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# taz.de -- Bier aus Einbeck: Keiner braut allein
> Die Einbecker Brauerei braute eines der begehrtesten Biere der
> Hanse-Zeit. Die kleine Brauhaus AG muss mit dem großen Erbe umgehen.
Bild: Das Herz der Stadt: Die Einbecker Brauerei liegt keine 400 Meter vom Rath…
EINBECK taz | Es ist ein E, keine Frage. E wie Einbeck, logisch, aber
trotzdem: Was macht das in Stein gehauene goldene Fraktur-E mit Krone am
Einbecker Rathaus? Und wieso eine Krone, in einer Hansestadt? Direkt [1][am
Eingang], wo eigentlich das Stadtwappen hingehört, prangt dieses Zeichen.
Mit diesem E, geschnitzt, hat man einst die Fässer geschmückt, die im
Spätmittelalter weltweit geliefert wurden, für gutes Gold. Fässer mit
Einbecker Bier. Das E am Rathaus ist ein Markenzeichen, kein
Hoheitszeichen. Noch heute ziert es Etiketten und Flaschen.
„Das ist hier eine Bierstadt“, hatte Imke Weichert [2][vom Stadtmuseum]
schon am Telefon gesagt, und jetzt schließt Ulrich Meiser von der Brauhaus
AG auch noch das Rathaus auf. Immerhin aber hat er den Schlüssel erst beim
Standesamt holen müssen. „Ich zeig Ihnen mal was“, sagt er. Das Rathaus mit
den markanten Türmen stammt aus dem 16. Jahrhundert, aus der Zeit nach dem
großen Brand, aber das Kellergewölbe ist frühe Gotik.
Kühl weht es heraus und die Augen müssen sich ans Dunkel gewöhnen, in
denen, Fremdkörper, jägergrüne Plastikkisten stehen: Meiser, auf dessen
Visitenkarte außer dem gewichtigen Titel eines Bockbierbotschafters die
lustige Kombination „Leiter Recht / PR / Export“ steht, weil in kleinen
Unternehmen einer immer mehr Aufgaben übernimmt, als anfangs geplant, sagt:
„Wir probieren hier etwas.“
## Das Gerücht vom Old Bock
Die Brauerei will nämlich erkunden, was passiert, wenn man Bockbier unter
optimalen Bedingungen altern lässt. Früher wäre es sauer geworden, aber
seit man es pasteurisiert, kippt es nicht mehr so leicht. Jetzt hofft man,
nein, weiß im Grunde schon, dass eine Nachreifung eintritt, ähnlich wie bei
Weinen oder Bränden.
„Old Bock“ lautet der Arbeitstitel, und ja, nach fünf Jahren Liegezeit
entwickelt das Malz des Winterbiers ein samtig karamelliges Spektrum,
südweinartig, Sherry vielleicht. Ein Produkt für den Delikatessenhandel, in
dem das Gerücht vom Einbecker Gran Riserva schon die Runde macht. „Ich habe
schon Anfragen aus Australien“, sagt Meiser.
Mit Altem Neues machen, so lässt sich das Prinzip und die Herausforderung
der Einbecker Brauerei beschreiben. Denn die muss mit einer Tradition
umgehen, die für einen 130-Mitarbeiter*innen-Betrieb gewaltig scheint.
Vom Hochmittelalter der Hanse bis zum 30-Jährigen Krieg war Norddeutschland
das Zentrum der europäischen Braukunst. Die Hanse ist ein Bündnis, um den
Nord- und Ostseeraum mit Bier zu versorgen plus Hering. Einbeck aber ist
Herzstück der Bierproduktion, mindestens qualitativ.
Es ist das Bier, das die Lübecker Chorherren trinken, wenn’s was zu feiern
gibt – während das heimische dem Pöbel ausgeschenkt wird. Es ist das Bier,
das Fürstenhöfe in rauen Mengen ordern – die älteste Urkunde ist eine
Rechnung von 1378, die der Celler Vogt Brendehe geschrieben hat.
## Aufstand in Braunschweig
Und es ist das Bier, für das man sich schlägt: Im Jahr 1446 kommt es in
Braunschweig zum Aufstand. Die Bürger drohen, im Ratskeller einzudringen
und die Fässer kleinzuschlagen, wenn nicht die Stadtherren, die den Preis
festsetzen, das Einbecker so günstig verkaufen, dass man es sich leisten
kann.
