| # taz.de -- Co-Vorsitzende der HDP in Deutschland: „Kılıçdaroğlu eine Cha… | |
| > Am Sonntag findet die Stichwahl in der Türkei statt. Leyla Îmret, | |
| > Co-Vorsitzende der kurdischen HDP in Deutschland, unterstützt den | |
| > Erdoğan-Herausforderer. | |
| Bild: Leyla Îmret ist ehemalige Bürgermeisterin der nah der syrischen Grenze … | |
| taz: Frau Îmret, sie waren selbst von politischer Verfolgung in der Türkei | |
| betroffen. Erst vorgestern gab es wieder Berichte über Razzien bei | |
| Oppositionellen. Wie erleben Sie die Zeit gerade persönlich? | |
| Leyla Îmret: Seit 2015 gibt es eine systematische Unterdrückung unserer | |
| Partei. Aber auch nicht politisch aktive Kurd*innen sind davon betroffen. | |
| Und mittlerweile wirklich alle Demokrat*innen in der Türkei. 15.000 | |
| Menschen wurden in den letzten Jahren verhaftet. Das ist systematisch. | |
| Wen meinen Sie mit Demokrat*innen? | |
| Da braucht man sich nur die Exilprofile der letzten Jahre angucken. | |
| Darunter sind Journalist*innen, Künstler*innen, Akademiker*innen, | |
| Politiker*innen. Auf allen Ebenen werden die Menschen mit Terrorvorwürfen | |
| angeklagt und haben keine Wahl, als das Land zu verlassen. | |
| Keine Wahl? | |
| Kaum eine Wahl. Es gibt in der Türkei im Grunde keine Rechtsstaatlichkeit | |
| mehr. Ich habe es selbst erlebt. An einem Abend hat Erdoğan im | |
| Staatsfernsehen über mich gesagt, ich rede über Bürgerkrieg und müsse zur | |
| Rechenschaft gezogen werden. Am nächsten Morgen stand die Polizei vor der | |
| Tür, ohne Anklage. Ich habe das Vertrauen verloren und so geht es vielen. | |
| Entweder du bleibst und bist ständig von willkürlicher Festnahme bedroht | |
| oder du gehst ins Exil. | |
| Besonders viel Repression richtet sich gegen Ihre Partei. Aktuell läuft ein | |
| Parteiverbotsverfahren. Weshalb? | |
| [1][Als wir 2015 mit etwa 13 Prozent zum ersten Mal ins Parlament | |
| eingezogen sind], haben wir verhindert, dass das Präsidialsystem, das | |
| Ein-Mann-Regime eingeführt wird. Leider konnte die AKP es später doch | |
| durchsetzen. Bei den Kommunalwahlen 2019 haben wir eine Schlüsselrolle | |
| gespielt. Durch unsere Politikstrategie konnte die CHP unter anderem in | |
| Istanbul gewinnen. Wir waren dort Königsmacher. Diese Schlüsselrolle wollen | |
| sie uns wegnehmen. Vor allem auch, weil wir uns im Parlament stark gegen | |
| die ganze Mentalität der AKP/MHO und die Unterdrückung positionieren – und | |
| für die Demokratie. | |
| Für Kılıçdaroğlu könnten Sie jetzt wieder Königsmacher werden. In vier v… | |
| fünf kurdischen Provinzen stimmten im ersten Wahlgang über 70 Prozent für | |
| ihn. Wie erklären Sie das? | |
| Die Menschen dort haben unter der AKP-Politik der letzten Jahre besonders | |
| gelitten. In meiner Stadt Cizre gab es eine 79 Tage lange Ausgangssperre, | |
| Bombardierungen, staatliche Massaker. Die Menschen sind am lebendigen Leibe | |
| verbrannt. Die Wunden sind noch frisch und die Menschen wollen einen | |
| politischen Wandel. | |
| Warum trauen sie Kılıçdaroğlu diesen Wandel zu? | |
| Sie vertrauen uns, der HDP und der grünen Linkspartei. Wir sind in den | |
| Gebieten sehr gut organisiert und haben beschlossen, keinen eigenen | |
