| # taz.de -- Medizin, Handel & Krieg: Vom Untergang des Opiums | |
| > Während des 19. Jahrhunderts ist Opium ein Importgut. In Verruf gerät es, | |
| > weil die Entdeckung eines Einbecker Apothekers und die neue Kanüle | |
| > aufeinandertreffen. | |
| Bild: Naturprodukt: Opiumanbau in Afghanistan. | |
| BREMEN taz | Außerhalb, schon einen guten Kilometer östlich vom üppigen | |
| Fachwerk-Marktplatz der Bier-Stadt Einbeck findet sich eine kleine, eher | |
| unscheinbare Kapelle aus Buntsandstein. Sie ist kurz nach 1400 erbaut | |
| worden, als Teil des längst verschwundenen Aussätzigen- und Armenspitals, | |
| und offiziell ist sie dem Heiligen Bartholomäus geweiht, was inhaltlich | |
| nahe liegt, weil der gegen Haut- und Nervenkrankheiten sowie Dämonen hilft. | |
| Im Ort allerdings nennen sie die Leute meistens Sertürner-Kapelle. | |
| Denn in einer kleinen später an der Nordseite angebauten Nische ist der | |
| 1841 in Hameln gestorbene Friedrich Wilhelm Sertürner begraben: In Einbeck | |
| hatte er 1808 seine erste eigene Apotheke. Berühmt ist Sertürner, weil er | |
| im Jahr 1804 eine Entdeckung gemacht hat. Eine segensreiche, sagen einige, | |
| aber darauf lässt sie sich nicht beschränken: Zunächst ziemlich nutzlos | |
| entfaltet sie 60 Jahre später eine verheerende Wirkung – und letztlich | |
| sorgt sie dafür, dass ein ganzer Zweig des Welthandels Anfang des 20. | |
| Jahrhunderts zugrunde geht, nämlich: der Opiumhandel. | |
| Sertürner, 1783 in Neuhaus bei Paderborn geboren, genialer Autodidakt und | |
| großartige Figur, hätte das wahrscheinlich gar nicht gut gefunden: Er war | |
| nämlich Opium-Fan. Viel spricht dafür, dass er ein Anhänger des | |
| Brownianismus war, nach dem Schotten John Brown: Fast die gesamte | |
| romantische Intelligenz hängt dieser Theorie nach, Coleridge, Byron, | |
| Schlegel, Schelling. Sie besteht darin, letztlich jede Krankheit auf eine | |
| abnorme „excitability“ zurückführen, auf eine zu große oder zu geringe | |
| Erregbarkeit, Sthenie, Asthenie, also Vollkraft oder Kraftlosigkeit. Die | |
| ist physiologisch bedingt – was das Modell in Konkurrenz treten lässt zum | |
| seinerzeit fast ebenso populären Mesmerismus, der Heilung mit Magneten. | |
| Regulierbar ist die „excitability“ durch Frischluft, Bäder – und Opium. … | |
| erlangt in dieser Medizin-Schule fast schon den Status eines | |
| Allheilmittels. Und deshalb wird sich Apotheker-Lehrling Sertürner wohl | |
| 1804 drangemacht haben, den Opiumsaft in seine Bestandteile zu zerlegen. | |
| Ein Filtrat, das er dabei erhält, ist ein gräuliches Pulver, das „zwischen | |
| den Zähnen knirschte, einen spezifischen Geschmack hatte und | |
| Unbehaglichkeit bewirkte“. Er erweist sich als „ganz eigener Stoff“, der | |
| sich nicht in Wasser lösen lässt, aber in Essigsäure. Wenn man ihn dem Hund | |
| verabreicht, schläft der ein. Gibt man ihm die anderen Opium-Bestandteile, | |
| bleibt er wach. Kein Zweifel: Sertürner hat den Wirkstoff isoliert. Morphin | |
| heißt er heute. Morphium nennt Sertürner ihn, nach Morpheus, dem Gott | |
| gnädiger Träume und einem der Söhne des Schlafes. | |
| Sertürners Entdeckung ist damals fast vollkommen nutzlos: Die Spritze ist | |
| noch nicht erfunden. Das heißt: Sie existiert – aber nur als Klistier. | |
| Medizinische Wirkstoffe subkutan zu verabreichen oder gar in den | |
| Blutkreislauf einzuspeisen, ist damals nur auf dem Wege eines chirurgischen | |
| Eingriffs möglich. Venen auf, rein damit.Tut dummerweise sehr weh – und | |
| eine vernünftige Anästhesie ist nicht möglich. Siehe oben. | |
