# taz.de -- Mutmaßlicher IS-Repräsentant: Auf den Kronzeugen kommt es an | |
> Abu Walaa und sein Netzwerk sollen junge Männer zum IS geschleust haben. | |
> Nun fällt das Urteil im bislang größten Islamisten-Prozess in | |
> Deutschland. | |
Bild: Inszenierte sich als „Prediger ohne Gesicht“: Der mutmaßliche deutsc… | |
Berlin taz | Irgendwann im Sommer 2016 wird der Islamisten-Prediger Abu | |
Walaa Verdacht geschöpft haben. Mitte September berichtet er über Telegram | |
über „einen Spion unter uns“, später schiebt er eine Personenbeschreibung | |
und den Vornamen „Murat“ nach. Und sagt: „Möge Gott der Allmächtige die… | |
Abtrünnigen vernichten.“ | |
Murat Cem ist der Deckname eines Polizeispitzels, der im Zusammenhang mit | |
dem Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, für Furore sorgte. Er hatte | |
Amri im Auto nach Berlin gefahren und die Behörden vor der Gefährlichkeit | |
des Islamisten gewarnt. VP01, als der Cem bei der Polizei in NRW offiziell | |
geführt wurde, hat aber auch wesentlich dazu beigetragen, dass die | |
Sicherheitsbehörden das mutmaßliche Netzwerk um Abu Walaa aufdeckten. | |
Seit September 2017 stehen der Iraker Ahmad Abdulaziz Abdullah A., wie der | |
Mann mit dem Szenenamen Abu Walaa wirklich heißt, und drei weitere Männer | |
vor dem Oberlandesgericht in Celle. Sie sollen laut Anklage ein | |
salafistisch-dschihadistisches Netzwerk gebildet und [1][gemeinsam junge | |
Männer zum sogenannten Islamischen Staat nach Syrien oder in den Irak | |
vermittelt haben]. | |
A. soll der Repräsentant des IS in Deutschland gewesen sein. Im größten | |
Prozess gegen Islamisten, der bislang in Deutschland geführt wurde, wird am | |
Mittwoch nach fast dreieinhalb Jahren das Urteil erwartet. | |
## Direkte Kontakte zur IS-Spitze | |
Die Bundesanwaltschaft hat für Abu Walaa unter anderem wegen Mitgliedschaft | |
in einer terroristischen Vereinigung elfeinhalb Jahre Haft gefordert, für | |
die beiden mutmaßlichen IS-Unterstützer Boban S. und Hasan C. neuneinhalb | |
und zehn Jahre. Der vierte Angeklagte war kürzlich aus der U-Haft | |
entlassenen worden, für ihn plädierten die Ankläger auf viereinhalb Jahre | |
Haft. Ein fünfter Mann hatte im April gestanden, Abu Walaa belastet und ist | |
im Gegenzug mit einer vergleichbar milden Strafe davongekommen. | |
Abu Walaa, 37, kam 2001 als Asylsuchender nach Deutschland. Er predigte als | |
Imam in der Moschee des inzwischen verbotenen Vereins „Deutscher Islamkreis | |
Hildesheim“ radikal-islamische Inhalte und war auch bundesweit als Prediger | |
unterwegs. In der Moschee in Hildesheim bei Abu Walaa hat auch Amri | |
verkehrt. | |
Im Internet inszenierte sich Abu Walaa als „Prediger ohne Gesicht“ – stets | |
von hinten aufgenommen oder von der Brust abwärts. Laut Anklage soll er | |
sich offen zum IS bekannt und direkte Kontakte zur Führung der | |
Terrororganisation gehabt haben. | |
Nach den Erkenntnissen der Ermittler hatte das Netzwerk eine klare | |
Aufgabenteilung: Hasan C. und Boban S. unterrichteten in Duisburg und | |
Dortmund junge Dschihadisten in Arabisch, radikalisierten sie und brachten | |
ihnen die ideologischen Grundlagen für die künftige Mitarbeit beim IS bei. | |
Bei ihnen verkehrten auch junge Männer, die im April 2016 Sprengsätze auf | |
einen Sikh-Tempel in Essen warfen. | |
## „Murat Cem“ darf nicht aussagen | |
Abu Walaa billigte die Ausreisen und organisierte sie, für die konkrete | |
Umsetzung sollen zwei weitere Männer zuständig gewesen sein. Einer der | |
Geschleusten soll Martin Lemke gewesen sein, Abu Walaa soll seine Ausreise | |
mit 2.000 Euro unterstützt haben. Lemke stieg nach Informationen der | |
Sicherheitsbehörden in der Hierarchie des IS weit auf, er soll für den | |
Geheimdienst des IS tätig und an Hinrichtungen beteiligt gewesen sein. Vor | |
zwei Jahren wurde er nahe der irakischen Grenze gefangen genommen und sitzt | |
in Nordsyrien in Haft. | |
Die Anklage gegen Abu Walaa stützt sich unter anderem auf die | |
[2][Informationen des ehemaligen Polizeispitzels VP01], jenen „Murat Cem“, | |
den Abu Walaa – zu Recht – als Spion im Verdacht hatte. VP01 konnt im | |
Prozess aber nicht als Zeuge befragt werden, das Innenministerium in NRW | |
hat ihm keine Aussagegenehmigung erteilt. Lediglich die zuständigen Beamten | |
der nordrhein-westfälischen Polizei sagten als Zeugen aus. Wichtig vor | |
allem aber ist die Aussage des Kronzeugen Anil O., der nach eigenen Angaben | |
selbst von dem Netzwerk nach Syrien geschleust wurde. | |
O. ist inzwischen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung | |
verurteilt worden – allerdings nur zu einer Bewährungsstrafe. Seine Aussage | |
gegen Abu Walaa und das Netzwerk haben sich positiv ausgewirkt. O. ist im | |
Zeugenschutzprogramm, vor Gericht trat er deshalb maskiert auf. | |
Entscheidend für das Urteil wird unter anderem sein, für wie glaubhaft das | |
Gericht die Aussage von Anil O. hält. | |
Abu Walaas Verteidiger, der Bonner Rechtsanwalt Peter Krieger, stellt O. | |
als Lügner da. „Er hat den Behörden das erzählt, was sie hören wollten, um | |
Strafmilderung zu bekommen“, sagte Krieger der taz. Krieger [3][hat auf | |
Freispruch plädiert]. Abu Walaa selbst hat den ganzen Prozess über | |
geschwiegen. Auch das letzte Wort, das allen Angeklagten vor der | |
Urteilsverkündung zusteht, schlug er aus. | |
23 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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