# taz.de -- Mafiamorde und Hintermänner: Moralische Zweifel | |
> Nach 25 Jahren wurde der vielfache Mörder Giovanni Brusca aus der Haft | |
> entlassen. Der Killer der Cosa Nostra profitiert von der | |
> Kronzeugenregelung. | |
Bild: Giovanni Brusca bei seiner Festnahme im Jahr 1996 | |
Für viele in Italien ist das eine unglaubliche Nachricht: Giovanni Brusca | |
ist seit Montag wieder auf freiem Fuß. [1][Der 64-Jährige, einer der | |
brutalsten Killer der sizilianischen Mafiageschichte], wurde jetzt nach 25 | |
Jahren Haft entlassen. | |
Brusca gehörte zeitlebens zum Cosa-Nostra-Hochadel. Schon sein Vater | |
kommandierte den Clan in dem kleinen Nest San Giuseppe Jato in der Provinz | |
Palermo, und der Sohn wurde mit 19 Jahren zum Mafioso. | |
Seine Familie hatte sich den richtigen Verbündeten angeschlossen: den | |
Corleonesi unter den Superbossen Totò Riina und Bernardo Provenzano. Die | |
hatten sich seit Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts den Weg an | |
die Spitze der Cosa Nostra freigekämpft, indem sie die alteingesessenen | |
Bosse und deren Gefolgsleute einen nach dem anderen wegschossen. Hunderte | |
Tote forderte dieser Mafiakrieg in Palermo und quer durch Sizilien. | |
Riina durfte sich mit dem Beinamen „la belva“(die Bestie) schmücken, | |
während Giovanni Brusca, einer seiner bewährtesten Mordbuben, im eigenen | |
Verein auf sizilianisch „u verru“ (das Schwein) gerufen wurde. Ihre | |
Bestialität entfesselten die beiden auch in der Eskalation der | |
Auseinandersetzung mit Vertretern des Staats, mit Polizisten, Politikern | |
oder Staatsanwälten. | |
## Giovanni Falcone und Paolo Borsellino | |
Im Jahr 1986 waren mehr als 400 Mafiosi im sogenannten Maxiprozess zu | |
langjährigen Haftstrafen verurteilt worden, oft genug zu lebenslänglich. So | |
etwas hatte es noch nie gegeben – gerade die Bosse wurden bis dato in der | |
Regel „aus Mangel an Beweisen“ freigesprochen. Dieser erste Triumph der | |
Justiz über die Cosa Nostra hatte zwei Namen: Giovanni Falcone und Paolo | |
Borsellino, die beiden Staatsanwälte, die die Anklage vertreten hatten. | |
Einige Jahre später begann Riina seinen Rachefeldzug. [2][Am 23. Mai 1992 | |
wurde Giovanni Falcone auf der Autobahn vom Flughafen zur Stadt Palermo in | |
die Luft gejagt]. Giovanni Brusca war es, der per Knopfdruck auf die | |
Fernbedienung die Explosion des Sprengsatzes auslöste. | |
Nicht einmal zwei Monate später wurde auch Falcones Kollege Paolo | |
Borsellino, wiederum per Bombenanschlag, in Palermo ermordet. Der Staat | |
antwortete mit einer Gegenoffensive. Im Januar 1993 wurde Totò Riina | |
verhaftet, und dasselbe Schicksal ereilte Hunderte seiner Getreuen. Einige | |
von ihnen wurden schnell zu Kronzeugen, zum Beispiel Santino Di Matteo. Um | |
dessen Aussagebereitschaft ein Ende zu setzen, ließ Giovanni Brusca im | |
November 1993 den zwölfjährigen Sohn Di Matteos, Giuseppe, entführen. Über | |
zwei Jahre befand Giuseppe sich in den Verliesen der Mafia, dann ordnete | |
Brusca an, den Jungen zu erdrosseln und in Salzsäure aufzulösen. | |
„Was für eine Gerechtigkeit ist das, wenn so einer rauskommt?“, empört si… | |
jetzt Giuseppes Vater, „Riina ist im Gefängnis gestorben, und dasselbe | |
hätte Brusca widerfahren müssen.“ Aufgebracht zeigt sich auch die Frau | |
eines der zusammen mit Staatsanwalt Falcone ermordeten Begleitschützer: | |
„Was erzähle ich jetzt meinem Enkel? Dass der Mann, der den Opa tötete, auf | |
freiem Fuß ist?“ | |
## Schweigen des Bosses der Bosse | |
Doch auch wenn Brusca selbst sich nicht in der Lage sah, überhaupt genau zu | |
beziffern, wie viele Menschen er umgebracht hatte – es waren wenigstens 150 | |
–, und auch wenn er sich selbst als „Monster“ einordnete, gibt es dennoch | |
einen entscheidenden Unterschied zwischen ihm und Riina. | |
Der Boss der Bosse schwieg von seiner Verhaftung im Jahr 1993 bis zu seinem | |
Tod in Haft im Jahr 2017. Brusca dagegen stellte sich, kaum wurde er im | |
Jahr 1996 ergriffen, der Justiz als Kronzeuge zur Verfügung. In vielen | |
Prozessen belastete er Dutzende seiner Mafiakumpanen schwer und trug so zu | |
ihrer Verurteilung bei. | |
Das brachte ihm, dem mehrfach „lebenslänglich“ drohte, eine kräftige | |
Reduzierung der Strafe ein. Der Massenmörder erhielt bloß 30 Jahre Haft. | |
Damit folgten die Richter*innen dem Kronzeugengesetz, und als Kronzeuge | |
wurde Brusca im Gefängnis auch nicht der harten Isolation unterworfen, die | |
sonst den Cosa-Nostra-Bossen droht. Zudem kam er in den Genuss von weiteren | |
fünf Jahren Strafnachlass wegen guter Führung. Doch die, die jetzt seine | |
Freilassung kritisieren, äußern Zweifel daran, ob Brusca wirklich umfassend | |
ausgepackt hat. | |
So ist bei den Attentaten auf Falcone und Borsellino die große Frage, ob | |
die Mafia allein handelte – oder aber in Komplizenschaft mit Auftraggebern | |
aus der Politik, aus dem Staatsapparat. „Er (Brusca; die Red.) hat von den | |
wahren Auftraggebern nicht gesprochen, und er hat von den wichtigen | |
Komplizen im Inneren des Staatsapparats nicht gesprochen“, befindet etwa | |
der Polizist Luciano Traina, der 1996 Brusca verhaftete und dessen Bruder | |
einer der Begleitschützer war, die bei dem Attentat auf Borsellino umkamen. | |
Zu einem anderen Urteil kommt Maria Falcone, die Schwester des im Jahr 1992 | |
ermordeten Staatsanwalts. „Die Nachricht (von der Freilassung Bruscas; die | |
Red.) schmerzt mich“, erklärte sie, wies aber darauf hin, dass hier nur das | |
Kronzeugengesetz angewandt wurde – „ein Gesetz, das mein Bruder gewollt | |
hat“. | |
1 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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