# taz.de -- Nach Hanau in Deutschland leben: Nicht nur Nischenschmerz | |
> Tapfer sein, so rede ich mir oft ein, ist gut für mich. Gut für uns. Wer | |
> soll denn auch so viel empfinden können, bei so viel Leid in der Welt? | |
Bild: Trauer in Hanau | |
[1][Letzten Donnerstagmorgen] bin ich mit einem beklemmenden Gefühl ins | |
Büro gefahren. Ich hatte sehr schlecht geschlafen wie ganz Deutschland – | |
zumindest hoffe ich, dass ganz Deutschland schlecht geschlafen hat und | |
nicht nur wir. Also wir, die so aussehen wie ich und meine Freund*innen. | |
Den ganzen Tag unterdrückte ich Tränen und lächelte tapfer, wie man so | |
schön sagt. | |
Unter tapfer lächeln stelle ich mir immer das Chrissy-Teigen-Meme bei den | |
Golden Globes vor. So ein gequältes Lächeln mit Tränen in den Augen. Wenn | |
ich darüber nachdenke, ist das häufig meine Art gewesen, mit unglaublicher | |
Trauer, überwältigenden Gefühlen und unfassbarer Grausamkeit umzugehen. Auf | |
eine merkwürdige Art und Weise fühle ich mich manchmal sogar verpflichtet, | |
eine Art Stolz zu empfinden, weil ich tapfer bin. Weil ich funktioniere. | |
Als mein Vater im Genozid in Ruanda umgebracht wurde, musste ich meine | |
Schreie unterdrücken, damit wir nicht im Versteck gefunden würden. Als | |
meine Tante starb, wollte ich für meine Cousinen tapfer sein. Als der | |
11-jährige Tamir Rice von einem Polizisten umgebracht wurde, behielt ich | |
meine Tränen für mich. Als wir ständig Berichte sahen über tote schwarze | |
Geflüchtete, die an europäische Strände gespült wurden, schluckte ich den | |
Schmerz runter und ging arbeiten oder sogar abends auf einen Geburtstag. | |
Als 9/11 passierte oder der Amoklauf von Winnenden, gab es an unserer | |
Schule Psychologen, die sich um Schüler und Schülerinnen kümmerten. Was | |
auch völlig richtig war. Als Charlie Hebdo geschah, hielten ganze Newsrooms | |
inne, und es gab Platz für den Schmerz und für die Wut. | |
Es fühlt sich so an, als ob mein Schmerz, unser Schmerz, ein Nischenschmerz | |
ist. Der nicht den Ablauf stören darf. Für den es keinen kollektiven Platz | |
gibt. Es ist ein Schmerz, der tapfer ausgehalten werden muss. | |
Tapfer sein, so rede ich mir oft ein, ist gut für mich. Gut für uns. Wer | |
soll denn auch so viel empfinden können bei so viel Leid in der Welt? | |
Es macht aber auch stumpf. Ich habe Angst, gleichgültig zu werden. Ich habe | |
aber auch Angst, irgendwann zusammenzubrechen, weil ich die Gefühle und den | |
Schmerz zulasse. Ich habe dann Angst, viel zu viel zu empfinden. Ich habe | |
ständig Angst. Zu viel Angst, aber zu wenig Zeit, um innezuhalten. Um | |
Schmerz und Gefühle auszuhalten. Um nachzudenken. | |
Ich bin ein Profi darin geworden, unauffällig am Schreibtisch, in der | |
S-Bahn und in irgendwelchen Klos zu weinen. Ständig die Nase hochzuziehen | |
und so zu tun, als wäre ich erkältet. Tapfer lächeln. Den Kloß im Hals | |
immer und immer wieder runterschlucken. Ich wünsche mir mehr Platz, mehr | |
Solidarität. Ich wünschte, unser Schmerz wäre kein Nischenschmerz mehr. | |
Denn wer weiß, wie lange wir noch tapfer lächeln können. | |
1 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
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