# taz.de -- Menschenrechte in Afghanistan: Taliban gegen Geburtenkontrolle | |
> In Kabul und im Norden Afghanistans ist der Verkauf von Verhütungsmitteln | |
> nun untersagt. Ein offizielles Verbot der Taliban gibt es aber bisher | |
> nicht. | |
Bild: Die neue Normalität unter den Taliban: eine Frau mit Burka in Kabul im N… | |
BERLIN taz | Die in Afghanistan herrschenden Taliban scheinen nun für | |
Frauen auch den Zugang zu Kontrazeptiva einschränken zu wollen. Das geht | |
aus einem Bericht der [1][von afghanischen Frauen betriebenen | |
Nachrichtenseite Rukhshana] hervor. Demzufolge hätten Taliban in der | |
Hauptstadt Kabul sowie in der nordafghanischen Metropole Masar-i-Scharif | |
den Kauf und Verkauf von Schwangerschaftsverhütungsmitteln untersagt, hieß | |
es am Donnerstag. | |
In beiden Städten hätten Taliban Arzneimittelhändler angewiesen, „den | |
Verkauf von Tabletten, Ampullen und anderen Verhütungsmitteln zu | |
unterlassen“. Händler sowie Hebammen bestätigten gegenüber Rukhshana, dass | |
die Taliban etwa drei Wochen zuvor den Import und die Ausgabe von | |
Kontrazeptiva jeder Art verboten hätten. Bei mindestens einem Kabuler | |
Großhändler sei es zu Beschlagnahmen gekommen. | |
Die Webseite zitierte mehrere Frauen, die angaben, dass Hebammen sich | |
geweigert hätten, ihnen Kontrazeptiva zu geben. Eine Kabulerin namens | |
Chadidscha berichtete, die Hebamme, die sie regelmäßig konsultiert hatte, | |
habe ihr gesagt, die Taliban hätten angeordnet, dass keine hormonellen | |
Verhütungsmittel mehr verabreicht werden dürften. | |
Eine weitere Frau aus der afghanischen Hauptstadt sowie ein Ehepaar aus | |
Masar-i-Scharif hätten bestätigt, dass viele Apotheken keine | |
Verhütungsmittel mehr führten, weil ihnen von Taliban gesagt worden sei, | |
der Verkauf sei untersagt. Wo sie unter dem Ladentisch oder von Ärzten | |
privat weiter angeboten würden, habe sich der Preis verdoppelt. | |
## Unklar, welche Behörde die Anordnung erließ | |
Laut taz-Informationen wurde in einem Distrikt nahe Masar einer | |
Hilfsorganisation die Ausgabe von Kontrazeptiva verboten, aber es war | |
unklar, ob das von den Taliban oder örtlichen Kreisen ausging. | |
Aufgrund sozial wie religiös bedingter mangelhafter Aufklärung zur | |
Schwangerschaftsvorbeugung kommen viele Afghaninnen [2][erst bei der Geburt | |
mit dieser Möglichkeit in Berührung]. Hebammen sind so eine der | |
Hauptquellen für Kontrazeptiva. | |
Einer der Großhändler erzählte Rukhshana, dass nur „alle Arten | |
Kontrazeptiva, die Frauen verwenden, verboten sind“. Kondome seien also | |
ausgenommen. | |
Es blieb unklar, welche Taliban-Behörde die Anordnung erlassen hat. | |
Begründet wurde sie gegenüber Händlern und Hebammen mit dem Argument, die | |
Anwendung solcher Mittel sei „haram“ – aus religiösen Gründen verboten.… | |
schriftliches Verbot liegt bisher nicht vor. | |
## „Nur in Ausnahmefällen“ erlaubt | |
Eine der raren offiziellen Stellungnahmen der Taliban zum Thema stammt aus | |
dem Jahr 2009, von ihren damaligen Sprecher Kari Jusuf Ahmadi. Er sagte der | |
humanitären Nachrichtenagentur Irin, dass Kontrazeptiva „nur in | |
Ausnahmefällen“ und Kondome nur „auf Anweisung eines Arztes zur | |
Verhinderung der Verbreitung von Krankheiten“ verwendet werden sollten. | |
„Kondome sind schlecht“, sagte er, da sie „Obszönität unter den Moslems | |
verbreiten. Generell sollen Verhütungsmittel nicht dazu dienen, Geburten zu | |
verhindern, denn der Islam spricht sich für mehr muslimische Kinder aus und | |
bittet Paare, so viele Kinder wie möglich zur Welt zu bringen“. | |
[3][Laut dem Weltbevölkerungsfonds] der Vereinten Nationen sterben in | |
Afghanistan 638 von 100.000 Frauen bei der Geburt. In keinem asiatischen | |
Land ist diese Zahl höher. Im Jahr 2001 – als die Taliban zuletzt an der | |
Macht waren – betrug die Rate sogar 1.390 Tode pro 100.000 Geburten. Die | |
Geburtenrate liegt bei durchschnittlich 6,3 Kindern pro Frau, jedes zehnte | |
Kind wurde von einer Unter-18-Jährigen geboren. | |
Die Vorgängerregierung hatte mit internationaler Unterstützung versucht, | |
die Müttersterblichkeit und das rasante Bevölkerungswachstum durch | |
erweiterte Beratungsangebote und kostenlose Vergabe von Verhütungsmitteln | |
einzudämmen. Die Akzeptanz für moderne Kontrazeptiva war in dieser Zeit | |
gewachsen. Laut UN verwendeten 2014 23 Prozent der verheirateten Frauen | |
solche Methoden; 2003 waren es noch 10 Prozent gewesen. | |
Allerdings gab es auch [4][Widerstand] aus regierungsnahen religiösen | |
Kreisen. Reuters zitierte 2011 einen Professor für islamisches Recht an der | |
Universität Kabul mit den Worten, es sei „nicht an uns (Menschen), die | |
Reproduktion von Kindern zu kontrollieren“. Er sprach sich auch gegen | |
Abtreibungen aus: „Der heilige Koran sagt uns, keine Kinder zu töten.“ | |
US-finanzierte Familienplanungsprojekte mussten eingestellt werden, nachdem | |
die Trump-Regierung ab 2017 UN-Organisationen und ab 2019 nichtstaatliche | |
Hilfswerke im Ausland nicht mehr förderte, die solche anboten. | |
Das Gesundheitsministerium der Vorgängerregierung konnte sein Personal, | |
darunter Ärzte an staatlichen Kliniken, nicht anweisen, Kontrazeptiva oder | |
Sterilisation anzubieten, da die soziale Akzeptanz begrenzt war. Auch viele | |
Ärzte sind der Ansicht, erst nach mehreren Geburten sollte, wenn überhaupt, | |
verhütet werden. Meist war die Zustimmung des Ehemanns notwendig. Taliban | |
bedrohten Geistliche, die Familienplanungsprogramme der Regierung | |
unterstützten. Ein Schwangerschaftsabbruch war laut Gesetz nur bei | |
Lebensgefahr für die Mutter zugelassen. Ansonsten drohten dafür bis zu fünf | |
Jahre Haft. | |
13 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://rukhshana.com/en/taliban-have-banned-the-sale-of-contraceptives | |
[2] https://www.reuters.com/article/health-us-afghanistan-birthcontrol-idUKTRE7… | |
[3] https://twitter.com/UNFPAAfg/status/1559782157081616385?s=20&t=9bVMbIW8… | |
[4] https://www.unfpa.org/news/acceptance-family-planning-grows-afghanistan-myt… | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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