# taz.de -- Monchi von Feine Sahne Fischfilet: „Die Sucht ist stärker als ic… | |
> Der Frontmann der Punkrockband Feine Sahne Fischfilet wog 182 Kilo. Nun | |
> hat Monchi ein Buch über seine Essstörung veröffentlicht. | |
Bild: Monchi von Feine Sahne Fischfilet verlor rund ein Drittel seines Körperg… | |
taz: Monchi, wer [1][deine Karriere bei Feine Sahne Fischfilet] etwas | |
verfolgt hat, weiß, dass du bei Konzerten zwar gerne mal auf deinem nackten | |
Bauch trommelst, aber ihn sonst öffentlich wenig thematisiert. Wie ist es, | |
jetzt ständig über seinen Körper zu sprechen? | |
Monchi: Komisch ist es manchmal schon, aber ich muss mich nicht wundern, | |
schließlich habe ich ein Buch darüber geschrieben. Wenn es in Interviews | |
allerdings zu sehr in die Fitness-Guru-Richtung geht, dann reagiere ich | |
allergisch. Und wenn ich vor Journalisten Workouts machen soll, dann sag | |
ich schon, dass mir das jetzt zu dumm ist. | |
Du hast 60 Kilo abgenommen, auch mithilfe von regelmäßigem Sport und | |
Intervallfasten. Dein Buch ist jedoch kein Ratgeber, sondern eine | |
persönliche Reflexion, wie du so dick geworden bist. Warum wolltest du | |
diese Reflexion mit der Öffentlichkeit teilen? | |
Mit 32 Jahren war ich in meinem Leben an einem Punkt, an dem ich das Gefühl | |
hatte, ich könnte auf der Stelle tot umfallen und hätte genug für zwei | |
Leben gelebt. Und in manchen Situationen hatte ich das Gefühl, ich kann mit | |
niemandem mehr quatschen, ohne vorher zwei Stunden zu erklären, was bei mir | |
so Sache ist. Eine Freundin hat mir dann geraten, meine Gedanken | |
aufzuschreiben, und das habe ich dann auch gemacht. Manchmal einfach nur | |
Stichpunkte, manchmal längere Sätze, manchmal auch längere Gedanken. Und | |
irgendwann habe ich mir notiert, dass ich 182 Kilogramm wiege, und mich | |
gefragt, wie das sein kann. Und nach einiger Zeit dachte ich, aus meinen | |
persönlichen Notizen könnte etwas entstehen, was tiefer geht als: Guck mal, | |
ich hab ein bisschen Sport gemacht und meine Ernährung umgestellt. | |
Im Buch diagnostizierst du dir [2][eine Essstörung]. Du beschreibst einmal | |
eindrücklich, wie du zum Snackskaufen absichtlich nicht zu deinem | |
Stammsupermarkt gehst, weil es dir unangenehm wäre. Eine Erzählung, die an | |
die alkoholsüchtiger Menschen erinnert. War diese Situation für dich ein | |
Moment, in dem du gemerkt hast, dass du ein Problem mit Ernährung hast? | |
In dem Moment habe ich das überhaupt nicht gecheckt. Dass ich eine | |
Essstörung habe, habe ich viel später gemerkt. Dafür gab es kein | |
Erweckungserlebnis, sondern das kam nach und nach. Und das Buch ist für | |
mich erst der Anfang. Der Beginn meiner Reflexion über mein Leben. | |
Manchmal, wenn ich jetzt Szenen daraus vorlese, werde ich richtig | |
emotional. Wie die, wo ich nicht mit den Kindern meiner Ex-Freundin | |
Trampolin springen kann, weil ich dafür zu dick war, und danach trotzdem | |
weitergefressen habe. | |
Als du dich mit einem dir bekannten dicken Teenager getroffen hast, fragst | |
du dich, ob du ein schlechtes Vorbild für ihn warst. Möchtest du mit deinem | |
Buch eine Vorbildfunktion einnehmen? | |
Ich glaube, das steht mir nicht. Während ich abgenommen habe, habe ich auch | |
meine Eltern und meine Freunde gefragt: Warum habt ihr denn nie was gesagt? | |
Und eine der Antworten war: Weil du dann noch mehr gefressen hättest. Und | |
das Bittere ist, dass sie total recht damit haben. Immer wenn mir jemand | |
Tipps gegeben hat, dachte ich: Scheiß drauf, ich mach genau das Gegenteil | |
davon. Ich wollte kein Motivationsbuch schreiben, sondern selbst | |
herausfinden, warum ich so fett geworden bin. Ich will kein Vorbild für | |
jemanden sein, aber kann es natürlich auch nicht verhindern, wenn es so | |
ist. | |
Wie waren bislang die Reaktionen auf dein Abnehmen? | |
Da war alles dabei: Ganz viel Freude und Lob. Aber es passiert auch, dass | |
dicke Menschen vor mir stehen und sagen: Ey, bitte nimm nicht noch mehr ab. | |
Das ist natürlich hammerhart und muss mir bis zu einem gewissen Grad | |
scheißegal sein. Mir geht es schließlich nicht um einen Schönheitskult. Ich | |
habe mir kein Sixpack operieren lassen, sondern kämpfe tagtäglich mit dem | |
Jo-Jo-Effekt. In meinem Kopf bin ich den 150 Kilo näher als den 100 Kilo. | |
Dann ist es doch ein Witz, wenn Menschen mich jetzt als Fitnessjunkie | |
darstellen. Ich bin halt süchtig, und mir das einzugestehen war | |
superschwer. Ich habe mich immer als harten Typen gesehen, doch die Sucht | |
