# taz.de -- Kommunalwahlen in Sachsen: Die Schlacht um Görlitz | |
> In der Stadt an der polnischen Grenze könnte am Sonntag der erste | |
> AfD-Oberbürgermeister Deutschlands gewählt werden. | |
Bild: Görlitz in Sachsen | |
Görlitz taz | 74 Jahre nach dem Frühjahr 1945 tobt wieder eine Schlacht um | |
Görlitz. Zumindest die drei Parteien CDU, Grüne und AfD schicken das | |
Ranghöchste an die Neiße, was sie aufzubieten haben. Annegret | |
Kramp-Karrenbauer, Robert Habeck und Katrin Göring-Eckardt waren schon an | |
der Front, Jörg Meuthen wird am Donnerstag erwartet. Unter Gregor Gysi | |
machte es auch die chancenlose Linke nicht. Dabei geht es nur um den | |
Oberbürgermeister, der bei den am 26. Mai anstehenden Kommunalwahlen | |
bestimmt wird. Der könnte danach allerdings Sebastian Wippel heißen und | |
erstmals in Deutschland von der AfD gestellt werden. | |
Außerdem geht es um den prestigeträchtigsten Wahlkreis in | |
Sachsen-Niederschlesien. Völlig unerwartet verlor der damalige | |
Generalsekretär der Sachsen-Union Michael Kretschmer bei den | |
Bundestagswahlen 2017 hier sein Direktmandat an Tino Chrupalla von der AfD. | |
Dennoch wurde Kretschmer ein Vierteljahr später als Nachfolger des | |
resignierten Stanislaw Tillich zum Ministerpräsidenten gewählt. | |
Als Oberbürgermeisterkandidat der CDU tritt am bevorstehenden Sonntag ein | |
ungleich blasserer Mann an, der die Unterstützung der Bundesspitzen | |
wirklich nötig hat. Der 51-jährige Octavian Ursu ist ein etwas gedrungen | |
wirkender Mann. Ein gebürtiger Rumäne, der in Bukarest und Düsseldorf Musik | |
studiert hat und 1990 Solotrompeter der umstrukturierten Neuen Lausitzer | |
Philharmonie mit Sitz in Görlitz wurde. | |
Dort avancierte er zum Gesamtbetriebsratsvorsitzenden des | |
Hauptmann-Theaters Görlitz-Zittau. Auch in der CDU, der er 2009 beitrat, | |
über den CDU-Kreisvorsitz bis zum 2014 errungenen Landtags-Direktmandat | |
ging es nach oben. | |
Ein Frontschwein aber ist Ursu nicht. Nennenswerte Sätze hört man kaum von | |
ihm, auch auf dem naheliegenden kulturpolitischen Gebiet nicht. Der nette | |
Typ könnte eher das gespaltene Görlitz ein bisschen mehr versöhnen. Auf der | |
einen Seite oder genauer auf beiden Seiten der seit dem Krieg zwischen | |
Polen und Deutschen geteilten Stadt stehen Künstler, Bildungsbürger, | |
überzeugte Europäer. Viele Bürger im noch 56.000 Einwohner zählenden | |
westlichen Stadtteil aber sind durch die erhöhte Kriminalität seit der | |
Grenzöffnung 2004 verängstigt. | |
Gefundenes Fressen wie überall für die AfD. Deren Kandidat Sebastian Wippel | |
ist nicht nur Polizeikommissar und Leutnant der Reserve. Seit der gebürtige | |
Görlitzer 2014 in den sächsischen Landtag einzog, polarisiert er als | |
innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und trat als Hardliner gegenüber | |
Flüchtlingen auf. „Mit Grenzen lebt sich’s besser“, lautet jetzt ein | |
Wahlkampfmotto. Auf AfD-Foren in der Lausitz schürt Wippel Panik vor dem | |
„Desaster“ des Kohleausstiegs. | |
Grüne Kandidatin gegen Sicherheitshysterie | |
Der brave Octavian Ursu versucht nun, ausgerechnet auf diesem AfD-Kampffeld | |
zu punkten. Auf Großplakaten zeigt er sich auf der Altstadtbrücke mit | |
hochrangigen Polizisten. Ganz anders die dritte chancenreiche Kandidatin, | |
Franziska Schubert von den Grünen. Gerade 37 geworden, hat die | |
selbstbewusste Landtagsabgeordnete nicht nur Europäische Studien in | |
Osnabrück und Budapest studiert, sondern befasst sich als Promovendin an | |
der TU Dresden auch mit Grenzregionen. | |
So wird sie selbstverständlich zum Europapicknick mit Theateraufführung | |
über den griechischen Europa-Mythos an die polnische | |
„Tecza“-Alternativschule eingeladen, die mit einer deutschen freien Schule | |
eng kooperiert. Die Solidarität mit den von der restaurativen PiS-Politik | |
bedrohten polnischen Frauen liegt ihr besonders am Herzen. Beim Auftritt im | |
Jugendzentrum „Wartburg“ begegnet sie der Sicherheitshysterie mit der | |
sachlichen Feststellung, dass die Kommune neben Land und Bund nur sehr | |
begrenzt für das Grenzregime zuständig sei. | |
Eine streitlustige Frau und zugleich eine versöhnliche Christin, die in | |
AfD-Mitgliedern und Wählern zuerst Mitmenschen sehen will. Denen möchte sie | |
die Augen öffnen, dass die AfD selbst längst zu einer „Systempartei“ | |
geworden ist, „die wie eine Sekte geführt wird“. | |
Eine aktuelle Umfrage der Sächsischen Zeitung sieht Ursu mit 40 Prozent | |
vorn, gefolgt von Wippel mit 28 Prozent. Die von Grünen, SPD und den | |
Bündnissen „Motor Görlitz“ und „Bürger für Görlitz“ unterstützte … | |
Schubert landet mit 26 Prozent knapp dahinter. Jana Lübeck von der Linken | |
käme nur auf 6 Prozent. | |
Kaum ein Görlitzer glaubt indessen der Prognose. Blogger Mike Altmann | |
begründet in seinem „Görlitzer Anzeiger“, warum: Das beauftragte Institut | |
IM Field vergaß im ersten Anlauf die Frage nach der Linken, ignorierte mit | |
Festnetz-Interviews die Generation Handy und bezog die nicht | |
wahlberechtigte Gemeinde Schöpsthal mit ein. Laut gleicher Umfrage meinen | |
nur 52 Prozent, ein AfD-Oberbürgermeister würde dem Ansehen der Stadt | |
schaden. Die Blauen könnten bei der Wahl ein Zeichen setzen, das man in | |
ganz Deutschland diskutieren wird. | |
23 May 2019 | |
## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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