnte Zersetzungsagenten“ mitzuteilen. Regionalzeitungen
berichten zudem von Streit im Kreisverband und scharfer Kritik ehemaliger
Mitglieder. Chrupalla führe die AfD dort inzwischen „wie eine Sekte“: Alle,
die nicht seiner Meinung seien, habe er kaltgestellt, so wird etwa Frank
Großmann zitiert, der ehemalige Görlitzer Kreischef der AfD.
Am vergangenen Dienstag sitzt Chrupalla im Abgeordnetenrestaurant im
Bundestag, er hat sich für ein kurzes Gespräch Zeit genommen und lächelt
dabei sein schelmisches Lächeln. Im Plenum wird gerade der Haushalt des
Verkehrsministeriums diskutiert, Minister Andreas Scheuer bekommt sein Fett
weg. In den sozialen Medien kursiert zeitgleich der Verdacht, Chrupalla
habe mit einer Unterlassungserklärung [7][das ZDF gezwungen], einen
kritischen Beitrag, in dem es auch um den Kreisverband geht, nicht
auszustrahlen.
Das stellt sich später als nicht ganz zutreffend heraus. Aber was sagen Sie
zu der Kritik aus Görlitz, Herr Chrupalla? Der AfD-Mann weist die Vorwürfe
von Großmann zurück und erzählt, dass alles ganz anders gewesen sei. Das
schelmische Lächeln, das gerade noch da war, verschwindet aus seinem
Gesicht. Die Zitate dazu wird er später nicht freigeben.
1 Dec 2019
## LINKS
[1] /Protest-gegen-Bundesparteitag-der-AfD/!5627263
[2] /AfD-bei-der-Thueringen-Wahl/!5636399
[3] /Drohendes-Personal-Chaos-bei-der-AfD/!5642935
[4] /Kommunalwahlen-in-Sachsen/!5597374
[5] /AfD-schliesst-Doris-Sayn-Wittgenstein-aus/!5553341
[6] /Bundesparteitag-der-AfD-in-Hannover/!5467245
[7] https://twitter.com/VonKronenberg/status/1200052010529280000?s=20
## AUTOREN
Sabine am Orde
## TAGS
Jörg Meuthen
Schwerpunkt AfD
Tino Chrupalla
rechte Parteien
Alexander Gauland
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Schwerpunkt AfD
Jörg Meuthen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Alternative für Deutschland: Vergesst Höcke!
Weite Teile der AfD haben sich mit dem „Flügel“ versöhnt, der extrem
rechten Strömung um Björn Höcke. Das muss den Blick auf die Partei
verändern.
Protest gegen AfD-Parteitag: „Nie wieder Faschismus“
Rund 20.000 Bürger protestierten am Samstag in Braunschweig gegen die AfD.
Die Polizei erschwerte die Gegenkundgebung.
AfD-Parteitag in Braunschweig: Aus Mangel an Alternativen
Tino Chrupalla aus Sachsen ist neuer Vorsitzender der AfD. Erste Wahl ist
er nicht, aber beide Flügel können mit ihm leben.
AfD wählt neuen Vorstand: Meuthen bleibt, Chrupalla kommt
Jörg Meuthen wird erneut zum Parteichef gewählt. Neuer Ko-Chef wird Tino
Chrupalla aus Sachsen. Die AfD soll regierungsfähig werden.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.