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# taz.de -- Musterklagen beim Verfassungsgericht: Griechenlandhilfen rechtens?
> Vor dem Bundesverfassungsgericht werden zwei Klagen gegen die deutschen
> Milliardenkredite für Griechenland verhandelt. Ein neues
> Europapolitik-Grundsatzurteil ist denkbar.
Bild: Verteidigte die Kredite: Bundesfinanzminister Schäuble in Karlsruhe.
KARLSRUHE taz | Waren deutsche Kredite für Griechenland verfassungswidrig?
Verstößt der Euro-Rettungsschirm gegen das Grundgesetz? Darüber verhandelte
Dienstag der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts. Am Ende dürfte ein
neues Grundsatzurteil zur Europapolitik stehen.
Konkret geht es um Maßnahmen aus dem Mai 2010. Die griechische Regierung
hatte die völlige Überschuldung des Landes eingestanden, die Finanzmärkte
wollten keine neuen Kredite geben oder verlangten aberwitzige Zinsen. Da
beschlossen die EU-Staaten ein auf drei Jahre verteiltes Kreditpaket von 80
Milliarden Euro, von dem Deutschland 22,4 Milliarden Euro zu tragen hat.
Außerdem wurde noch ein vorläufiger Euro-Rettungsschirm beschlossen, den
auch andere EU-Staaten wie Spanien und Irland in Anspruch nehmen können.
Hier stellen die EU-Staaten Garantien in Höhe von 440 Milliarden Euro zur
Verfügung. Für bis zu 147,6 Milliarden Euro bürgt Deutschland.
Gegen beide Maßnahmen wurden Dutzende Verfassungsbeschwerden eingelegt.
Zwei von ihnen wurden als Musterklagen am Dienstag in Karlsruhe verhandelt.
Die substanziellere Klage kam vom CSU-Abgeordneten Peter Gauweiler, den der
Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek vertrat. Die zweite Beschwerde
stammte von fünf pensionierten Professoren um den Juristen Karl-Albrecht
Schachtschneider und den Ökonomen Joachim Starbatty.
Alle machten geltend, dass die Hilfspakete zu weiterer Verschuldung, zu
Inflation und damit zur Beeinträchtigung ihres Eigentums führten. Außerdem
sei ihr Wahlrecht ausgehöhlt, so die Kläger, wenn der Bundestag tatsächlich
mit bis zu 147 Milliarden Euro für fremde Schulden einstehen müsse und dann
keinerlei politischen Spielraum mehr habe.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigte in Karlsruhe die
Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro. "Ohne den Schutz vor
Wechselkursschwankungen hätten Europa und Deutschland die Folgen der
Finanzkrise nicht so gut überstanden", sagte Schäuble. Die Krise in
Griechenland hätte den ganzen Euro-Raum "anstecken" können. Deutschland
profitiere als Exportnation besonders stark von der Währungsunion und damit
auch von den Hilfspaketen.
## Gelächter im Saal
Dietrich Murswiek bezeichnete Kredite für Griechenland dagegen als "Fass
ohne Boden". Eine Stabilisierung des Euro könne so nicht erreicht werden.
"Man kann auch keinen Wasserschaden beheben, indem man das Haus in die Luft
sprengt", so Murswiek.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle hatte allerdings zu Beginn der
Verhandlung klargestellt, dass es in Karlsruhe nur um Rechtsfragen gehen
solle. "Wir entscheiden hier nicht über die richtige Strategie zur
Euro-Stabilisierung. Das ist Aufgabe der Politik und nicht der
Rechtsprechung." Kläger Schachtschneider wollte das nicht akzeptieren. "Was
ökonomisch falsch ist, kann rechtlich nicht richtig sein", rief er, erntete
dabei aber nur Gelächter im Saal.
Juristisch ging es zunächst um die Frage, ob die Hilfen gegen Europarecht
verstoßen, wie die Kläger meinen. Murswiek verwies auf die sogenannte "No
bail out"-Klausel im Vertrag über die Arbeit der EU, wonach jeder Staat
selbst für seine Schulden hafte. Franz Mayer, der Vertreter des Bundestags,
entgegnete: "Die Klausel sagt nur, dass es keine Pflicht zur Hilfe gibt.
Verboten ist eine Hilfe für andere Staaten allerdings nicht."
## Keine reine Umverteilung
Doch Murswiek ließ nicht locker: "Hier wurde die Konzeption der
Währungsunion völlig verändert und plötzlich eine Transferunion eingeführt
– ganz ohne Vertragsänderung." Rechtsprofessor Ulrich Häde, der die
Bundesregierung vertrat, wies das zurück. "Anders als beim deutschen
Länderfinanzausgleich werden hier nicht einfach Gelder umverteilt."
Vielmehr seien die Hilfskredite mit strengen Sparauflagen versehen, die ja
auch zu Protesten geführt hätten.
Außerdem sei der vorläufige Rettungsschirm auf drei Jahre beschränkt. Ab
2013 solle dann ein ständiger "Stabilisierungsmechanismus" eingerichtet
werden, für den dann auch die EU-Verträge geändert werden. Dietrich
Murswiek regte an, dass Karlsruhe die europarechtlichen Fragen dem
Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorlege. Richter Voßkuhle sagte nur,
sein Senat werde darüber beraten.
Ausführlich diskutierten die Richter diesmal die Frage, ob die Klagen
überhaupt zulässig sind – oder ob eine Verletzung individueller Grundrechte
hier nur vorgeschoben wurde. Selbst die Karlsruher Richter schienen ihre
europapolitische Zuständigkeit nicht unendlich ausweiten zu wollen.
Am Ende der Verhandlung sollte es dann vor allem um die Verantwortung des
Bundestags gehen. Die Kläger hielten die vom Bundestag beschlossenen
Gesetze für "nichtig", weil die Abgeordneten von der Regierung mit
"Untergangsszenarien" erpresst worden seien. Das wies der CDU-Abgeordnete
Siegfried Kauder zurück: "Es gab zwar Zeitdruck, aber niemand wurde
erpresst." Das Urteil soll in einigen Monaten verkündet werden.
5 Jul 2011
## AUTOREN
Christian Rath
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