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# taz.de -- Mögliche Koalition aus CDU, SPD und FDP: „Denk ich an Deutschlan…
> Kommt es nach der Wahl in Berlin zu einem „Deutschlandbündnis“? Der Weg
> dahin ist hürdenreich – aber nicht ausgeschlossen.
Bild: Bitte recht freundlich: Franziska Giffey und Kai Wegner
Berlin taz | Ein Gespenst geht um in der Stadt, das Gespenst einer
konservativen Koalition. Keine zwei Wochen vor der Wiederholungswahl mehren
sich die Anzeichen dafür, dass nach dem 12. Februar ein Senat aus CDU, SPD
und FDP die Stadt regieren könnte. Diese „Deutschland-Koalition“ wäre eine
Premiere für Berlin und stünde für einen radikalen Politikwechsel. Die CDU
wäre nach sieben Jahren Abstinenz zurück in der Regierung, die FDP gar das
erste Mal seit 1989.
Gleich mehrere Faktoren sprechen dafür, dass es dazu kommt. Zunächst die
Wahlprognosen: In sämtlichen [1][Umfragen] liegt die CDU mit mehreren
Prozentpunkten vor Grünen und SPD und dürfte bei einem Erfolg alles daran
setzen, auch den Regierenden Bürgermeister zu stellen. Weil es für eine
Zweierkoalition nicht reichen wird – und die Differenzen mit den Grünen
unüberbrückbar scheinen –, bleibt ihr als Machtoption einzig das Bündnis
mit Rot und Gelb. Dafür wäre die Truppe um Parteichef [2][Kai Wegner] auch
bereit, große Kompromisse einzugehen.
Wackelkandidat ist die SPD. Nur wenn sie bei der Wahl wieder vor den Grünen
landet, kann die bisherige Mitte-links-Koalition ohne große Turbulenzen
fortgeführt werden, [3][auch gegen den Wahlsieger CDU]. In diesem Fall
dürfte es fast unmöglich sein, auf einem SPD-Parteitag ein anderes Bündnis
durchzusetzen, heißt es aus der Partei. Die SPD-Basis, die noch im
vergangenen Juni für die Vergesellschaftung und gegen den Weiterbau der
A100 stimmte, wird nicht ohne Not einen Rechtsschwenk vollziehen.
Reicht es für die Sozialdemokraten hingegen nur für Platz drei auch hinter
den Grünen, ist ihr Führungsanspruch passé. Der SPD bliebe die Wahl, ob sie
unter der Grünen Bettina Jarasch oder unter Kai Wegner in eine Koalition
eintritt. Zumindest Franziska Giffey bemühte sich zuletzt redlich, die
Option auf ein rechtes Bündnis offen zu halten. Koalitionsaussagen
vermeidet sie strikt, an Kritik an ihren bisherigen Partnern spart sie
hingegen nicht. „Es gibt in dieser Koalition an zentralen Punkten sehr
unterschiedliche Auffassungen darüber, was der beste Weg für diese Stadt
ist“, so ihre jüngste Aussage im Tagesspiegel.
## Rot-grün-rote Differenzen
Wohnungspolitik, [4][Enteignungen], Verwaltungsreform sowie Verkehrs- und
Klimapolitik – die Liste der Differenzen zwischen den derzeitigen
Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke ist tatsächlich lang. Viele der
Streitpunkte sind derzeit auf Eis gelegt, kämen aber bei neuerlichen
Koalitionsverhandlungen wieder auf den Tisch. Dass Giffey sich eine andere
Option offenhält, ist da aus machtpolitischen Erwägungen logisch. Und weil
sie für diese die FDP braucht, bezeichnete sie deren Wiedereinzug ins
Parlament als „elementar“.
Prominentestes Beispiel für eine größere Nähe von Giffey und Co zu FDP und
CDU ist die wieder viel diskutierte Umsetzung des
Enteignen-Volksentscheids. Giffey und ihr Bausenator Andreas Geisel lehnen
entgegen der Parteilinie die Vergesellschaftung ab, Giffey bemühte dafür
sogar ihr [5][„Gewissen“]. Ob die beiden mit einem weiteren
Formelkompromiss Linke und Grüne zufrieden stellen könnten, ohne selbst das
Gesicht zu verlieren, steht in den Sternen.