| Morphin aber, oral verabreicht, ist weniger wirksam, selbst als inhalierter | |
| Opiumrauch, geschweige denn als durch die Verdauungssäfte aufgeschlossenes | |
| Rohopium. | |
| Das spielt bei der medizinischen Diskussion um seinen Einsatz immer wieder | |
| eine Rolle: So schwören die Bremer Hermann und Friedrich Engelken, die und | |
| deren gleichnamigen Söhne, Enkel und Urenkel seit Beginn des 19. | |
| Jahrhunderts zwei Privatkliniken für Gemütskranke betreiben, die eine in | |
| Rockwinkel, die andere auf Gut Hodenberg zu Oberneuland, auf das von ihrem | |
| 1744 in ärmlichen Verhältnissen geborenen Stammvater Friedrich aus Java | |
| mitgebrachte Pülverchen: Durchaus beachtliche Gaben von bis zu 16 Gran | |
| haben, versichern sie auf mit viel Anteilnahme verfolgten Vorträgen auf | |
| Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie oder jener der | |
| deutschen Naturforscher und Ärzte, viele ihrer nervösen Patienten zu | |
| glücklichen Menschen gemacht, wenigstens sobald man das Problem mit der | |
| Obstipation im Griff hat, aber dafür gibt’s ja Rizinusöl. | |
| ## "Keine Contraindicationen" | |
| Vor allem für junge Mütter ist Opium gut: Während bei der | |
| Wochenbettpsychose weder Laudanum noch das neuartige Morphium helfen, | |
| beseitigt’s ihre Manie und Melancholie. „Nur das Opium ist das einzige | |
| Mittel, das keine Contraindicationen hat“, so Hermann (II) Engelken 1862, | |
| „selbst wenn die Frauen fortstillen müssen, ist es angezeigt“, weil es „… | |
| Stillungsgeschäft nicht behindert“. | |
| Ein Arzt, der das heute verkünden würde, würde wahrscheinlich gelyncht. | |
| Tatsächlich ist Engelkens Lobpreis des natürlichen, unveränderten Opiums | |
| bereits ein Schwanengesang. Und das liegt nur teilweise am Fortschritt des | |
| medizinisch-pharmakologischen Wissens. Die gesellschaftliche Ächtung der | |
| Traditionsdroge Opium erfolgt, weil Alexander Wood 1843 auf die Idee der | |
| Injektionsnadel kommt – angeblich dank eines Wespenstichs. | |
| Bis dahin ist Opium ein völlig normales Handelsgut. Das „Allgemeine Organ | |
| für Handel und Gewerbe und damit verwandte Gegenstände“ berichtet über | |
| Opium, wie es über Wolle und Hopfen berichtet. Weil es auch als | |
| Genussmittel gilt, gibt es selbstverständlich Kontroversen, genau wie es | |
| über Tabak oder Branntwein Kontroversen gibt: Zumal im Zuge des ersten | |
| Opiumkrieges (1839–1841) werden in England selbst Stimmen aus dem Umfeld | |
| der British Temperance Society laut, die den Handel mit und den Konsum von | |
| Opium als unmoralisch verdammen – und deshalb das Vorhaben kritisieren, die | |
| Chinesen mit Militärgewalt und Kanonenbooten dazu zu zwingen, es zu | |
| importieren. Aber auch die Gegenposition ist salonfähig: So argumentiert | |
| ein Dr. Oppenheimer aus Blankenese 1841 in einer Artikelserie im Hamburger | |
| Correspondenten mit einer anthropologischen Konstanten gegen | |
| Prohibitionisten: Bisher, so schreibt er, habe man „noch keine Nation | |
| gefunden, die sich nicht eines Reizmittels bedient hätte“. | |
| ## "Reizmittel" gegen Kummer & Sorgen | |
| Er plädiert daher dafür, dass auch die „von Kummer, Sorgen und Arbeit | |
| niedergedrückte Classe“ eines haben müsse und rät zu „Opium, als dem | |
| billigsten“. Meist aber werden Qualitätsfragen diskutiert: Ein gewisser | |
| Heinrich Hirzel vergleicht das levantinische, über Triest eingeführte mit | |
| dem türkischen Opium, das in Hamburg „in Blechkisten, die 100–110 Pfund | |
| wiegen“ ankommt: „Es besteht aus sorgfältig geformten, kleinen, | |