Einbecker ist ein Statussymbol. Ein Herrenleben zu führen, heißt in den
spätmittelalterlichen Städten des Hanseraums dem Hamburger Mediävisten
Stephan Selzer zufolge: „Geld besitzen, in großen Häusern leben, große
Pferde reiten, auch im Alltag in Festtagskleidung erscheinen und Einbecker
Bier trinken“.
Es hat geregnet und der Wind bläst böig aus Ost. Vielleicht liegt deshalb
keine Hefewolke über der Stadt und kein süßlich-lastendes Malzaroma dringt
in alle Poren, obwohl doch die Brauerei nur 400 Meter weg ist vom
Marktplatz. Fast ein wenig irritierend, das Fehlen des Geruchs.
Aber dafür ist die Biertradition ja sonst wahrnehmbar: in der Anlage, in
der Bauweise, an den Es und in allen Winkeln. Die immensen Hoftore der
spätgotischen Fachwerkhäuser etwa, ihre merkwürdigen Dächer mit den
löchrigen Sandstein-Gauben, die es so nur hier gibt, der Kanal, der das
Wasser von der Ilme nach Einbeck abzweigt. Das alles dient dem einen Zweck:
dem Brauen, dem Hopfentrocknen, dem Betrieb von vier Malzmühlen.
## Fassreifen aus Weidenruten
„Das war alles durchorganisiert“, sagt Imke Weichert im Stadtmuseum. Sie
hat ihren Hund mitgebracht. Der heißt Edgar, was ein Glück ist, denn es
gibt ja diese Eulenspiegel-Geschichte, die in Einbeck spielt. Deren Witz
besteht darin, dass der Hund Hopf heißt und er daher vom lustigen Gesellen
statt des Hopfens gekocht wird, bei lebendigem Leib. Heute lacht man
anders.
Der Spaniel weiß davon nichts. Er hat sich friedlich vors Fass gelegt. Es
ist das Prunkstück der Sammlung, das älteste erhaltene Deutschlands, mit
Fassreifen aus Weidenruten. „Aber die wurden erneuert“, so Weichert. Die
Dauben sind komplett original. Ein E hat es nicht. Wie könnte es: Es ist
ein Irrläufer des damaligen Recyclingsystems.
Das Bier ging nach Stockholm, Innsbruck, Uppsala oder ins heutige Tallinn.
Die leeren Fässer aber wurden, weil teuer, zurückgeholt, erklärt Weichert.
„Das hier ist ein Braunschweiger Fass, das der Kutscher offenbar
versehentlich nach Einbeck verfrachtet hat.“ Dort hat es dann jemand privat
genutzt. „Es ist eingegraben worden und hat als Kloake gedient“, sagt
Weichert.
## Kommunaler Eigenbetrieb
Zu einem Konzern gehörte die Brauerei nie, auch wenn’s mal knapp davor war,
wie in den 90ern, als viele Brauereien aufgekauft wurden. „Wir sind nur
wir“, sagt Meiser. Die geringe Größe: für ihn ein Vorteil, denn „da fäl…
es leichter, mal was auszuprobieren“.
Man hat gerade das erste Bier-Mixgetränk ohne Alkohol und ohne
Zuckerzusätze gelauncht: „Das hat sonst keiner“, mit Traubendirektsaft vom
Quasi-Nachbarn Becker’s Bester. Und man hat als eine der ersten
konventionellen Brauereien auf Membran-Filtrierung umgestellt. Während
[3][fast alle Großbrauereien Mikroplastik einsetzen, kann man bei Einbecker
sicher sein, kein Polyvinylpolypyrrolidon] zu trinken.
Ende des 18. Jahrhunderts übertragen die Bürger ihr Braurecht auf die
Stadt, „es wird ein kommunaler Eigenbetrieb“. Seit 1968 gibt es die
Einbecker Brauhaus Aktiengesellschaft, börsennotiert, ein maximal
langweiliges Wertpapier: Das Allzeit-Tief lag bei 8,40 im Jahr 2012,
aktuell steht es 10,50 Euro und im Mai war [4][ein Dreijahres-Hoch von
etwas über elf Euro] erreicht. Die Aktien sind in Streubesitz – in der
Region. Etwas zum Vererben.
## Wasser macht krank
Ein bisschen führt diese Unternehmensform fort, was Einbeck im
Spätmittelalter den Markterfolg eingebracht hatte: Vorsprung durch
Gemeinschaft, der einen Vorsprung durch Technik ermöglicht. Schließlich
braut damals jeder, jeder braucht ja Bier, weil Wasser krank macht.