Leichter dürfte es zumindest dem sozialdemokratischen Spitzenpersonal
fallen, mit CDU und FDP die Frage und damit den Volksentscheid politisch zu
beerdigen. Der Empfehlung der vom Senat eingesetzten Expertenkommission
würde dann – mit Verweis auf verbliebene rechtliche Bedenken – eben kein
Vergesellschaftungsgesetz folgen. Die gemeinsame Alternative wäre klar: Im
Bündnis mit der privaten Wohnungswirtschaft auf möglichst viel Neubau
hoffen. Zugleich hat CDU-Chef Wegner mieter*innenfreundliche
Zugeständnisse angeboten.
## Konservative Sozialdemokratie
Auch in anderen politischen Themen dürfte man sich mit Konservativen und
Liberalen einig werden. Ein radikaler Schwenk in der Verkehrspolitik mit
der deutlichen Einschränkung des Autoverkehrs wäre vom Tisch. Nicht ganz
konfliktfrei liefe die Frage nach der A100-Verlängerung, die auch die
SPD-Spitze inzwischen ablehnt. Ein Formelkompromiss, der auf die
Zuständigkeit des Bundes verweist, ließe sich aber finden.
In der Innenpolitik könnten die drei Parteien die Zügel anziehen. In der
Verlängerung des Präventivgewahrsams und bei der flächendeckenden
Einführung von Tasern und Bodycams ist man sich einig. Finanzpolitisch
würde man auf die Einhaltung der Schuldenbremse und eine stärkere
Begrenzung von (Sozial-)Ausgaben setzen.
Die große Frage aber bleibt: Würde die SPD diesen politischen Schwenk ihrer
Führung mitmachen? Giffey ist zwar Co-Landeschefin, in der Parteibasis wird
sie aber eher toleriert als akzeptiert.
Auf dem [6][legendären Parteitag im Juni 2022] verlor sie nicht nur in
zentralen inhaltlichen Punkten, sondern erhielt auch bei ihrer Wiederwahl
eine Klatsche: miserable 59 Prozent. Seitdem haben sich Giffey und die
Basis wieder angenähert, heißt es aus der Partei; man habe viel miteinander
gesprochen. Dennoch stünde vor einer schwarz-rot-gelben Koalition
mindestens ein, wahrscheinlich zwei kontroverse SPD-Parteitage mit offenem
Ausgang.
Eine Liebesheirat wäre eine Deutschland-Koalition nicht, die SPD wäre eher
aus staatspolitischer Verantwortung dabei und müsste dafür die aktuell in
der Partei verbreitete Abneigung gegen Koalitionen mit der CDU überwinden:
Die Jahre unter Kanzlerin Angela Merkel wirken genauso nach wie die
Erinnerung an das Bündnis in Berlin mit der inhaltlich und personell
ausgetrockneten CDU unter Parteichef Frank Henkel von 2011 bis 2016, als
beide Partner den Stillstand lediglich verwalteten statt zu regieren. Zudem
bedeutete ein Bündnis mit CDU und FDP, etwa wenn es um Entscheidungen im
Bundesrat geht, dass man plötzlich zum Gegner der Bundesregierung würde.
Für ein „Weiter so – egal wie“ der bisherigen Koalition spricht zudem der
Zeitfaktor. Monatelange Koalitionsverhandlungen kann sich die Landespolitik
eigentlich nicht leisten in der aktuellen Krisensituation. Genau das stünde
aber an, bevor SPD, CDU und FDP zusammenarbeiten können. Dreierbündnisse
wollen – das zeigt die Erfahrung – gut vorbereitet sein. Berlin wäre dann,
gemessen von der heißen Wahlkampfphase ab Januar bis in den Sommer,
praktisch regierungslos.
31 Jan 2023
## LINKS
[1] /Wahlumfragen-in-Berlin/!5909994
[2] /Kai-Wegner-CDU-zur-Wahlwiederholung/!5911539
[3] /Wahlwiederholung-in-Berlin/!5907658
[4] /Debatte-um-Enteignungen-in-Berlin/!5908087
[5] /Wohnungspolitik-der-Berliner-SPD/!5910042
[6] /Landesparteitag-in-Berlin/!5859313
## AUTOREN
Erik Peter
Bert Schulz
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