ist stärker. Ich war nicht dick, weil ich ein bisschen zu viel gegessen und | |
zu wenig Sport gemacht habe. Gegessen habe ich aus vielen Gründen, am | |
seltensten, weil ich Hunger hatte. | |
Deswegen auch dein kritisches Urteil zu [3][Body Positivity]? | |
Was mich tierisch nervt, ist, wenn Menschen – vor allem schlanke – zu mir | |
kommen und sagen: Warum nimmst du ab? Du hast doch immer gesagt, dass du | |
dich magst. Doch darum geht es bei mir nicht. Es geht darum, dass ich mir | |
wieder den Arsch abwischen möchte und Klobrillen nicht zerbrechen, wenn ich | |
mich darauf setze. Es geht darum, dass ich nicht in ein oder zwei Jahren | |
einen Herzinfarkt bekomme. Wenn jemand Selbstbewusstsein aus Body | |
Positivity ziehen kann, freut mich das. Aber wenn jemand sagt, ich soll | |
fett bleiben und meinen Körper einfach lieben, wie er ist, dann hört es für | |
mich auf. | |
Du beschreibst berührend, wie sehr du dich freust, wieder Hosen kaufen zu | |
können, oder wie furchtbar es immer war zu fliegen, weil du Angst hattest, | |
nicht in den Sitz zu passen. Dinge, die man ändern könnte, um dicken | |
Menschen den Alltag zu erleichtern. | |
Auf jeden Fall. Aber ich höre immer wieder: Du musst jetzt auch für | |
breitere Stühle oder Stühle ohne Armlehnen kämpfen! Aber ich bin nicht der | |
Vorkämpfer der Dicken. Ich freue mich, wenn es Verbesserungen gibt. Doch | |
ich war an einem Punkt, an dem meine Schenkel nach Konzerten geblutet haben | |
und ich nach zehn Treppenstufen gekeucht und geschwitzt habe. Flugsitze | |
könnte man breiter, Klobrillen stabiler bauen, aber auch dann hätte ich mir | |
nicht mehr alleine den Arsch abwischen können. Das heißt nicht, dass ich | |
mir nicht für alle dicken Menschen wünsche, dass sie auch stabile Stühle | |
und geile Klamotten haben sollen. Doch ich selbst kann mir nie wieder | |
einreden, dass es egal ist, ob ich 180 oder 120 Kilo wiege. Man kann sich | |
immer einreden, die Gesellschaft sei an allem schuld, aber manche Dinge | |
kannst du nur alleine ändern. | |
Gibt es Dinge, die unterstützen können? | |
Mittlerweile weiß ich, dass es Gruppen für Menschen mit Essstörung gibt. | |
Das ist toll. Ich dachte immer: So pervers wie ich frisst keiner. Und das | |
stimmt natürlich nicht. Ich glaube einfach, dass es absurd ist, dass du dir | |
an jeder Ecke was zu fressen kaufen kannst und gleichzeitig ein krasser | |
Gesundheitswahn herrscht. Eine gute Ernährungsberatung für alle, die es | |
brauchen, wäre schon mal etwas. Bis vor zwei oder drei Jahren hätte ich | |
nicht mal sagen können, was Kalorien sind. Früher hab ich auch mal 7.500 | |
Kalorien am Tag zu mir genommen, das Drei- oder Vierfache von dem, was ein | |
Körper braucht. Mir war lange nicht bewusst, dass das nichts mehr mit | |
Hunger, sondern mehr mit Selbstzerstörung zu tun hat. | |
Seit Jahren wirst du als Sänger einer antifaschistischen Punkband [4][von | |
rechts angefeindet], erhältst Morddrohungen. Hast du Angst, dass du in | |
deinem Buch zu viel Persönliches geteilt hast? | |
Es gibt viele Momente im Buch, die sehr intim sind, und mir ist klar, dass | |
Menschen das ausnutzen werden. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass es das | |
Persönliche ist, was das Buch schlussendlich gut macht. Kommentare im | |
Internet haben mich früher völlig abgefuckt. Die versuche ich jetzt gar | |
nicht mehr zu lesen. Aber das Wissen, dass jeder, der dich halbwegs scheiße | |
findet, dich auch auf der Straße erkennen würde, ist schon gruselig. | |
In deinem Buch formulierst du zwei Wünsche: Trampolinspringen mit den | |
Kindern deiner Ex-Freundin und Paragliding. Ersteres hast du erfüllt, das | |
Zweite soll noch stattfinden. Als dritten Wunsch lese ich heraus: Einmal | |
zwischen 20 Leuten sitzen, die snacken, und du schaust tiefenentspannt zu. | |
Ist es schon so weit? | |
Überhaupt nicht. Bei zehn Versuchungen werde ich achtmal schwach, und das | |
ist eine wirklich schlechte Quote. An Tagen wie heute im Proberaum habe ich | |
mich eigentlich gut ernährt, und dann steht da auf einmal | |
Schokoladenpudding und ich würde am liebsten gleich zehn Portionen davon | |
essen. Ich werde dann wie eine Ratte und denk nur: Pudding, Pudding, | |
Pudding. Im Sommer wollen wir auch wieder Konzerte spielen und ich habe | |
einerseits richtig Bock darauf. Aber: Raststättenessen, Buffets, Alkohol. | |
Früher hätte ich mich darauf gefreut, jetzt macht es mir Angst. Hoffentlich | |
macht es mich nicht wieder so megafett. | |
20 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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