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# taz.de -- Selbstverwaltung der Justiz am Ende: Palamara will Namen nennen
> Luca Palamara war der Strippenzieher in der italienischen Justiz. Nun hat
> man ihn wegen Korruption verjagt – aber der Sündenbock will er nicht
> sein.
Bild: Luca Palamara im Juli letzten Jahres in Rom.
Luca Palamara ist ein Rekord gelungen. „Der Erste“ sei er gewesen, so
schrieben übereinstimmend Italiens Zeitungen letzte Woche: der erste
frühere Präsident der Associazione Nazionale Magistrati (ANM – Nationale
Vereinigung der Richter und Staatsanwälte), der in Schimpf und Schande aus
dem Verband herausgeworfen wurde. Denn Palamara soll sich „schwerwiegender,
wiederholter Verstöße gegen den ethischen Kodex“ des ANM schuldig gemacht
haben.
Schon seit Juli 2019 ist der Jurist, der als Staatsanwalt in Rom tätig war,
ohne Gehaltsbezüge vom Dienst suspendiert. Gegen ihn wird wegen
Bestechlichkeit ermittelt. Ein Unternehmer soll ihm 40.000 Euro spendiert
haben, damit Palamara Sorge dafür trug, einen dem Unternehmer gewogenen
Kandidaten an die Spitze der Staatsanwaltschaft im sizilianischen Gela zu
bugsieren.
Und weil es Staatsanwälte aus Perugia sind, die gegen den römischen
Kollegen Palamara die Ermittlungen führen, wollte der gleich auch noch
Einfluss darauf nehmen, wer wiederum Chef der dortigen Staatsanwaltschaft
werden würde.
Der brillante Karrierejurist – mit 22 Jahren hatte er sein Studium
abgeschlossen, mit 28 war er schon Staatsanwalt in Reggio Calabria – darf
zugleich als einer der größten Strippenzieher des italienischen
Justizapparats gelten. In den Jahren 2008–2012 war er Präsident der ANM,
gewissermaßen der Gewerkschaft der Richter und Staatsanwälte des Landes,
2014 dann wurde er in den Consiglio Superiore della Magistratura (CSM –
Oberster Rat der Magistratur) gewählt.
## Der den Ton angab
Anders als in den meisten Ländern ist Italiens Justiz unabhängig von der
Exekutive und regiert sich über den CSM selbst: Dieses Organ entscheidet
über die Stellenbesetzungen an den Gerichten, in den Staatsanwaltschaften,
es kann Karrieren fördern wie bremsen, und es ist auch für alle
Disziplinarverfahren zuständig.
Eine völlig unabhängige Justiz sollte so gewährleistet werden: Nur ein
Drittel der Mitglieder des CSM werden vom Parlament gewählt, die anderen
zwei Drittel dagegen von Richtern und Staatsanwälten. [1][Doch mit der
Unabhängigkeit ist es so eine Sache.] Italiens Justizapparat hat sich
seinerseits in Vereinigungen organisiert, die vorneweg politische
Strömungen darstellen, von links nach rechts, und die ihrerseits die
Kandidatenlisten für den CSM zusammenstellen.
Deshalb sind es am Ende Strippenzieher wie Palamara, die den Ton angeben,
Leute, die das Netzwerken verstehen, die den Kontakt zur Politik halten und
so im CSM Allianzen zu schmieden wissen. So wird Palamara vorgehalten, er
habe intensive Kontakte zu Luca Lotti gehalten, einem der engsten
Vertrauten [2][des früheren Ministerpräsidenten Matteo Renzi.] Die zwei
haben sich angeblich rege darüber ausgetauscht, welche Spitzenpositionen in
den Staatsanwaltschaften Rom, Florenz, Perugia mit wem besetzt werden.
Das Pikante daran: Gegen Lotti selbst [3][ermittelte die Staatsanwaltschaft
Rom], gegen die Eltern Renzis, die als Unternehmer diverse
Unregelmäßigkeiten begangen haben sollen, die Staatsanwaltschaft Florenz.
## Giovanni Falcone
Seinen Rausschmiss aus dem Richterverband allerdings nimmt Palamara nicht
still hin. Er denke gar nicht daran, „den Sündenbock für ein System“ zu
spielen, zürnte er und schickte gleich die Drohung hinterher, jetzt werde
er „Namen nennen“. Das klingt durchaus plausibel: Strippen ziehen kann man
nun mal nicht allein: „Jeder hat mich um einen Gefallen gebeten, ich denke
da zum Beispiel an einige Mitglieder des Schiedsgremiums, die jetzt meinen
Ausschluss wollen.“
In der Tat häufen sich in diesen Tagen Stellungnahmen aus dem
Justizapparat, die alle nach einem Neuanfang rufen, nach korrekten
Besetzungsverfahren, nach Transparenz und Sauberkeit. Es wäre in der Tat
eine radikale Wende in der italienischen Justiz. Sie hat nicht erst in den
letzten Jahren ausgerechnet ihren integersten Vertretern immer wieder
Karrieren verbaut.
Im fernen 1988 etwa entschied der CSM, den wichtigsten Anti-Mafia-Ermittler
Italiens, Giovanni Falcone – der vier Jahre später von Cosa Nostra ermordet
wurde – bei der Besetzung der Chefposition in der Staatsanwaltschaft
Palermo zugunsten eines unbedeutenden Gegenkandidaten zu übergehen. Völlig
recht hat Palamara wenigstens dann, wenn er von einem „System“ spricht. Und
dieses System ist auch mit seinem Rauswurf aus der Richtervereinigung noch
lange nicht am Ende.
23 Jun 2020
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## AUTOREN
Michael Braun
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Italien
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