| scheibenförmigen, 1/2–3/4 Zoll dicken, 3–5 Zoll im Durchmesser haltenden, | |
| 2–6 Unzen schweren in Mohnblätter eingewickelten, trockenen harten Broten | |
| von dunkelbrauner Farbe, mit eingesprengten gelblichen Adern und Flecken“, | |
| weiß er. „Gutes Opium muß trocken und hart sein, unter dem Hammer | |
| zerspringen und einen glänzenden Bruch, schöne, braune Farbe zeigen“, | |
| informiert die „Allgemeine Encyclopaedie für Kaufleute und Fabrikanten“ | |
| 1843. | |
| Der Markt wächst. Die Statistiken weisen eine Einfuhr von 16.169 Pfund via | |
| Hamburg im Jahr 1820 aus, 31.205 Pfund sind es 1836, noch 1913 ist ein | |
| Import von 18.740 Kilogramm via Hamburg belegt, der Wert soll bei 617.900 | |
| Mark gelegen haben. | |
| Da hat der Niedergang des Opium aber längst begonnen: Der Krieg ist der | |
| Vernichter aller Dinge. Im Sezessionskrieg treffen Alexander Woods Kanüle | |
| und Wilhelm Sertürners Morphium aufeinander – und machen die Schmerzen der | |
| Verwundeten erträglich: Arm ab, Bein amputiert, Wundbrand, Auge weg? | |
| Spritze rein! Im Morphiumgebrauch gibt es keinen Unterschied zwischen | |
| Unionists und Konföderierten. Der Krieg produziert eine Million Tote und um | |
| die 400.000 Drogenabhängige. Das muss man, gemessen an einer Einwohnerzahl | |
| von damals 40 Millionen eine Volkskrankheit nennen. Morphinsucht erhält den | |
| Namen: „Soldier’s Disease“, Soldatenkrankheit und sie wird auch von den | |
| europäischen Kriegen ab den 1860er-Jahren verbreitet: Deutsch-Dänisch, | |
| Deutsch-Französisch … | |
| ## "Soldier's Disease" | |
| In Verruf gerät dadurch weder der Krieg noch das Morphinspritzen. Sondern: | |
| das Opium. Ab dem 23. Januar 1912 konferieren deshalb Vertreter aller | |
| größeren Staaten in Den Haag. Die USA sind vertreten, Frankreich, Italien, | |
| Deutschland, Russland, Belgien, man muss doch etwas gegen dieses Problem | |
| unternehmen. Und, ja, die internationale Opium-Konferenz wird zu einem | |
| Ergebnis kommen. „The contracting Powers shall not allow the import and | |
| export of raw opium“, heißt es im ersten Kapitel, das zweite verbietet den | |
| Import und Export von präpariertem Opium. Die Abgabe von medizinischem | |
| Opium, von Heroin, Kokain und Morphin kommen unter strikte staatliche | |
| Kontrolle. Und zum Abschluss wird noch der Ratifizierungsweg festgelegt, | |
| sodass die Emissäre im Bewusstsein unterzeichnen können, etwas für eine | |
| bessere Welt erreicht zu haben, eine friedliche, als sie das | |
| Schlussprotokoll unterzeichnen, am 25. Juni 1914. | |
| 13 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| ## TAGS | |
| Opium | |
| Handel | |
| Bürgerkrieg | |
| Bier | |
| Cannabis | |
| Cannabis | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bier aus Einbeck: Keiner braut allein | |
| Die Einbecker Brauerei braute eines der begehrtesten Biere der Hanse-Zeit. | |
| Die kleine Brauhaus AG muss mit dem großen Erbe umgehen. | |
| Cannabis-Samenhandel: Der deutsche Sonderweg | |
| Die Hamburger Firma Mediseed hat Hanfsamen zum medizinalen Eigenanbau | |
| verkauft. Mittlerweile läuft ein Verfahren gegen die Geschäftsführerin. | |
| Gericht entscheidet über Cannabis: Das verbotene Heilmittel | |
| Dürfen Patienten, die zur Therapie ihrer Leiden Cannabis benötigen, dies | |
| selbst anbauen? Darüber entscheidet am Dienstag das Verwaltungsgericht | |
| Köln. | |
| Freigabe zur Schmerztherapie: Ausnahme für Cannabisblüten | |
| Erstmals dürfen in Deutschland Patienten ein Extrakt aus Cannabisblüten aus | |
| der Apotheke beziehen - zur Schmerzlinderung. |