# taz.de -- Nach Euro-Urteil aus Karlsruhe: Das Auge lacht und weint | |
> Die Kanzlerin sieht sich in ihrem Europa-Kurs bestätigt, die | |
> EU-Kommission ist erleichtert. Und die Kläger sehen das Urteil trotz | |
> Enttäuschung wenigstens als Teilerfolg. | |
Bild: Die Verfassungsrichter geben grünes Licht für Milliardenhilfen. | |
KARLSRUHE/BERLIN/BRÜSSEL dpa/rtr | Mit dem Ja des Bundesverfassungsgerichts | |
zu den Euro-Hilfen bekommt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Rückendeckung für | |
ihren umstrittenen Kurs in der Schuldenkrise. Die [1][obersten deutschen | |
Richter billigten am Mittwoch in Karlsruhe die ersten Rettungspakete für | |
Griechenland und den Euro]. | |
Künftig erhält der Bundestag aber mehr Macht bei der Vergabe neuer | |
Milliarden an marode Euro-Schuldenländer. Die Verfassungshüter betonten | |
zugleich, das Urteil sei für die Regierung "keine Blanko-Ermächtigung für | |
weitere Rettungspakete". Merkel reagierte erleichtert, auch die nervösen | |
Börsen zogen an. Die Chancen für die Einführung von Eurobonds dürften mit | |
der Entscheidung gesunken sein. | |
Mit der Entscheidung knüpft das Gericht an seine Urteile zu den Verträgen | |
von Maastricht und Lissabon an, bei denen es die Souveränität des deutschen | |
Staates hervorhob. Erneut findet sich ein klares Nein gegen | |
Mehrheitsentscheidungen in der EU, bei denen Deutschland überstimmt werden | |
könnte. | |
In diese Rubrik fallen auch die Eurobonds, da auch bei ihnen die deutsche | |
Regierung nicht in allen Belangen Herr des Verfahren sein könnte. Die | |
Vergemeinschaftung von Staatsschulden berge ein hohes Risiko für die | |
Eigenverantwortung. | |
Die Kanzlerin sagte in der Generaldebatte des Bundestages zum Haushalt, | |
Karlsruhe habe die bisherige Euro-Politik "absolut bestätigt". Es gehe um | |
Eigenverantwortung und Solidarität in Europa, die transparent und mit | |
absoluter Mitbestimmung des Parlaments umgesetzt würden. "Das ist genau der | |
Weg, den wir gegangen sind." Leidenschaftlich warb die CDU-Chefin für | |
Europa. "Scheitert der Euro, scheitert Europa." | |
Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte, Gewinner sei die Demokratie. Es | |
sei jetzt "glasklare Verfassungslage", dass der Bundestag seine | |
Budgethoheit nicht an andere Akteure abgeben dürfe. In Brüssel reagierte | |
die EU-Kommission zufrieden. Auch die Opposition begrüßte die stärkere | |
Stellung des Bundestages. Die Grünen sprachen von einer guten Nachricht für | |
Europa. | |
## "Eine Ohrfeige für die Bedürftigen in unserem Land" | |
Der Kläger und CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler nahm die Entscheidung "mit | |
einem lachenden und weinenden Auge" entgegen. Das Gericht habe eine "erste | |
dünne Grenze" gezogen, die nicht überschritten werden dürfe. Die Maßgaben | |
des Gerichtes seien aber nur "kleine Trippelschritte" im Vergleich zum dem, | |
was er sich erhofft habe. Immerhin: "Das Parlament hat jetzt das letzte | |
Wort, es gibt keine Pauschalermächtigung mehr." Enttäuscht zeigte sich | |
Gauweiler von der Feststellung des Gerichts, die Schuldenbremse im | |
Grundgesetz gelte nur für Schulden und Kredite, nicht jedoch für | |
Bürgschaften. | |
Sein [2][Mitstreiter Karl Albrecht Schachtschneider] reagierte wesentlich | |
enttäuschter: "Das ist ein schlechter Tag für Deutschland und für Europa | |
und eine Ohrfeige für die Bedürftigen in unserem Land." Er kritisierte den | |
Zweiten Senat: "Was soll der Bürger mit einem Gericht, das dem Bürger | |
keinen Schutz gibt?" Schachtschneider stellte weitere Klagen in Aussicht. | |
Der ökonomische Prozess in Europa werde weiter fortschreiten und "so | |
vernichtend für die Währungsunion sein, dass die Bürger weitere Prozesse | |
werden führen müssen", prognostizierte er. | |
Auch er sah die Entscheidung jedoch als Teilerfolg an. Das Gericht habe | |
lediglich entschieden, dass die Grenze beim Euro-Rettungsschirm "noch nicht | |
überschritten" sei. Er betonte, eine "unbegrenzte Ausgabe von Euro-Bonds", | |
also gemeinsamen Staatsanleiehn aller Euro-Staaten, sei nach diesem Urteil | |
nicht mehr möglich. | |
Ein [3][weiterer Beschwerdeführer], der emeritierte Professor für | |
Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen, Joachim Starbatty, | |
sagte: "Das Urteil ist mehr als ein Teilerfolg, weil es die Grenzen | |
politischer Macht aufgezeigt hat." | |
## "Historische Herausforderungen dauerhaft bewältigen" | |
Positive Reaktionen kamen auch von der CSU. Die Partei zeigte sich | |
überzeugt, dass nun den Weg frei sei für eine rasche Einigung mit der | |
Opposition über größere Beteiligungsrechte des Parlaments bei künftigen | |
Hilfsmaßnahmen. "Ich bin mir sicher, dass wir nun rasch gemeinsam mit der | |
Opposition zu einer Einigung gelangen und die Parlamentsbeteiligung auf | |
eine breite parlamentarische Basis stellen", erklärte die Vorsitzende der | |
CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, am Mittwoch in Berlin. | |
Die Vorgaben aus Karlsruhe würden nach eingehender Prüfung im anstehenden | |
Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt. Der Ertüchtigung des | |
Euro-Rettungsschirmes und ihrer Umsetzung im nationalen Recht stehe damit | |
nichts mehr im Weg, sagte Hasselfeldt. "Mit dem heutigen Urteil sind die | |
Grundlagen dafür gelegt, dass wir die historischen Herausforderungen, vor | |
denen die Euro-Zone steht, dauerhaft bewältigen können." | |
Die EU-Kommission reagierte erleichtert. Die Behörde nehme das Urteil | |
zufrieden zur Kenntnis, sagte die Sprecherin von EU-Kommissionspräsident | |
Jose Manuel Barroso am Mittwoch in Brüssel. Das Urteil habe bestätigt, dass | |
die Hilfen für Griechenland und der Euro-Rettungsschirm mit der deutschen | |
Verfassung in Einklang stünden. Dieser Umstand habe großen Einfluss auf die | |
Fähigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die Schuldenkrise zu | |
überwinden. | |
7 Sep 2011 | |
## LINKS | |
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