| # taz.de -- Nach Erdoğans Wahlsieg: Mehr vom Gleichen | |
| > Erdoğan hat die Türkei tief gespalten. Aber es gibt Hoffnung: Der | |
| > Dauer-Herrscher hat fast alle Metropolen verloren. | |
| Bild: Erdoğan in der Wahlnacht. 48 Prozent der WählerInnen haben ihn nicht ge… | |
| Die Hoffnung starb zuletzt. Bis zu dem Moment, in dem auch die der | |
| Opposition nahestehende Nachrichtenagentur Anka den ewigen Präsidenten | |
| Recep Tayyip Erdoğan vorne sah, gab es immer noch eine schwache Hoffnung | |
| auf einen Sieg des Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu. | |
| [1][Der Absturz ist nun umso heftiger]. Erdoğan triumphiert erneut, für | |
| fast 50 Prozent aller Türkinnen und Türken gehen die Lichter aus. Im | |
| hundertsten Jahr der Türkischen Republik und genau zehn Jahre nach den | |
| ersten massiven Protesten gegen Erdoğan im Istanbuler Gezi-Park scheint das | |
| Anrennen gegen den Autokraten endgültig gescheitert. Ein Debakel vor allem | |
| für diejenigen, die die Kämpfe für Demokratie und Freiheit ins Gefängnis | |
| gebracht haben. Nach 20 Jahren an der Macht hat Erdoğan es geschafft, die | |
| türkische Gesellschaft in zwei völlig unversöhnliche Lager zu spalten. Wir | |
| und die Anderen, Erdogans Mantra von Beginn seiner Regierung an, hat sich | |
| durchgesetzt. | |
| Alle gesellschaftlichen Versöhnungsangebote des Erdoğan-Herausforderers | |
| Kemal Kılıçdaroğlu sind von den AnhängerInnen des Reis, ihres Führers, | |
| brüsk zurückgewiesen worden. Egal ob die Wirtschaft durch Erdoğans | |
| irrationalen Kurs abstürzt oder die Häuser seines Modernisierungsprogramms | |
| beim Beben einstürzen, für seine AnhängerInnen bleibt ein Mann wie | |
| Kılıçdaroğlu ein „ungläubiger Terrorist und Verräter“. | |
| Erdoğan kann sich jetzt in seiner Spaltungspolitik bestätigt sehen. Was | |
| kommen wird, ist nichts Neues, sondern ein Mehr vom Gleichen. Mehr | |
| Moscheen, mehr Repression, mehr Beton und mehr Abhängigkeit von Putin und | |
| den Potentaten am Golf, denjenigen, die Erdoğan finanziert haben und schon | |
| vor den Wahlen den finanziellen Kollaps der Türkei verhinderten. Erdoğan | |
| wird für diese politischen Kredite mit politischem Wohlverhalten zahlen | |
| müssen – umso peinlicher sind [2][die devoten Gratulationen von Olaf | |
| Scholz], Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen. | |
| ## Erneuerung aus den Städten | |
| Die Oppositionskoalition wird an der Niederlage wohl erst einmal | |
| zerbrechen, andere Konstellationen mit anderen Personen werden folgen. Denn | |
| so schmerzlich die Niederlage nun ist, es gibt sie ja, [3][die knapp 50 | |
| Prozent der Türkinnen und Türken], die Erdoğan ebenso sehr ablehnen wie | |
| seine Fans ihn anhimmeln. Und diese 50 Prozent sind die moderne Türkei, die | |
| Menschen in den großen Städten am Mittelmeer und der Ägäis, in Istanbul und | |
| Ankara. | |
| Aus diesen Städten und mit den jungen Leuten, die ganz überwiegend Erdoğan | |
| nicht gewählt haben, wird die Erneuerung des Landes kommen. Weil Erdoğan | |
| außer Bursa im Westen und Gaziantep im Osten alle Millionenstädte der | |
| Türkei verloren hat, sprechen Oppositionsmedien bereits von einem | |
| „Pyrrhus-Sieg“. | |
| Die Kommunalwahlen im kommenden Frühjahr werden es zeigen. | |
| 29 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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