| Kandidaten zu stellen, sondern die Wahlempfehlung für Kılıçdaroğlu | |
| auszusprechen. | |
| Warum vertrauen Sie ihm? | |
| Er scheint ein Demokrat zu sein. Auch er will der Mentalität der AKP/MHP, | |
| also dem Faschismus in der Türkei ein Ende setzen. Wir wollen Kılıçdaroğlu | |
| eine Chance geben. | |
| Gibt es Bedingungen, an die Sie Ihre Unterstützung geknüpft haben? | |
| Natürlich. Wir haben klare Forderungen. Die Zwangsverwaltungen der | |
| kurdischen Städte müssen aufgehoben werden. Wir wollen die | |
| Rechtsstaatlichkeit zurück. Politische Gefangene sollen freigelassen | |
| werden. Und vor allem braucht es eine politische Lösung der Kurdenfrage, | |
| darunter freie Muttersprache und Kultur. Die Politik der Leugnung muss | |
| aufhören. Übrigens auch bei anderen Fragen, wie der der Frauen und der | |
| Ökologie. | |
| Das klingt weitreichend, besonders in Anbetracht der teils | |
| rechtskonservativen Bündnispartner der CHP. | |
| Der erste Schritt ist der politische Systemwandel. Wir brauchen die | |
| Demokratie, dann können wir im Parlament über die genannten Fragen und | |
| Forderungen sprechen. Im Moment ist das nicht möglich. Die AKP/MHP leugnet | |
| die Probleme. Sie sagen: „Es gibt keine Kurdenfrage. Es gibt keine | |
| Frauenfrage. Es gibt keine Umweltfrage.“ Für sie sind alle gleich, alle | |
| zufrieden, es gibt offiziell nicht einmal eine ökonomische Krise. | |
| Autoritäre Regime wie der Iran oder Katar unterstützen Erdoğan. Wie sehen | |
| Sie in diesem Zusammenhang die Verantwortung etwa der EU? | |
| Ich arbeite viel mit unseren deutschen und europäischen Schwesterparteien, | |
| der Linkspartei und den Grünen, zusammen. Vor den Wahlen gab es | |
| Solidaritätsbekundungen und Wahlaufrufe. Viele Menschen haben sich | |
| freiwillig zur Wahlbeobachtung gemeldet. Und auch danach gab es öffentliche | |
| Kritik zum unfairen Ablauf der Wahlen sowie die Berichte der OSZE. Das war | |
| gut und wichtig. | |
| Aber reicht das? | |
| Nein, besonders nicht im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzungen der | |
| letzten Jahre. Es hätte schon längst Sanktionen, also klare | |
| Positionierungen für die demokratischen Werte der EU geben müssen. | |
| Was steht dem aus Ihrer Sicht im Weg? | |
| Vor allem eigene, staatliche und geostrategische Interessen, wie | |
| beispielsweise das Flüchtlingsabkommen. Aber es gibt auch ein | |
| systematisches Problem: Staaten sprechen mit Staaten. Staatliche Aussagen | |
| sind ihre jeweiligen Referenzpunkte. Die Perspektive der Opposition kommt | |
| erst danach. | |
| Auch hier braucht es einen Systemwandel? | |
| Es braucht ein ernsthaftes Unterstützen der Demokratie, eine klare Haltung | |
| und entsprechendes Handeln. Die EU-Außenpolitik muss sich darum bemühen, | |
| demokratische Partner in der türkischen Regierung zu haben. Das würde auch | |
| für sie vieles einfacher machen. | |
| Und medial? | |
| Kurz vor den Wahlen wurden 165 Personen verhaftet. Wer hat darüber | |
| berichtet? Das ist ein großes Problem. Auch die Medien sollten sich auf | |
| ihre demokratischen Werte besinnen. | |
| 26 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Bachmann | |
| Amina Aziz | |
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