In Einbeck gibt es zu einer Zeit, in der nicht mehr als 7.000 Menschen in
der Stadt leben, 700 Häuser mit Braurecht. Fest steht, dass die Stadt
irgendwann Braupfannen angeschafft hat, mehrere, und zwar die guten, aus
Kupfer, unbezahlbar für den Einzelnen. Wann das war, weiß niemand. „Von
Alters her“ ist die Angabe, die sich so in den historischen Quellen findet
und „die Archivalien“, sagt Weichert, „sind bei dem großen Brand von 1540
in Flammen aufgegangen“.
Diese großen Kessel, in denen das Malzschrot gekocht wird, damit sich die
Stärke in Maltose verwandelt und sich im Wasser löst, werden von September
bis April reihum zu den Bürgerhäusern transportiert. Dafür sind die
besonders großen Tore da, die das Stadtbild prägen.
## Verbot in Hamburg
Einen Tag darf jeder Haushalt mit der Pfanne arbeiten, nicht länger. Es
muss gehen wie am Schnürchen. Die Reihenfolge wird ausgelost, „alle Jahre,
am Tag Philippi und Jacobi“, also am 1. Mai, und zwar „auf dem Marckplatz,
in Gegenwart etlicher zugeorndeten Raths-Personen, durch ein sonderliches
darzu gebräuchliches Spiel“, schildert ein Bericht von 1739, „damit nieman
dem andern verhinderlich waere“.
Drei Braugänge gibt es. Das erste, würzigste, stärkste, ist für den Verkauf
bestimmt. Den Vertrieb übernimmt die Stadt. Es gibt auch eine Art
Marketing, wobei manchmal die repressiven Maßnahmen der anderen
rückblickend wie Werbung wirken: Zum Beispiel wird in Hamburg an der Stelle
des alten Rathauses das Eimbeck’sche Haus [5][errichtet].
Nur dort, in der Kleinen Johannisstraße, Ecke Dornbusch, wird vom 14. bis
ins 16. Jahrhundert Einbecker ausgeschenkt. Das liegt aber daran, dass der
Senat das Konkurrenzbier überall sonst verbietet. Das Gute ist schwierig zu
bekommen.
„Es kann nicht nur Marketing gewesen sein“, sagt Imke Weichert. „Der Erfo…
muss auch qualitative Gründe gehabt haben.“ Der Hopfenanteil? Die große
Reinheit? Dass es so alkoholhaltig ist?
## Industriespionage aus München
In der Literatur wird vermutet, dass eine untergärige Brauweise entwickelt
wurde – anspruchsvoll, weil eine bestimmte Temperatur dabei nicht
überschritten werden darf, aber plausibel, weil nur im Winterhalbjahr
gebraut wird.
Und, weil die Stadt früh für einen Professionalisierungsschub gesorgt
hatte: Sie schafft zehn volle Stellen für hauptberufliche Braumeister. Die
werden vereidigt, wie Beamte – und müssen schwören, das geheime Bierrezept
Einbecks niemandem zu verraten. „Das ist keine Legende“, betont Imke
Weichert.
Mehrere Jahrhunderte hält das Geheimnis, und es hält die Preise hoch. Zu
hoch: Denn als die bayrischen Herzöge auf Drängen ihrer Finanzberater
anfangen, die teuren Importe infrage zu stellen, beginnt das Monopol zu
bröckeln.
Im Jahr 1612 gelingt es den Wittelsbachern, einen gewissen Elias Pichler
vom Solling ins Alpenvorland zu locken, als neuen Braumeister am neuen
Hofbräuhaus.
Nach zwei Jahren hat er es tatsächlich geschafft, die Einbecker Brauweise
zu kopieren. Der Schaden durch die Produktpiraterie stellt sich unmittelbar
ein: „Da dieses Doppelbier von der gleichen Qualität war wie das echte
Einbecker Bier, wurden die weiteren Bestellungen aus dieser Stadt
sistiert“, heißt es in einer „Geschichte des bayrischen Biers“ von 1879.
Das echte Münchner Bockbier stammt aus Einbeck.
6 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.einbeck.de/index.php#
[2] http://www.stadtmuseum-einbeck.de/
[3] https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Bier-Verwaessertes-Reinheitsgebot,b…
[4] https://www.boerse.de/aktien/Einbecker-Brauhaus-Aktie/DE0006058001
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Eimbecksches_Haus
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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