# taz.de -- Mai-Protest im Hamburger Villenviertel: Anarchie und Umverteilung | |
> Mehrere tausend Menschen demonstrieren in Hamburg am 1. Mai. Die Polizei | |
> stört sich an Mund-Nasen-Masken der falschen Farbe. | |
Bild: Das Bündnis für Umverteilung „Wer hat der gibt“ demonstriert in fei… | |
HAMBURG taz | Inflation und Krieg, Energie und Gesundheit – wie soll die | |
Gesellschaft auf die aktuellen Krisen reagieren? Darauf hat auch Hamburgs | |
linke Szene unterschiedliche Antworten. Am 1. Mai demonstrierten, wie auch | |
in vergangenen Jahren, mehrere tausend Menschen mit unterschiedlichen | |
inhaltlichen Schwerpunkten über die Stadt verteilt. | |
„Wer in Krisen reicher wird, klaut, was anderen gehört!“, schallt es am | |
Mittag aus der Demo des Umverteilungsbündnisses „Wer hat, der gibt“ im | |
Hamburger Nobelviertel Pöseldorf. Knapp 3.000 Teilnehmer*innen haben | |
sich am Eppendorfer Baum getroffen und ziehen [1][vorbei an Luxusläden und | |
Alstervillen]. Das Bündnis „Wer hat, der gibt“ hat sich 2020 als linke | |
Antwort auf die Coronakrise gegründet und mobilisiert seitdem immer wieder | |
in die Stadtteile, in denen von Krise und Inflation sonst wenig zu spüren | |
ist. | |
Die Aktivist*innen fordern eine höhere Besteuerung von Reichtum und | |
Erbschaften, ferner den sozial-ökologischen Umbau des Wirtschaftssystems. | |
Unter dem Motto „Klassensturz statt Kassensturz“ reihen sich auch Klima- | |
und Menschenrechtsaktivist*innen der Seebrücke und von Ende Gelände | |
ein, die Volksinitative Hamburg Enteignet, die Interventionistische Linke, | |
die Linkspartei, ein Queer- und ein revolutionärer Jugendblock sowie die | |
Hedonistische Internationale. | |
## Im Schanzenviertel ist schon lange nichts mehr los | |
Es ist die spektrenübergreifende unter den Hamburger Mai-Demos: Neben | |
feministischen Umzügen jeweils am Vorabend waren die | |
Antiimperialist*innen vom „Roten Aufbau“ jahrelang die einzigen, die | |
in Hamburg eine linksradikale Maidemo organisierten – obwohl sie selbst in | |
der Szene nicht sonderlich beliebt sind. 2019 kamen die Anarchist*innen | |
dazu. Zu Ausschreitungen, wie in früheren Jahren im Schanzenviertel, kam es | |
seit dem G20-Gipfel am Tag der Arbeiter*innen nicht mehr. | |
Im Vorfeld der diesjährigen Maidemos hatte die Polizeisprecherin Sandra | |
Levgrün angekündigt, die Polizei werde den ganzen Tag über [2][mit einem | |
Großaufgebot im Einsatz sein]. Zwei Wasserwerfer und ein Räumpanzer stehen | |
in Pöseldorf und blasen stinkende Abgase in die Luft, ein Hubschrauber | |
filmt von oben das Geschehen. Etwa die halbe Strecke können die | |
Protestierenden laufen, dann stoppt die Polizei den Zug, kesselt den | |
Revolutionären Jugendblock ein: Einige der 450 hier Mitlaufenden tragen | |
Sonnenbrillen und Schlauchtücher. Vermummung gilt in Hamburg im Gegensatz | |
zu vielen anderen Bundesländern als Straftat, weshalb die Polizei die Demo | |
nicht weiter laufen lassen will. | |
Nach einer halben Stunde Verhandlungen nehmen die Demonstrant*innen | |
ihre Schlauchtücher ab und setzen Corona-Schutzmasken auf. Der | |
Einsatzleiter der Polizei ist zufrieden – nicht jedoch sein Chef, der | |
Leiter der Schutzpolizei Matthias Tresp: „Da keine Maskenpflicht aus | |
Infektionsschutzgründen mehr besteht, werten wir das Tragen von | |
Corona-Schutzmasken als Vermummung“, lässt Tresp mitteilen. Auch, dass die | |
Masken schwarz seien und nicht weiß, mache den Charakter der Vermummung | |
aus. Auf das Argument der Demo-Anwält*innen, die Teilnehmer*innen | |
wollten sich vielleicht gegen die Pandemie schützen, schlägt der | |
Einsatzleiter vor, die Abstände zwischen den Protestierenden zu vergrößern | |
– was durch den Polizeikessel schlecht möglich ist. | |
Ein Anwohner im grauen Pullover regt sich auf: „Ich finde es enttäuschend, | |
wie die Polizei es immer wieder schafft, [3][Situationen zu eskalieren]“, | |
sagt er. „Wer sind Sie denn, dass Sie hier die Polizeiarbeit bewerten?“, | |
blafft ihn der Einsatzleiter an. „Sie können ja Ihre Arbeit machen“, sagt | |
der Anwohner, „Sie sollen nur wissen, dass Sie das Bürgertum auf diese | |
Weise verlieren.“ Er finde die Aktion der Polizei „selten dämlich“. | |
## Am Abend: Zwei Demos mit Konfliktpotenzial | |
Nach einer Stunde hat sich der Jugendblock aufgelöst und in der Menge | |
verteilt, einige Teilnehmer*innen tragen jetzt weiße Schutzmasken. Die | |
Demo kann weiter gehen und kommt gegen 16 Uhr am Endpunkt am Dammtor an. | |
Einige Demonstrant*innen ziehen weiter: Am Hauptbahnhof macht sich der | |
antiimperialistische Rote Aufbau bereit, im Norden Hamburgs hat der | |
anarchistische „Schwarz-rote 1.Mai“ mobilisiert. | |
Beide Demos bergen Konfliktpotenzial: Im vergangenen Jahr hatte eine | |
Einheit der Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit der Polizei auf die | |
anarchistische Demo eingeprügelt, als die sich unter einer Brücke befand. | |
„Wir rechnen dieses Jahr mit einem ähnlichen Auftreten der Cops“, hat ein | |
Sprecher des „Schwarz-roten 1. Mai“ vorab der taz gesagt. „Es reicht | |
offenbar, das Maul gegen die Verhältnisse aufzumachen, um provokationslos | |
verprügelt zu werden.“ Man werde sich weder einschüchtern noch auseinander | |
prügeln lassen. | |
1 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Ungleicher-Ausstoss-von-Treibhausgasen/!5922788 | |
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[3] /Kriminologe-ueber-verfehlte-Polizeigewalt/!5925970 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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