# taz.de -- Nach dem Tod von Uwe Seeler: Uwe, Erwin, Frauen und Arbeiter | |
> Uwe Seeler und die deutschen Fußballerinnen haben einiges gemein. Etwa: | |
> ein Platz an der Schwelle zum großen Geld – aber nicht davon korrumpiert. | |
Bild: Uwe (re.), Erwin (li.) und Dieter Seeler betrachten den technischen Forts… | |
Das deutsche Team spielte mit Trauerflor. Schließlich war Uwe Seeler | |
gestorben, die Nachricht von seinem Tod war nur wenige Stunden alt. Als | |
Favoritin war die DFB-Elf ins Viertelfinalspiel gegen Österreich gestartet, | |
wie es meist so ist, wenn deutsche gegen österreichische Auswahlteams | |
spielen. Da läuft ja auch die große Nachbarin gegen die kleine auf, und die | |
Deutschen verlieren nicht gern. | |
Vor 91 Jahren, am 26. Juli 1931, hatte auch Deutschland gegen Österreich | |
gespielt. Es war das Finale des Fußballwettbewerbs der | |
[1][Arbeiterolympiade] in Wien, gespielt im eigens für dieses | |
sozialistische Sportfest gebaute Praterstadion. Österreich gewann | |
überraschend 3:2, doch am Ende des Turniers war „Old“ Erwin Seeler mit 10 | |
Treffern der Torschützenkönig. Fünf Jahre später wurde „Old Erwin“ Vater | |
von „Uns Uwe“. | |
Erwin Seeler war aber kein Torschützenkönig. So etwas kannte und wollte | |
der Arbeitersport nicht. Es ging um eine andere Art des Sporttreibens: | |
solidarisch, gesundheitsorientiert, nicht den kapitalistischen Drang des | |
„höher, schneller, weiter“ imitierend. Was bei den Arbeiterolympiaden 1925 | |
in Frankfurt/Main und 1931 in Wien gezeigt wurde, war ein Gegenmodell zum | |
bürgerlichen Rekordsport. | |
Darin gleicht der [2][Arbeitersport] ein wenig dem Frauenfußball, in dem | |
auch viele ein besseres Gegenstück zum hyperkapitalisierten Gekicke sehen, | |
das Konzerne wie Real Madrid, Manchester City oder Bayern München performen | |
und für das sie Euros im zwei- und dreistelligen Millionenbereich | |
verschleudern. Die Summen, die im Frauenfußball gezahlt werden, sind | |
deutlich geringer. Das freut einige, weil es nicht so abgehoben ist. Das | |
ärgert einige, weil es Ausdruck struktureller Benachteiligung von Frauen | |
ist. | |
Als [3][„Old“ Erwin Seeler] 1931 im zweiten Spiel der Arbeiterolympiade zum | |
9:0-Sieg der Deutschen über Ungarn fünf Tore beisteuerte, trugen ihn | |
begeisterte Fans auf ihren Schultern vom Platz. Für diesen „Starrummel“ | |
wurde er später vom Arbeiter-Turn- und Sportbund (ATSB) kritisiert. So | |
etwas sollte es im besseren, gerechteren, solidarischeren Sport nicht | |
geben. Seeler wechselte 1932 zur bürgerlichen Victoria Hamburg, der ATSB | |
wurde 1933 von den Nazis verboten und zerschlagen, Erwin Seeler fing 1938 | |
beim Hamburger SV an, wo er später auch seinen Sohn Uwe anmeldete. | |
## „Das ist Klassenverrat“ | |
Tatsächlich war nach Seelers Wechsel vom ATSB-Klub SC Lorbeer 06 Hamburg in | |
den bürgerlichen Sport vom „verirrten Proletarier“ die Rede. Walter Jens, | |
Schriftsteller und Rhetorikprofessor, erinnerte sich einmal: „Das, glaubten | |
wir, sei Klassenverrat – Old Erwin spielt fürs Kapital!“ | |
Andere nahmen das anders war: Für sie war Erwin Seeler – und später sein | |
Sohn Uwe – einer, der den Aufstieg geschafft hat. Einer, der mitmachte im | |
großen Geschäft, der sich aber nicht korrumpieren ließ. | |
Sport- und gesellschaftshistorisch betrachtet standen Seeler-Vater und | |
Seeler-Sohn etwa an der Schwelle, an der der Frauenfußball heute steht. Das | |
große Geschäft, das mit kickenden Männern gemacht wird, erschließt sich | |
langsam auch kickenden Frauen. Diese Fußballindustrie wird von der | |
Gesellschaft gleichermaßen kritisch betrachtet und bedient. Und wie im Fall | |
der Seelers gibt es überhaupt keinen Grund, Spielerinnen einen | |
individuellen „Verrats“-Vorwurf daraus zu machen, dass sie für sich gute | |
Verträge abschließen. | |
Schön wäre, wenn wir heute erlebten, dass die ein oder andere Spielerin des | |
aktuellen DFB-Kaders eine Karriere machte, die in möglichst vielen | |
Jahrzehnten in ähnlichen Nachrufen gewürdigt würde, wie sie jetzt „Old“ | |
Erwins Sohn erhält. | |
22 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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